© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/14 / 25. April 2014

Abschied von der Nischengesellschaft
Geschichtspolitik: Eine Veranstaltungsreihe in Berlin macht sich auf die Suche nach einer zeitgemäßen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit
Ekkehard Schultz

Als im Zuge der Friedlichen Revolution von 1989 und der Wiedervereinigung die letzte Diktatur auf deutschem Boden stürzte, schien damit zugleich auch eine rasche historische und gesellschaftliche Aufarbeitung der Hinterlassenschaften der SED-Herrschaft möglich. Doch verflog der große Optimismus der Anfangszeit schnell. So begann an zahlreichen Erinnerungsorten ein mühseliger Streit um die angemessene Würdigung der Opfer des kommunistischen Terrors. Ebenso schwierig gestalteten sich bei vielen Ämtern und Behörden die Bemühungen von Opfern und Hinterbliebenen um eine berufliche und soziale Rehabilitierung.

Darüber hinaus tat und tut sich das Land mit der Vermittlung der doppelten Diktaturgeschichte bis heute schwer, zumal auf diesem Gebiet die klassischen Vereinfachungen und offensichtlichen Versäumnisse des Westens allzu sichtbar wurden. Zudem wurde aber auch durch die gescheiterte juristische Aufarbeitung der DDR, diverse wirtschaftliche Mängel des Einigungsprozesses sowie die Konzentration von Politik und Medien auf tatsächliche oder vermeintliche Gefahren von „rechts“ ein geeigneter Nährboden für Verdrängungen, Rechtfertigungen und Beschönigungen geschaffen. Dazu trug nicht zuletzt auch die weitestgehende problemlose Integration der ehemaligen DDR-Staatspartei in das Parteienspektrum der Bundesrepublik bei.

Auf der anderen Seite ist die Fülle von guter Aufarbeitungsliteratur zu dieser Thematik, durch die selbst sehr spezielle Bereiche der kommunistischen Diktatur detailliert und sachgerecht beschrieben werden, nicht zu übersehen. Zahlreiche Spiel- und Dokumentarfilme über die DDR haben ein breites Publikum erreicht. Die Gesamtzahl der Zeitzeugenberichte an Schulen hat deutlich zugenommen, auch bei Ausstellungen und an Gedenktagen werden derartige Angebote gerne in Anspruch genommen. Viele lokale Erinnerungsorte wurden neu geschaffen und bereits bestehende Präsentationen oft deutlich erweitert.

Nun bietet der bevorstehende 25. Jahrestag des Mauerfalls wiederum eine gute Möglichkeit, ein aktuelles Fazit über die bisherige Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Deutschland zu ziehen. Dazu haben die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Zusammenarbeit mit dem Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherdienstes der ehemaligen DDR und der Deutschen Gesellschaft e.V. gemeinsam eine Reihe von Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen konzipiert, die unter dem Motto „Erinnerungsland DDR. Alltag. Herrschaft, Gesellschaft“ steht.

Der Auftakt zu Reihe war jetzt dem Thema „Die DDR zwischen Aufarbeitung und Nostalgie“ gewidmet. Dabei vertrat der Historiker Peter Steinbach die Ansicht, daß sich der Westen mit der Aufarbeitung der SED-Diktatur nach 1990 vor allem deswegen so schwer tat, da zunächst „jeder DDR-Bürger angeklagt oder zumindest in eine Verteidigungsposition gedrängt worden“ sei, nur weil er in der DDR gelebt habe.

Grobes historisches Raster

Diese Haltung habe nicht nur verständliche Abwehrreaktionen hervorgerufen, sondern auch einen Teil derjenigen Mitteldeutschen für Verklärungen anfällig gemacht, der zwar die Diktatur als solche abgelehnt hätte, jedoch die individuellen Lebensgeschichten in der DDR respektiert sehen wollte, so Steinbach. Gerade deswegen sei es wichtig, „Systemgeschichte und Lebensgeschichten eindeutig voneinander zu trennen“. Als weiteres Problem benannte Steinbach, daß viele westdeutsche Historiker und Sozialwissenschaftler nach 1989 „ihre eigenen Fehleinschätzungen nicht anerkennen“ wollten.

Unterstützung erhielt Steinbach von dem Journalisten Sergej Lochthofen. Auch nach seiner Beobachtung habe vor allem in den frühen neunziger Jahre sowohl im Westen als auch im Osten ein sehr grobes historisches Raster dominiert, das erst allmählich einer differenzierten Sicht gewichen sei. Dennoch würden bis heute in den Debatten vor allem zwei Sichtweisen den Blick auf die DDR prägen: Die eine sei die Sichtweise von Menschen, die besonders schwer in dieser Diktatur gelitten hätten. Ihnen ständen die Berichte derjenigen gegenüber, die eine weitestgehend „systemtreue“ Sicht vertraten und diese heute verteidigten. Allerdings klaffe zwischen diesen beiden Meistererzählungen eine deutliche Lücke: Diese mache es wiederum denen schwer, einen geeigneten Platz für ihre Vergangenheit zu finden, die sich in keiner der beiden Gruppen wiederfinden könnten, so Lochthofen. Gerade diese „dritte Gruppe“ sei seiner Ansicht nach „besonders anfällig für Verklärungen“.

Wachsendes Interesse auch im Westen

Dagegen beschäftigte sich die Autorin Claudia Rusch („Meine freie deutsche Jugend“) stärker mit der Frage nach dem heutigen Interesse an der Vermittlung der DDR-Geschichte. Entgegen landläufigen Vorstellungen bestehe auch im Westen eine wachsende Nachfrage. Bei der jüngeren Generation stehe das Interesse kaum noch in einem Zusammenhang mit der Herkunft. Rusch machte deutlich, daß sie grundsätzlich unterschiedliche Lebensgeschichten und Erinnerungen an die SED-Herrschaft akzeptiere. Gleichzeitig müsse man sich jedoch mit der wachsenden Entfernung von den Ereignissen davor hüten, die Alltagskultur ohne den gesellschaftlichen Hintergrund zu vermitteln. So sei insbesondere dem Klischee von der „Nischengesellschaft“ zu widersprechen, da es keine Nische gegeben habe, in die das System nicht hereinreichte, so Rusch.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen