© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/14 / 25. April 2014

Aus dem Wohnzimmer nach Brüssel
Europawahlkampf: Mit den AfD-Kandidaten Bernd Kölmel und Ulrike Trebesius stehen zwei Politik-Neulinge vor dem Einzug in das EU-Parlament
Hinrich Rohbohm

Begonnen hat alles in seinem Wohnzimmer. Etwas mehr als ein Jahr ist es her, seit sich Bernd Kölmel mit sechs Gleichgesinnten in seinem Ötigheimer Einfamilienhaus traf, um den Baden-Württemberger Landesverband der Alternative für Deutschland (AfD) zu gründen. Der 55jährige ist Referatsleiter für Haushalts- und Grundsatzangelegenheiten beim Landesrechnungshof in Karlsruhe. 25 Jahre lang gehörte er der CDU an, saß für sie eine Wahlperiode im Gemeinderat.

Dann begann die Euro-Krise und mit ihr die Rettungspolitik der Bundesregierung. Kölmel wandte sich an seine Partei, äußerte Bedenken am Kurs der Kanzlerin, stieß auf taube Ohren. „Ich merkte, daß meine Meinung nicht gehört wurde“, erinnert sich Kölmel. Das war im Sommer 2012. Der Vater eines 27 Jahre alten Sohnes und einer 25jährigen Tochter kehrte den Christdemokraten enttäuscht den Rücken, trat aus. Er sah sich in anderen Parteien um, wollte eine politische Kraft finden, die seine Bedenken gegen die Euro-Politik teilt. „Aber da war nichts“, sagt Kölmel.

Doch dann, Anfang vergangenen Jahres, sah er eine Zeitungsanzeige. Ein Aufruf von Euro-Kritikern, nach Oberursel zu kommen, einer 44.000-Einwohner-Stadt im Taunus nahe Frankfurt. Eine Bewegung mit dem Namen Alternative für Deutschland, kurz AfD, hatte zu ihrem ersten größeren Treffen geladen. „Oberursel war ein Aha-Erlebnis“, schildert Kölmel seinen Eindruck von damals. Besonders von einem war er begeistert: AfD-Sprecher Bernd Lucke. „Mensch, der heißt ja nicht nur wie ich, der denkt auch das gleiche“, gerät er ins Schwärmen.

Das Treffen von Oberursel sollte Bernd Kölmels Leben grundlegend verändern. Der Beamte, dessen Freizeit zuvor aus Schachspielen und der Pflege seines Fischteichs bestand, wandelte sich in kürzester Zeit zum Parteimanager mit 16-Stunden-Tag. „Seit einem Jahr habe ich keine Freizeit mehr“, verrät der Vorsitzende des örtlichen Schachclubs, der am liebsten die italienische Eröffnung spielt. Eine Eröffnung, die im Schachjargon auch Giuoco piano genannt wird. Ruhige Hand.

Mit Humor und Selbstironie

Vielleicht ist es gerade diese ruhige Hand, die aus Bernd Kölmel einen Spitzenpolitiker der AfD machte. Den jüngsten, äußerst schwierig zu leitenden Mitglieder-Bundesparteitag in Erfurt moderierte er als Tagungspräsident souverän. Selbst in hitzigsten Debatten war er nicht aus der Ruhe zu bringen. Unterlief ihm doch mal ein Fauxpas, so räumte er ihn mit Humor und einem Schuß Selbstironie aus. Eine Fähigkeit, die maßgeblich zur Deeskalation der Veranstaltung beigetragen hatte.

Mit ruhiger Hand tritt er auch als Sprecher seines Landesverbandes Baden-Württemberg auf. Das Telefon am Ohr, geht er in seinem Haus auf und ab. In den Flur, durch die Küche, wieder in den Flur, ins Wohnzimmer. Angelegenheiten der AfD regeln. Mit dem Bundesvorstand sprechen, dem Landesvorstand oder Mitgliedern der Basis. Sein Ton ist bestimmt, aber sachlich und stets moderierend. Letzteres liegt ihm besonders. Ein Umstand, der mit dafür gesorgt haben dürfte, daß sein Landesverband im Gegensatz zu anderen von größeren Streitereien verschont wurde.

