© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/14 / 18. April 2014

„Die Bibel wird demoliert“
Viele Menschen können nicht mehr glauben. Kein Wunder, meint der renommierte Theologe Klaus Berger. In seinem neuen Buch zeigt er auf, wie uns die Theologie „um die Wahrheit betrügt“.
Moritz Schwarz

Herr Professor Berger, wie werden wir um die Wahrheit betrogen?

Berger: Indem die bestellten und bezahlten Ausleger der Bibel so tun, als gäbe es Gott nicht.

Was meinen Sie?

Berger: Viele Theologiestudenten geben zum Beispiel ihr Studium auf, weil sie währenddessen ihren Glauben verlieren. Denn im Studium wird die Bibel in einer Art und Weise zerlegt, ja geradezu demoliert, daß beinahe nichts mehr vom Glauben übrigbleiben kann.

Sie sprechen in Ihrem Buch von einer „systematischen Zerstörung“ des Glaubens.

Berger: Ja, denn wenn die Bibel – wie gerade die Reformation feststellt – die maßgebliche Grundlage für das Christentum ist, dann kann eine systematische Zerstörung dieser Grundlage nur diese Folge haben.

Aber wir glauben doch heute einfach deshalb nicht mehr, weil der Glaube unserem rationalistischen Weltbild widerspricht.

Berger: Man zieht den Berichten der Evangelien den historischen Boden unter den Füßen weg und hat die rationalistischen Maßstäbe der Vernunft und Wissenschaft übernommen, um die Bibel auszulegen.

Sie meinen die sogenannte historisch-kritische Methode.

Berger: Genau, die historisch-kritische Exegese – also Auslegung – der Bibel wurde maßgeblich von Ernst Troeltsch, ab 1892 Professor für Theologie in Bonn, entwickelt. Troeltsch war überzeugter Hegelianer, er glaubte daher an die Vernunft – und an Gott nur insoweit, als dieser mit der Vernunft identisch sei. Die Vernunft aber, so Troeltsch, richte sich nach dem Stand der Naturwissenschaften. Heute ist diese „liberale“ Exegese sowohl in der evangelischen wie in der katholischen Kirche die Standardmethode zur Bibelauslegung.

Sie waren früher selbst Anhänger dieser Methode.

Berger: Ja, für anderthalb Semester. Als diese Methode entwickelt wurde, geschah das auch in bester Absicht.

Troeltsch wollte das Christentum „retten“. Denn wie autoritär die Kirchen im 19. Jahrhundert noch waren, können wir uns heute kaum noch vorstellen. Die neue Methode sollte dagegen ermöglichen, zu glauben was vernünftig ist, statt wie bis dahin unhinterfragt das, was die Kirchen verordneten. Es war die Absicht, Christentum und Moderne zu versöhnen. Tragischerweise aber hat eben dieser Rettungsversuch zu dessen weiterer Zerstörung geführt. Weil wir das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und das eine diktatorische System durch ein neues ersetzt haben.

Inwiefern ist die historisch-kritische Exegese ein „diktatorisches System“?

Berger: Es ist darum herum längst nicht nur ein neues Establishment entstanden, sondern eine seit etwa fünfzig Jahren in sich geschlossene, bis zur Undurchlässigkeit und Unbeweglichkeit starre, neue Rechtgläubigkeit. Und wer es wagt, diese in Frage zu stellen, gilt als reaktionär oder von allen guten Geistern verlassen oder überhaupt als gefährlich, weil fundamentalistisch. Schon 1969 gab es den Fall der Theologin Andrea von Dülmen, die in Tübingen nicht promoviert werden durfte, weil sie angeblich „zu katholisch“ war. Dabei war die Frau nicht blind im Sinne von vorgestern, sondern neugierig im Sinne von übermorgen. Und konservativ, ja erzkonservativ, war nicht sie, sondern der völlig erstarrte, sich autoritär gebärdende „liberale Konsens“, der auf der historisch-kritischen Methode beruht.

Aber was ist falsch daran, die Bibel wissenschaftlich zu betrachten?

Berger: Dann wird man dem, worum es in der Bibel eigentlich geht, nicht mehr gerecht. Ich möchte noch einmal ausdrücklich betonen, daß ich vielen Fragen und Ergebnissen der historisch-kritischen Exegese mit Achtung und Anerkennung begegne! Aber in jedem Einzelfall und aufs Ganze ist sie der Sache, um die es geht, nicht gewachsen. Ihr Merkmal ist, überall nach der naturwissenschaftlichen Kausalität zu fragen. Wunder, Engel, Teufel – all das gibt es folglich gar nicht. Wo das Verhältnis von Ursache und Effekt nicht „logisch“ ist, soll man beides anders erklären, als die Bibel es sagt.

Das ist doch an sich einleuchtend.

