© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/14 / 18. April 2014

Zeitgeist statt Heiliger Geist
Religion: Ostern offenbart den Graben, der sich durch die evangelische Kirche zieht
Gernot Facius

Ostern hat es nicht leicht. In der Rangliste christlicher Feiertage rangiert es für viele auf Platz zwei hinter Weihnachten. Dabei ist Ostern das wichtigste Fest der Christenheit. Jesu Auferstehung, der Sieg des Lebens über den Tod, des Lichts über die Finsternis, wie in den Kirchen gepredigt wird, ist der zentrale Punkt des Glaubens von weltweit mehr als zwei Milliarden Menschen. Ostern verheißt Hoffnung über das Erdendasein hinaus.

Vom eigentlichen Sinn dieses Festes ist freilich nicht mehr viel zu erkennen. Auch Ostern wird in den Konsumrausch hineingezogen, zum „Hasenfest“ degradiert. Alles nur eine zwangsläufige Folge der Säkularisierungswelle? Oder geht auch einiges zu Lasten der berufsmäßigen Verwalter des Evangeliums? Bei den Stichwörtern Erlösung, Auferstehung und Gericht wird mancher Bischof, Präses oder Kirchenpräsident schmallippig. Und Ostern gewährt einen Blick in den Graben, der sich vor allem durch die evangelischen Kirchen zieht. Auf der einen Seite Theologen, vornehmlich aus der Zunft der historisch-kritischen Exegeten, die von der überlieferten Auferstehungslehre Abschied genommen haben und dem Satz „Der Herr ist auferstanden“ einen rein psychologischen und symbolischen Erklärungshintergrund geben.

Auf der anderen Seite diejenigen, repräsentiert vor allem durch die Evangelikalen, die ihre Glaubensgewißheit gegen alle modernistischen Versuchungen auf Paulus im 1. Korintherbrief gründen: „Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsere Predigt vergeblich, so ist auch unser Glaube vergeblich.“ Sie fühlen sich gut aufgehoben bei den Reformatoren, welche die Bibel als Gottes Wort in menschlicher Sprache definierten, und sie lassen sich deshalb ihre Zuversicht nicht nehmen, daß überall, wo das Evangelium mit Gewißheit verkündet wird, sich die Gotteshäuser füllen. Denn wie könne man einer Kirche trauen, die der Bibel nicht Vertrauen entgegenbringe?

Nach der Veröffentlichung der jüngsten und fünften EKD-Mitgliederstudie fragten nicht wenige Protestanten in Internetforen: „Ist der Gott der Bibel noch in der Evangelischen Kirche in Deutschland?“ Den Anteil der „kirchlich Hochaktiven“ gibt die Studie mit 33 Prozent an, und sogar von dieser Gruppe lehnten zwei Drittel ein „buchstäbliches Bibelverständnis“ ab. Die Zahl derer, die sich überhaupt nicht mit der Kirche verbunden fühlen, ist seit 1992 von 27 Prozent auf 32 Prozent gestiegen, die Bereitschaft zum Austritt nimmt zu, im Westen wie im Osten. Allein von 2002 bis 2012 sank die Zahl der EKD-Mitglieder von 26,2 auf 23,4 Millionen. „Fremde Heimat Kirche“, so lautete der Titel der in den neunziger Jahren publizierten Vorgängerstudien.

Die Fremdheit hat dramatische Ausmaße angenommen. Nicht wenige der für die Mitgliedererhebung Befragten verbinden, wie eine Fußnote erhellt, mit der Kirche des Wortes lediglich, daß sie „nicht katholisch“ ist – etwa weil hier auch Frauen im Pfarrdienst sein können oder weil sie „Frauen und Homosexuelle nicht diskriminiert“. Bereits 2007 hatte der sächsische Pfarrer und Publizist Theo Lehmann im lutherischen Magazin CA – Confessio Augustana den Mangel an Wissen bitter beklagt: „Heute wissen viele nicht mehr genau, was die Kirche ist, und regieren den Laden frei aus dem Bauch heraus. Bei kritischen Anfragen genügt es, mit der linken Hand die Fundamentalismuskeule zu schwingen und mit der rechten das Toleranzfähnlein zu schwenken, und so schwankt die Kirche daher wie ein Betrunkener besoffen vom Zeitgeist.“

Sozialpolitik, Ökostrom, Klimawandel, „Geschlechtergerechtigkeit“, diese Themen dominieren Synoden-Debatten. Die Kirchen von Martin Luther und Johannes Calvin verhalten sich wie sozial-ökologische Parteien. Zeitgeist statt Heiliger Geist. Selbst die EKD-Kulturbeauftragte Petra Bahr kam nicht umhin zu konstatieren: Gottesdienstliche Fürbitten klängen manchmal wie Reden vor der UN-Vollversammlung.

Und immer wieder fordern modernistische Tendenzen zur Kritik heraus. Erst die EKD-„Orientierungshilfe“ zu Ehe und Familie, die eher Verwirrung als Orientierung unter dem Kirchenvolk stiftete, jetzt ein „Studienzentrum für Genderfragen“ in Hannover, geleitet von zwei feministischen Theologinnen und mit jährlich 280.000 Euro aus Kirchensteuermitteln alimentiert. Diese Einrichtung trägt aufs neue Unfrieden in die Kirche der Reformation, als sei die durch das Familienpapier ausgelöste Unruhe nicht schon groß genug. Prompt meldete sich die evangelische „Konferenz Bekennender Gemeinschaften“ zu Wort. Sie spricht von einer „bibel- und bekenntniswidrigen Abkehr von der guten Schöpfungsordnung Gottes und dem christlichen Menschenbild“. Die Ideologie des Genderismus, die irrtümlicherweise mit Gleichberechtigung verwechselt werde, leugne, daß Gott den Menschen bipolar geschaffen habe. Wenn deren Vertreter behaupteten, man werde nicht als Frau geboren, sondern „wird zur Frau gemacht“, sei dies theologisch gesehen eine Irrlehre, so das Urteil. Diese Lehre stehe außerdem gegen alle Vernunft und die Naturwissenschaft. Abermals vertiefe die EKD den Graben zur katholischen und zur orthodoxen Kirche und belaste den ökumenischen Dialog.

Das ist nicht von der Hand zu weisen. Papst Franziskus hat den Genderismus als „dämonisch“ verurteilt. Dabei soll nicht übersehen werden, daß sich auch in die katholische Kirche vergleichbare Gedanken einschleichen. Doch wie schrieb der Publizist Alexander Kissler in einem Kommentar? „Wenn sich, wie stets zu hören ist, die Katholiken in der Dauerkrise befinden, dann sind die Protestanten bereits in die Apokalypse eingetreten.“

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