Zur Bundestags- und Europawahl hat ihn seine Partei auf vordere Listenplätze gesetzt. Im September vorigen Jahres war er Spitzenkandidat in Baden-Württemberg. Haarscharf war die AfD an der Fünfprozenthürde gescheitert, Kölmel am Bundestagsmandat vorbeigeschrammt. „Ich war da schon enttäuscht“, gibt er zu. Er hatte mit einem höheren Ergebnis gerechnet. Zur Europawahl steht er nun auf Platz drei. Eine Fünfprozenthürde gibt es diesmal nicht. Sein Einzug ins Europaparlament gilt daher als sicher. Daß er dann erst recht keine Freizeit mehr haben wird, darüber ist sich Kölmel im klaren. Aber er vermisse sie auch nicht. Zu sehr hat ihn die Politik in den Bann gezogen, zuviel Spaß mache ihm die Arbeit für die AfD, in der man ihn schon kurz nach seinem Eintritt fragte, ob er Landesbeauftrager werden wolle.

Kölmel wollte. Und baute von seinem Ötigheimer Wohnzimmertisch aus den Landesverband auf. Ein Unterfangen, das am 20. März 2013 seinen Anfang nahm und ohne Anleitungen erfolgte. „Wir hatten auf Musteranweisungen des Bundesverbands gehofft, die uns erklären, wie man so etwas macht, aber die gab es nicht“, beschreibt der hochgewachsene Mann in seiner badischen Mundart, die an eine Mischung aus Wolfgang Schäuble und Joachim Löw erinnert.

Einen Monat später wurde der Landesverband aus der Taufe gehoben. „Wir hatten zum Glück kaum Selbstdarsteller dabei“, nennt Kölmel den Grund für einen weitgehend geräuschlosen Verbandsaufbau, wenngleich es auch im Südwesten die eine oder andere „schillernde Persönlichkeit“ gegeben habe. „Da waren dann aber weniger politische Extreme das Problem, sondern menschliche“, erklärt der gläubige Christ, der auf dem Flur ein großes Kreuz an der Wand hängen hat. Vieles sei per Mail und Telefon erledigt worden. Inzwischen hat der Landesverband 2.700 Mitglieder.

Kölmels Frau engagiert sich ebenfalls in der AfD, sitzt im Ortsvorstand der Partei. Ein Umstand, der Bernd Kölmel die politische Arbeit leichter macht. „Die Kinder sind schon groß und die eigene Frau steht hinter meiner Politik, das sind gute Voraussetzungen“, meint er.

Die findet auch Ulrike Trebesius vor. Auch ihr Mann engagiert sich in der AfD, hält ihr den Rücken frei, wie sie sagt. Allerdings muß die gebürtige Hallenserin um den Einzug ins Europaparlament zittern. Der Europaparteitag in Aschaffenburg hat sie Ende Januar auf Platz sechs der Kandidatenliste gewählt. „Bei 6,3 Prozent dürfte ich drin sein“, rechnet die 43 Jahre alte Bauingenieurin vor, die nach der Wende in den Westen ging und heute in einem mittelständischen Betrieb in Elmshorn arbeitet.

Daß sie sich jetzt in einer bürgerlichen Partei engagiert, ist nicht selbstverständlich. Denn Ulrike Trebesius entstammt eigentlich einem tiefroten Milieu. Ihr Großvater, einst Major der Staatssicherheit, war unter anderem als Direktor der Stasi-Untersuchungshaftanstalt „Roter Ochse“ in Halle tätig. Auch ihre Eltern waren in der SED. „Mitläufer“, wie Trebesius sagt. Sie hingegen habe immer schon einen Hang zum Oppositionellen gehabt.

Aufgewachsen bei ihren Urgroßeltern besuchte sie im April 1989 ihre Urgroßmutter, in einem Altenheim, das sich auf dem Gelände einer Kirche befand. „Da habe ich dann einen Punker getroffen“, erzählt sie. Die beiden kamen ins Gespräch. Der Punker habe ihr erzählt, daß er Kirchenasyl hätte und als Oppositioneller das Gelände nicht verlassen könne.