Berger: Ja, weil Sie wohl selbst von der rationalistischen Weltsicht beziehungsweise von der Sicht auf Religion, die die historisch-kritische Methode erzeugt hat, geprägt sind. Aber darf ich fragen, worauf sich dann überhaupt der Glaube stützen soll?

Wie bitte, soll ein moderner Mensch an Engel, Teufel oder Wunder glauben?

Berger: Um diese Dinge zu begreifen, muß unser Verstand weiter werden. Das heißt: Über den Tellerrand des alltäglich Erklärbaren hinausgehen.

Aus rationalistischer Sicht macht Sie diese Forderung zu einem Fundamentalisten.

Berger: Ein Wort wie eine Keule! Leider hat es sich eingebürgert, jede Alternative zur liberalen Exegese kurzerhand damit zu belegen. Tatsächlich aber verhält es sich genau andersherum. Denn unter Fundamentalismus verstehe ich. Beispielsweise einzuschüchtern, statt mit Argumenten zu überzeugen. Oder das Beharren darauf, es könne nur eine Art und Weise geben, die Bibel auszulegen. Fundamentalismus ist damit Resultat einer Machtkonstellation, die dem Unterlegenen keine Chance läßt. Vor allem aber – und diese Absicht betrachte ich sogar als das eigentliche Kriterium des Fundamentalismus – unbedingt Bekehrung zu erwarten, wenn möglich sogar dazu zu zwingen. Fazit: Leider habe ich wiederholt die Erfahrung gemacht, daß eine Theologie dann am wenigsten davor gefeit ist, die eigene Macht zu mißbrauchen, wenn sie sich als „liberal“ bezeichnet.

Tatsächlich aber überfordern Sie doch selbst Gutwillige, wenn Sie erwarten, Wunder oder Engel als Realitäten zu betrachten. Damit zeigen Sie dem Normalmenschen von heute keinen gangbaren Weg.

Berger: Mit dem alltäglichen Rationalismus kann man noch nicht einmal dem Phänomen „Liebe“ näherkommen, geschweige denn einem Liebeskummer. Daß den Menschen heute die religiöse Einschätzung dessen, was wirklich ist, verschlossen zu sein scheint, ist ja gerade auch Folge der liberalen Exegese. War früher die Antwort vieler Leute auf das Christentum: „Ich kann es nicht glauben“, so lautet sie heute: „Es ist stimmt ja eh alles nicht.“ Woher kommt dieses Fortschreiten von der Glaubensnot zum triumphierenden Atheismus? Jahrzehnte der historisch-kritischen Bibelauslegung haben zu einer volkskirchlichen Wüste geführt. Und zerstört wurde wirklich systematisch alles, von der Geburt in Bethlehem bis zu Jesu Himmelfahrt, von der Jungfrau Maria bis zu Weltgericht und Wiederkunft Christi.

Ist Jesus am Ostersonntag nicht nur sinnbildlich, sondern wirklich und wahrhaftig auferstanden?

Berger: Leibhaftig auferstanden, natürlich. Die Gewißheit der realen Überwindung des Todes ist eine Essenz des Christentums und steht im Mittelpunkt des Ostergeheimnisses. Auferstehung ist genauso real wie Tod und Schmerz es sind. Anders zu reden ist hier eine zynische Verhöhnung und Verspottung der Nöte des Menschen.

Wieso sprechen Sie eigentlich von „Bibelfälschern“, wenn Sie doch zugestehen, daß es sich bei der historisch-kritischen Exegese um eine Methode handelt – also um eine Anwendung, nicht um eine böse Absicht?

Berger: Weil Fälschung da einsetzt, wo wesentliche Teile der Wirklichkeit gezielt unterschlagen werden. Ziel dabei ist, das Christentum bis zur Unkenntlichkeit zu einer sanften und völlig unverbindlichen Sonntagsmoral zu deformieren.

Warum?

Berger: Aus Mutlosigkeit, weil man glaubt, man käme weiter, wenn man den Leuten nachrennt.

Was meinen Sie?

Berger: Zum einen ist da ein schamhaftes Gefühl, unmodern zu erscheinen. Die Wunder, Engel, Visionen und Charismen in der Bibel wirken aus „vernünftiger“ Sicht peinlich und unpassend, also werden sie ausgesondert. Man geht sogar so weit, sie als „katholischen“ oder schlimmer noch als „fundamentalistischen“ Triumphalismus zu brandmarken. Ganz besonders die Märtyrer, die vom himmlischen König „faseln“, findet man fehl am Platz. Zum anderen steckt dahinter die Reduzierung des modernen Menschenbildes auf den Konsumenten. Denn wenn ich annehme, daß ich nur bestehen kann, wenn die Leute eine Religion auswählen, wie sie ihre Automarke auswählen, dann werde ich diese natürlich möglichst angenehm gestalten. Gebote, Himmel und Hölle glaubt man den Leuten da nicht mehr zumuten zu können. Man versucht, die Religion friedlich und angenehm zu machen, so daß es weder Mühe noch Mut oder gar Widerstandsgeist braucht, um ihr zu folgen. Und so werden auch theologische Äußerungen in der Öffentlichkeit auf die allgemeine Correctness reduziert: „Frieden“, „Schöpfung bewahren“ oder „soziale Gerechtigkeit“. Schön und gut, nur tatsächlich ist die Anpassung des Christentums an die geläufige Correctness und Durchschnittsauffassungen das Peinlichste überhaupt! Und ich bin mir sicher, würden Propheten wie Jesaja oder Jeremia heute leben, sie würden Zeichen setzen, die die Menschen erschrecken!

