© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/14 / 18. April 2014

Dorn im Auge
Christian Dorn

Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen – lausche im Radio Amy Winehouse: „Back to Black“. Bin ganz gefangen von dieser Stimme, diesem Rhythmus – und unterbreche mein Schreiben.

„Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.“ Die Worte Friedrich Nietzsches zitierend erklärt Harald Heker, Vorstandsvorsitzender der Verwertungsgesellschaft GEMA, es wäre auch ein Irrtum, „wenn diejenigen, die die Musik erschaffen, die anderen damit Freude bereiten, Trost spenden oder Emotionen wecken, davon nicht leben könnten!“ Anlaß der Rede ist die Verleihung des mit 15.000 Euro dotierten Fred-Jay-Preises 2014, einer Auszeichnung für deutschsprachige Liedtexte, im Rahmen des alljährlichen GEMA-Mitgliederfests. Preisträgerin ist die erstaunliche Liedermacherin Dota Kehr, die vor einem Jahrzehnt als „Kleingeldprinzessin“ in die Öffentlichkeit trat und seither elf Alben veröffentlicht hat. Die zweifache Mutter und promovierte Ärztin aus Berlin wird von ihrem exzellenten Laudator Sebastian Krämer augenwinkernd als „linke Zecke“ vorgestellt. Und tatsächlich: Die Künstlerin spielt nur fünf ihrer Lieder, also 3.000 Euro pro Stück.

Vor dem Eingang, schließlich auch im Haus, agitiert ein Mann mit umgehängtem Transparent und mit Flugblättern gegen die „von Nazis geschaffene“ GEMA-Satzung. Der Verwertungsgesellschaft – so die Forderung – sei der „Nazigeist auszutreiben“. Die von ihm Angesprochenen schütteln nur den Kopf und lächeln. Dabei wird mir bewußt, daß die permanenten Diffamierungen der GEMA in der Presse genauso fundiert sind wie der „Kampf gegen Rechts“. Eine afrodeutsche Musikerin und ein Texter aus Hamburg unterstützen mich später am Abend, als ich gegenüber einem anderen Musiker Akif Pirinçci und das Problem der ethnisch-religiösen Parallelgesellschaften thematisiere. Hier ist Heimat. Überhaupt: Der Glaube an das Schöpferische vereint hier alle über die politischen Anschauungen hinweg im Sinne eines zivilisierten Umgangs und Respekts und nicht zuletzt der Lebensfreude. Lethe von der Theke hilft hier ungemein.

In der U-Bahn abends zwei auf englisch diskutierende Studentinnen, eine schwarz gekleidet, die andere in Rot. Letztere, so erfahre ich, schreibt eine Seminararbeit über den heutigen Antifaschismus in Berlin. Vorher hatten beide hin und wieder beim Begriff „fascist“ und „nazi“ die Köpfe geschüttelt, weil – wie mir schließlich eine von beiden erzählt – es in Berlin ja eigentlich nur Linksextremisten, aber keine Nazis gäbe.

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