© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/14 / 25. April 2014

Politiker wünschen sich ein bißchen Frieden
Extremismus: In Berlin herrscht vor dem 1. Mai das Prinzip Hoffnung
Lion Edler

Wenn es um drohende linksextreme Krawalle am 1. Mai geht, hat der Grünen-Innenpolitiker Benedikt Lux ein merkwürdiges Verständnis von Frieden. Da es im vergangenen Jahr „sehr friedlich“ gewesen sei, hoffe er, daß es „wieder so wird“. Die Bilanz des „sehr friedlichen“ Maifeiertags sah 2013 allerdings so aus: 54 verletzte Polizisten, 42 Sachbeschädigungen, 94 Festnahmen. „Krieg ist Frieden“ – so scheint die orwellsche Devise bei Lux zu lauten. Erstaunlich ist immerhin, daß der Grünen-Politiker „ausreichend Polizei“ für die Zeit während der Demonstration fordert – ungewöhnliche Worte für einen Grünen-Politiker.

Im Vergleich zu vorangegangenen Jahren hatte es 2013 freilich eine etwas schwächere Gewaltwelle gegeben. In Berlin hoffen Politiker und Polizei daher nun, daß sich diese Tendenz 2014 wiederholen wird. „In Berlin fehlt der Szene die Reibungsfläche“, zitiert der Tagesspiegel einen optimistischen leitenden Polizeibeamten. Die Diskussion um eine teilweise Bebauung des Tempelhofer Feldes und das geräumte Flüchtlingslager auf dem Kreuzberger Oranienplatz (JF 17/14) seien kein Reizthema mehr für die linksextreme Szene.

Anders hätte es nach Ansicht des Beamten ausgesehen, wenn die Polizei die Flüchtlinge mit Wasserwerfern vom Oranienplatz vertrieben hätte. Daß sich die linksextreme Unterstützung für eine Flüchtlingsdemonstration in Grenzen hielt, wertet man ebenfalls als hoffnungsvolles Indiz. Laut Tagesspiegel will die Berliner Innenverwaltung die sogenannte „Strategie der ausgestreckten Hand“ weiterverfolgen. „Wir sind kommunikativ, reden mit jedem, der mit sich reden läßt.

Abgrenzung zu gemäßigten Protestierern

Gleichzeitig werden wir einschreiten, sobald Straftaten begangen werden oder es zu Gewalt kommt“, so Polizeisprecher Stefan Redlich in der Berliner Morgenpost. Für belastbare Prognosen über den möglichen Verlauf sei es aber noch zu früh, betonte er. Allerdings halten es Sicherheitskreise für möglich, daß ein Teil der Linksextremisten aus Berlin nach Hamburg reisen wird, wo es im Dezember im Zusammenhang mit der Räumung der sogenannten Esso-Häuser und dem linksextremen Treff „Rote Flora“ schwere Gewaltexzesse gab. Ausschreitungen drohen außerdem bereits am kommenden Sonnabend wegen einer NPD-Demonstration in Kreuzberg. Der Berliner Innenstaatssekretär Bernd Krömer (CDU) erwartet dort „massive Gegenproteste mit hohem Eskalationspotential“.

Indessen erscheinen auf linksextremen Internetseiten bereits die ersten Aufrufe für den 1. Mai. „Wir gehen auf die Straße, um diesem System den Mittelfinger zu zeigen“, heißt es etwa auf dem Szeneportal Indymedia, das zu einer Demonstration für den Kommunismus aufruft. Bebildert ist der Artikel mit maskierten Kindern, die ein Holzgewehr in Händen halten.

Ziel der sogenannten „Revolutionären 1.-Mai-Demo“ ist in diesem Jahr die SPD-Zentrale in der Berliner Wilhelmstraße. „Aus Sicht der Demonstranten ist die SPD durchaus ein Feindbild, und nun ist sie auch wieder in der Bundesregierung und deshalb erst recht ein Gegner“, sagte der Berliner Soziologe Dieter Rucht. In den vergangenen Monaten war es mehrfach zu Steinwürfen und anderen Attacken von Linksextremisten auf SPD-Einrichtungen in Berlin gekommen.

Rucht, der im Wissenschaftlichen Beirat des linken Netzwerks Attac sitzt, rechnet denn auch nicht damit, daß der 1. Mai in den kommenden Jahren friedlich sein wird. „Sie wollen Sichtbarkeit erzeugen und Flagge zeigen als Signal nach außen und Abgrenzung gegenüber den gemäßigten Protestierern“, erklärte Rucht. Dabei könne die Szene zumindest politisch auch auf die Unterstützung mancher Anwohner hoffen, da die Linksextremisten „auf reale Probleme wie steigende Mieten und Verdrängung hingewiesen“ hätten.

Aktuell spielten in linksextremen Internetforen auch die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und der EU eine zunehmende Rolle. Der Krawall sei zudem eine Art „Stammesritual“, glaubt Rucht: „Man demonstriert: Wir gehören zusammen und wir halten zusammen. Es ist wie bei archaischen Stämmen, die sich so ihrer kollektiven Identität versichern.“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen