© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/14 / 25. April 2014

Inhaltsleere Wortseen
Europawahl : Die großen Parteien scheuen sich, auf ihren Plakaten konkrete politische Festlegungen zu treffen
Paul Rosen

Seltsam unwirklich erscheint die deutsche Parteienwerbung zur Europawahl am 25. Mai. Bei der CDU etwa ist auf einem Plakat eine junge Familie zu sehen. Das Einzelkind sitzt vor einem Laptop, und man liest: „Damit Europa Chancen für alle bringt.“ Ein ähnliches Bild bietet die SPD, das Kind fehlt allerdings: „Ein Europa der Menschen, Nicht des Geldes.“ Bei der FDP ist der Spitzenkandidat Alexander Graf Lambsdorff zu sehen, dem die Worte „Chancen für jeden statt Regeln für alles“ in den Mund gelegt werden. Bei den Grünen ist aus dem Innern eines Kühlturms heraus ein Schwarm Gänse fotografiert worden. Das Motiv steht für die Botschaft: „Atom aus. Natur an.“

Eine kleine Ausnahme der Vernunft

Die Aussagen auf den Plakaten haben eines gemeinsam: Es sind keine Aussagen. Vorbei sind die Zeiten, als im Wahlkampf noch grundsätzliche Botschaften verbreitet wurden wie zu Konrad Adenauers Zeiten, als „Keine Experimente“ klar für die Weiterführung der sozial-marktwirtschaftlichen Wohlstandspolitik und gegen die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien stand. Und mit „Willy wählen“ wurde die Deutschland- und Ostpolitik von Willy Brandt (SPD) auf den Punkt gebracht. Aber wofür steht ein „Europa des Wachstums, nicht des Stillstandes“? Das hätte statt von der SPD genauso von der CDU kommen können, wie umgekehrt das Unions-Motiv Opa mit Enkel und der Botschaft: „Damit ein stabiler Euro allen hilft“ auch von der SPD oder FDP sein könnte. Eine kleine Ausnahme der Vernunft bietet die FDP in Lippe (Nordrhein-Westfalen), die einen durch Windkraftanlagen verstellten Blick auf das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald zeigt: „Vernünftig handeln statt Landschaft verschandeln“. Aber insgesamt sollen die Wahlplakate – selbst die der Linkspartei – Wohlfühlstimmung verbreiten. Wahlkampf mit Ecken und Kanten wie seinerzeit mit Franz Josef Strauß (CSU) war gestern. Heute werden die Kandidatenporträts so lange mit Computerprogrammen wie Photoshop retuschiert, bis selbst pickelige Gesichter aussehen wie Filmstars.

Auch ein Blick in die Wahlprogramme offenbart inhaltsleere Wortseen – glattgeschliffen und es jedem recht machen wollend. Die Texte zwischen den Volksparteien sind größtenteils austauschbar. Auffällig sind allenfalls Details. Die SPD zum Beispiel ist bereit, die auf EU-Ebene längst beschlußreife Vergemeinschaftung der Staatsschulden früher zu akzeptieren als die CDU. Die einzigen Debatten über Europa laufen bei der CSU, von der gelegentlich kritische Töne zu vernehmen sind. So nahm der stellvertretende CSU-Vorsitzende Peter Gauweiler (siehe das Interview auf Seite 3) zum jüngsten CDU-Parteitag in einer bemerkenswerten Pressemitteilung Stellung: „Die Zukunft des Euro als Buch- und Papiergeld ist ohne Einhaltung der vereinbarten Mindestkriterien nicht denkbar.“ Dazu bekennt sich die große Schwesterpartei allenfalls noch formal. Zu den Seltsamkeiten dieses Wahlkampfes gehört, daß die Folgen von Rettungsschirmen und Niedrigzinspolitik, die deutschen Sparern Milliardenverluste bescherten, bis heute nicht von anderen Parteien thematisiert wurden. Nur die AfD hält sich vom schwarz-rot-grünen Geleitzug fern.

Bei den über Ostern in Zeitungen und TV thematisierten Auseinandersetzungen zwischen dem EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) und der CSU wegen der angeblich europakritischen Ausrichtung der Partei handelt es sich um bayerische Scheingefechte, um Wähler bei der CSU zu halten, die andernfalls zur AfD abwandern würden. Unter diesem Aspekt war schon die Wahl von Peter Gauweiler zum CSU-Vize zu sehen; mehr als ein europakritisches Feigenblatt ist er in der Partei nicht. Wie die CSU tickt, zeigt immer noch die Haltung des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber zum Vertrag von Maastricht im Bundesrat: Als die Abstimmung schließlich anstand, war von Stoibers Widerstand nichts mehr zu sehen; er stimmte mit Ja.

Politik wird von Personen gemacht. Bei der Europawahl sind die Spitzenkandidaten weitgehend unbekannt. Es mag sein, daß der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), noch einer kleineren Öffentlichkeit bekannt ist. Aber mit David McAllister (CDU) verbinden allenfalls noch Niedersachsen ihren ehemaligen und an Rot-Grün gescheiterten Ministerpräsidenten. Streitgespräche zwischen den Kandidaten der schwarzen, roten und grünen Parteien erstarren in Langeweile. Allenfalls Bernd Lucke von der AfD und einige Vertreter der Linkspartei wie etwa Sahra Wagenknecht bringen noch Spannung in die Runden.

All dies spricht dafür, daß sich an der niedrigen Wahlbeteiligung bei der Europawahl 2009, als gerade einmal 43,3 Prozent der deutschen Wahlberechtigen ihre Stimme abgaben, auch am 25. Mai nicht viel ändern wird.

Foto: Plakate zur Europawahl in Berlin: Die Botschaften sind austauschbar, Wahlkampf mit Ecken und Kanten findet schon lange nicht mehr statt

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen