© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/14 / 18. April 2014

Für Schleswig und Holstein ein Segen
Zum 150. Jahrestag der Schlacht bei Düppel: Der Deutsch-Dänische Krieg von 1864 öffnete den Weg in eine gute preußische Zukunft
Wolfgang Müller

Das pünktlich zur Erinnerung an den vor 150 Jahren ausgefochtenen deutsch-dänischen Krieg vorgelegte Werk des Kieler Juristen Klaus Alberts trägt den schlichten Titel: „Düppel 1864“. Den Einband des atlasförmigen Buches schmückt das berühmte Foto, das jubelnde preußische Sieger auf der zerstörten Schanze IV ablichtet.

Und doch erübrigt Alberts für den 18. April 1864, den Tag der Entscheidungsschlacht, nur wenige Zeilen. Ungeachtet der irreführenden Aufmachung erwartet den Leser also keine Militärhistorie, weder die Schilderung des Ringens um die acht Wochen lang von preußischer Artillerie sturmreif geschossenen Düppeler Schanzen, noch überhaupt eine Geschichte von „Bismarcks erstem Krieg“. Die lieferte 2006, auf einem seit 1864 angehäuften Literaturberg von 3.000 Publikationen stehend, mit wohl nicht mehr zu übertreffender Detailfülle Michael Embree. Seine nur in Kleinstauflage von 500 Exemplaren verbreitete und nicht ins Deutsche übersetzte Darstellung zum „first war“ des preußischen Ministerpräsidenten ist jedoch nur Kennern ein Begriff. Konzentriert auf die „Schlachtbank Düppel“, hat dann 2008 der dänische Journalist Tom Buk-Swienty Embrees typisch britischem, jeden Schußwechsel hingebungsvoll protokollierendem Kompendium eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte des Krieges zur Seite gestellt (JF 38/11).

Angesichts dieser Forschungslage war es für Alberts nur konsequent, im Gedenkjahr 2014 zu den Schlachtfeldern Distanz zu wahren. Ihm geht es daher allein um die politischen Folgen der militärischen Auseinandersetzung. Dabei läßt er das geschlagene Dänemark, das nach Düppel endgültig auf den Status eines im Konzert der europäischen Mächte bedeutungslosen Kleinstaates herabsank, links liegen und beschränkt sich auf die Entwicklung der Herzogtümer Schleswig und Holstein zwischen 1864 und 1880.

Preußens nördliche Provinz gedieh nach 1866 prächtig

Der Versuch Kopenhagens, Schleswig, wo südlich der Linie Flensburg–Sylt eine deutsche Bevölkerungsmehrheit lebte, als dänische Provinz zu vereinnahmen und es damit aus dem verfassungsrechtlich komplizierten Verhältnis zu Holstein und zur dänischen Krone zu lösen, hatte den Konflikt 1864 bis zum Waffengang mit Preußen und Österreich eskalieren lassen. Er endete für den einst von Grönland bis zur Elbe reichenden dänischen „Gesamtstaat“ desaströs im Frieden von Wien, mit der Preisgabe Schleswigs, Holsteins und des Herzogtums Lauenburg. Nachdem Bismarck den Kampf um die Hegemonie in Deutschland, der sich 1866 am Streit um die gemeinsame Verwaltung der Herzogtümer erneut entzündete, im preußisch-österreichischen Krieg gewonnen hatte, wurde mit dem Annexionsgesetz vom Dezember 1866 aus dem Land zwischen den Meeren eine preußische Provinz.

In Alberts’ Rekonstruktion dieser „Prussifizierung“ Schleswig-Holsteins überwiegen die Lichtseiten des Prozesses. Das erstaunt, da noch das 1925 von Otto Brandt begründete, von seinem Schüler Wilhelm Klüver fortgeführte, als „nationalkonservativ“ verschriene, aber bis in die 1980er als Standardwerk geltende Handbuch der „Geschichte Schleswig-Holsteins“ voller antipreußischer Affekte steckt, von denen auch sich „progressiv“ verstehende jüngere Landeshistoriker nicht frei sind.

Im „Brandt/Klüver“ heißt es mit schlecht unterdrücktem Ressentiment, die Schleswig-Holsteiner hätten sich nach dem Ausscheiden aus dem Gesamtstaat, in den Übergangsjahren von 1864 bis 1866, eher unwillig einem „in die Tiefe gehenden Bewußtseinswandel“ unterwerfen müssen. Als „Muß-Preußen“ seien sie dann aber in eine „geistige Atmosphäre“ und in einen ihnen „wesensfremden Staat“ hineingezwungen worden, mit dessen „strenger Zucht und pedantischer Ordnung“ sie sich allenfalls nur „abgefunden“ hätten.