Trebesius demonstrierte gegen das SED-Regime

„So bin ich über die Marktkirche in Halle zum Neuen Forum gekommen“, berichtet Trebesius, die daraufhin im Herbst 1989 in Magdeburg und Halle an Demonstrationen gegen das SED-Regime teilgenommen hatte. Funktionen im Neuen Forum habe sie hingegen nicht übernommen. „Ich habe auf der Straße mitgemacht, das war mein Beitrag zu Freiheit und Demokratie“, sagt die Mutter einer 16 Jahre alten Tochter, die nach einer Ausbildung zur Bauzeichnerin zwischen 1988 und 1991 an der Fachhochschule von Magdeburg Bauingenieurswesen für Straßen- und Siedlungswasserbau studierte. Mit ihrem Mann zog sie schließlich ins Hamburger Umland in den 5.000-Seelen-Ort Horst im Landkreis Steinburg in Schleswig-Holstein.

„Wer soll denn den Landesverband gründen?“

Vor vier Jahren war sie auf das Bündnis Bürgerwille aufmerksam geworden, in dem Bernd Lucke als einer der Sprecher fungierte. Eines Tages habe Lucke sie angerufen. „Machst du mit bei der Wahlalternative 2013?“ sei sie von ihm gefragt worden. Ihr Einstieg in die Politik hatte begonnen. Als es später beim Aufbau des AfD-Landesverbands in Schleswig-Holstein stockte, war sie es, die Lucke anrief. „Was ist denn nun, wer soll denn nun den Landesverband gründen“, hatte sie ihn gefragt. „Du“, sei Luckes knappe Antwort gewesen. Trebesius wurde Landessprecherin und schleswig-holsteinische Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl. Auch sie war von dem Ergebnis enttäuscht. „Ich war fassungslos. Ich hatte fest geglaubt, daß wir es schaffen würden“, gesteht sie. Die Wochen nach der Wahl seien ein „Tal von Frust und Enttäuschung“ gewesen. „Aber man macht weiter“, sagt sie. Sie ei in diesem Entschluß von Bernd Lucke und ihrem Landesvorstand bestärkt worden.

Innerhalb der AfD sieht sie sich als eine liberale Stimme, die sich wünscht, daß Deutschland stärker seine nationalen Interessen vertrete. Sollte es für sie ins Europaparlament reichen, wird die Bücherliebhaberin auch ihre Freizeit stark einschränken müssen. „Schon jetzt bin ich nach der Arbeit täglich von 20 bis 23 Uhr für die AfD aktiv“, sagt die leidenschaftliche Leserin der Werke von Thomas Mann, Dostojewski und Tolstoi. Auch ins Theater wird sie wohl nicht mehr so häufig gehen können, wenn sie auf die große politische Bühne nach Brüssel wechselt.

 

Europakandidaten der AfD

Die AfD tritt zur Europawahl am 25. Mai mit 28 Kandidaten an. Gute Chancen auf einen Sitz im Europaparlament haben neben Bernd Kölmel (Platz 3) und Ulrike Trebesius (Platz 6) Spitzenkandidat Bernd Lucke, Ex-BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel (Platz 2), die Chefin der Zivilen Koalition Beatrix von Storch (Platz 4) sowie Euro-Kläger Joachim Starbatty (Platz 5).

Ebenfalls Chancen auf einen Sitz im EU-Parlament können sich der Beisitzer im AfD-Bundesvorstand Marcus Pretzell, Philosophie-Dozent Marc Jongen und der frühere ARD-Auslandskorrespondent Paul Hampel ausrechnen. Sie wurden von den Delegierten des Europaparteitages der AfD in Aschaffenburg auf die Plätze 6 bis 9 gewählt.

Im Mittelpunkt des Wahlkampfes der AfD, der am Sonnabend mit einer Auftaktveranstaltung in Köln eingeläutet wird, steht neben der Kritik an der Euro-Rettungspolitik die Kritik an Demokratiedefiziten der EU und die Forderung nach Volksabstimmungen.

www.alternativefuer.de

 

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