Was ist die Folge?

Berger: Es entsteht ein „Christentum“, das fromm tut, aber doch nicht wirklich wagt, über Gott und Glauben zu sprechen, weil so vieles daran heute ganz und gar politisch unkorrekt ist. Gewiß muß man scharf darauf achten, nicht in religiöse Sondersprache zu verfallen – darin liegt für viele das Haupthindernis.

Also ist die Debatte um Krise und Reform unserer Kirchen im Grunde nur ein Herumdoktern an den Symptomen?

Berger: Natürlich, die bloße Modernisierung der Kirchen löst das Problem nicht. Denn dieses besteht nicht in vermeintlich verkrusteten Strukturen, sondern in einem religiösen Burn-out.

Sie sagen voraus, daß „die Christentümer des Westens aus eigener Schwäche zusammenbrechen“ könnten.

Berger: Ja, denn man hat das Glaubensbekenntnis durch das Gebot der Toleranz entthront. Sobald sie bekennen, Christ zu sein, kommt die Gegenfrage: „Und wie hältst du es mit der Toleranz?“ Weil man sich nicht vorstellen kann, daß ein gläubiger Mensch tolerant sein könnte. Eigentlich eine merkwürdige Vorstellung ...

Außerdem warnen Sie: „Der Einmarsch der liberalen Bibelkritik in die katholischen und orthodoxen Kirchen Osteuropas und des Nahen Ostens steht kurz bevor.“

Berger: Hier bekommt Bibelauslegung dann weltgeschichtliche Bedeutung. Retten kann uns nur, wenn wir uns wieder mit dem uns inzwischen Fremdgewordenen in der Bibel vertraut machen und so den Zumutungen Jesu eine Chance geben. Hoffnung gibt mir, daß Widerspruch in der Geschichte nie das letzte Wort, sondern immer der Anfang des Neuen war.

Haben nicht viele Laien Angst vor einem theologischen Buch, weil sie sich überfordert fühlen?

Berger: Die Verkaufszahlen meines Buches reichen allerdings hier weit über die Zahl der Fachtheologen hinaus. Und sehr viele Jugendliche unter zwanzig bewältigen anspruchsvollste Fachbücher zur Informatik. Nur die kulturelle und religiöse Identität scheint die Mühe nicht wert zu sein.

Geht es Ihnen mit Ihrem Buch vielleicht eher um eine fundierte Streitschrift an die Adresse anderer Theologen, als um Breitenwirkung?

Berger: Nein, ich meine, daß ich gerade durch die gewählte Form, eine liberale These darzulegen und darauf mit einem „sed contra“ zu antworten, das Buch verständlich gestaltet habe.

 

Prof. Dr. Klaus Berger, der profilierte Neutestamentler schrieb 2004 mit „Jesus“ einen Bestseller. Bis 2006 lehrte er an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg. Dem Spiegel gilt er als „Solitär“, der Neuen Zürcher Zeitung als „für das Evangelium entflammter Theologe“. Einige Kollegen werfen ihm Fundamentalismus vor. Für eine Feuilleton-Debatte sorgte 2005 seine Bekanntgabe – als Professor einer evangelischen Fakultät –, nie aus der katholischen Kirche ausgetreten zu sein. Außer mit zahlreichen Fachartikeln und Fachbüchern, darunter eine renommierte Bibelkunde und eine Übersetzung des Neuen Testaments, meldet Berger sich auch in den Medien zu Wort, etwa in FAZ, Welt oder Zeit, und er schrieb über zwanzig populärwissenschaftliche Bücher, wie „Ist nach dem Tod alles aus?“, „Wozu ist Jesus am Kreuz gestorben?“, „Darf man an Wunder glauben?“ „Die Urchristen“ und nun „Die Bibelfälscher. Wie wir um die Wahrheit betrogen werden“. Geboren wurde er 1940 in Hildesheim.

Foto: Das Ostergeheimnis – Kreuzestod und Auferstehung: „Viele Theologiestudenten geben ihr Studium auf, weil sie währenddessen ihren Glauben verlieren. Denn im Studium wird die Bibel in einer Art und Weise zerlegt, daß beinahe nichts vom Glauben übrigbleibt.“

 

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