Von dieser Bewertung bleiben bei Alberts kaum Schlacken. Stattdessen Anerkennung der preußischen Aufbauleistung bis hin zur Bewunderung. Die neugewonnene Provinz sei von der „brillantesten Verwaltung ihrer Zeit“ in den preußischen Staatsverband eingegliedert worden. Sie sei für „das Land ein Segen“ gewesen, habe ihm „die Zukunft eröffnet“. Trotz anfänglicher Ablehnung habe es aufgrund ökonomischer Erfolge, des raschen Ausbaus der Verkehrsinfrastruktur, einer effizienten Justiz und Administration, eines leistungsfähigen Höheren Schulwesens, der Gewährung eines hohen Standards an Selbstverwaltung sowie dank der als „Integrationsinstrumente“ eingesetzten Streitkräfte von Heer und Marine nicht lange gedauert, „loyale Neu-Preußen“ zu erziehen.

Als 1879 der erste Oberpräsident, der zur schleswig-holsteinischen Ritterschaft gehörende Carl von Scheel-Plessen, den Dienst quittierte, als 1881 der spätere Kaiser Wilhelm II. die Prinzessin Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg heiratete, um jene Untertanen zu „versöhnen“, die auch nach 1867 weiter vom eigenen Bundesstaat Schleswig-Holstein träumten, da hatte das Land bereits sein neues Gesicht erhalten: „Alles Spätere ist nur noch Durchführung, Nachspiel, Routine, systematische Fortentwicklung.“

Bei der Integration der Dänen hat man versagt

Angesichts des zählebigen Partikularismus im Lande, wie er sich nicht zuletzt in der lange dominanten Geschichtsdeutung des „Brandt/Klüver“ artikulierte, oder wie er sich 1945 massenhaft in feindseligen Reaktionen gegen die „preußischen“ Flüchtlinge und Vertriebenen regelrecht austobte, mag man diese Bilanz vielleicht als zu positiv empfinden. Immerhin verweigerte die mißtrauische preußische Kultusverwaltung selbst noch zu demokratischer Zeit der Kieler Universität den beharrlich geforderten landeshistorischen Lehrstuhl, aus Furcht, mit einem solchen akademischen Stützpunkt das schleswig-holsteinische „Sonderbewußtsein“ zu vitalisieren. Erst 1923 erfüllte Berlin den Kieler Wunsch, als man sicher sein durfte, Lehre und Forschung des neuen Ordinarius Otto Scheel würden keine innenpolitische Zwietracht säen, sondern sich ganz im „Grenzkampf“ gegen Dänemark verausgaben.

Im preußischen Umgang mit seinen dänischen Staatsbürgern hebt Alberts die eigentliche Schattenseite, die „offene Wunde“ im Prozeß der „Einverleibung“ hervor. Der dänischen Mehrheit in Nordschleswig, die sich nie unter Preußens Herrschaft beugte, wollte Bismarck anfangs die Chance zur Volksabstimmung gewähren, so wie sie 1920 tatsächlich zur neuen Grenzziehung und Teilrevision des Wiener Friedens führte. Der Reichskanzler habe diesen Kurs aber nach 1871 verlassen.

Statt wenigstens den Ausgleich mit den dänischen Nordschleswigern und ihrem durch die Amputation der Herzogtümer „schwer gekränkten“, auf Revanche sinnenden Mutterland dadurch zu suchen, daß man auf ihre nationale Identität Rücksicht nahm, setzte man auf die „kulturelle Marginalisierung des Dänischen“. Wie in der Provinz Posen, in Teilen Westpreußens und Oberschlesiens gegenüber der polnischen Minderheit, so habe die preußische Nationalitätenpolitik damit auch im Norden eine „Sackgasse“ betreten. An den dänisch gesinnten Schleswig-Holsteinern habe Preußen, der so vorbildliche „Staat der Moderne“, schlicht „versagt“. Denn sich dem „überschäumenden Nationalismus“ zu verweigern und eine „kluge Autonomie- und Kulturpolitik“ zu treiben, wäre das „Gebot der Stunde“ gewesen.

Insoweit vermittle das Studium des ersten preußischen Jahrzehnts Schleswig-Holsteins eine fundamentale Geschichtslektion: Nur mit den „Maximen der heutigen deutschen Innen- und Außenpolitik“ wäre der „neu-deutsche Groß-Nationalismus“ und sein „politisches Scheitern“ im 20. Jahrhundert zu verhindern gewesen.

Klaus Alberts: Düppel 1864. Schleswig-Holstein zwischen Dänemark und Preußen. Boyens Buchverlag, Heide 2013, gebunden, 160 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro

Foto: Sonderburg nach intensivem Beschuß 1864: Von der „brillantesten Verwaltung ihrer Zeit“ in den preußischen Staatsverband eingegliedert

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