© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/14 / 18. April 2014

Der Flaneur
Mit Gespräch bekleidet
Sebastian Hennig

In aller Regel ist der Europäer krank, sobald er seinen Körper spürt. Deshalb hat er sich den edlen Wilden als unerreichbares Ideal erfunden. Des Vormittags besteht die Gelegenheit, einmal allein oder zu zweit in der Sauna zu liegen. Natürlich gibt es noch andere, die auch allein oder zu zweit um diese Tageszeit nach Verbesserung des körperlichen Befindens streben. So gehört etwas Glück dazu, in die rechte Gesellschaft zu geraten.

Schwierig ist auszukommen mit einer Art älterer Damen, welche einen anstrengenden Kultus der Natürlichkeit pflegen. Nicht immer ist ihre Zurückhaltung wirklich diskret. Es gibt auch eine dröhnende Stille.

Zwei ältere Herren treten lustig schwadronierend ein. Die Dame verläßt bald ihre Ecke.

Ich meinerseits werde schon nach dem zweiten Saunagang von einer bedrohlichen geistigen Öde befallen. Die Poren öffnen sich, aber die Lippen sollen geschlossen bleiben. Ist Schwitzen eine Tätigkeit, auf die es sich zu konzentrieren gälte, damit man sich nicht etwa verschwitzt? Das wohlschmeckendste Mahl noch erhält durch ein Gespräch zusätzliche Würze. Nur bei dieser Form des Stoffwechsels gilt Plaudern als verpönt.

Die sture Stummheit beim Schwitzen höhlt mich aus. Vielleicht ist mein Gehirn krankhaft überzüchtet, daß ich es nicht mehr abstellen kann, um einfach und natürlich, nur vegetativ transpirierender Organismus zu sein. Schon der Gedanke widert mich.

Zwei ältere Herren treten lustig schwadronierend ein. Die Dame verläßt bald ihre Ecke. Das Handtuch wedelt ihr beim Abgang hinterher als eine Standarte gerechter Empörung. Ich fühle mich gleich verbunden. Wir feixen uns zu und setzen eine harmlose Unterhaltung fort. Später sehen wir die ungnädige Frau in einer Gruppe stehen, wie sie erregt berichtet, daß Flegel ihre totale Entspannung zerstörten.

Eigentlich hatten wir uns nichts zu sagen. Vieles läßt sich mitteilen, was sogleich wieder vergessen ist. Aber es lenkt angenehm ab von der eigenen Kreatürlichkeit. Denn das heitere Gespräch ist die eigentliche Saunabekleidung, weil es die Befangenheit aufsaugt wie ein Handtuch den Schweiß.

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