© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/14 / 11. April 2014

Der kleine Gott der Welt in der Garage
Laienforscher erobern die Biotechnologie / Ethik und Moral bleiben außen vor
Heiko Urbabzyk

Wissen Sie, was Ihr Nachbar in seiner Garage treibt? Vielleicht ist er ein „Biohacker“: ein Laie, der in seinem heimischen „Hackerspace“ am Rechner Gensequenzen manipuliert oder sich selbst Computerchips einpflanzt. Das wäre nicht ungewöhnlich. Die Biohacker-Bewegung ist unaufhaltssam auf dem Vormarsch – und sie wird unsere Gesellschaft verändern.

Denn Biotechnologie ist längst kein exklusives Feld mehr für hochbezahlte Wissenschaftler. Wer bei diesem Forschungszweig noch an staatlich überwachte Hochsicherheitseinrichtungen denkt, wird vor dem erschauern, was mittlerweile wirklich abgeht. Laborausrüstung ist erschwinglich geworden. Im Netz kann man komplette Experimentierbaukästen bestellen: Gerätschaften, Gensequenzen und Anleitungen inklusive. Bei der Firma New England BioLabs Inc. (Ipswich, USA) bekommt man Baukästen für 250 US-Dollar. Auch Zubehör fürs Klonen ist im Angebot. Die Seite instructables.com bietet kostenlose Anleitungen für jedermann, während die gesamten biologischen Datenbanken jedem Biohacker offenstehen. So findet man beim US-amerikanischen National Center for Biotechnology Information (NCBI) alle bisher sequenzierten Genome.

Kein Wunder also, daß sich weltweit eine Szene von Hobby-Laboren in Garagen und Kellern entwickeln konnte. In manchen größeren „Hackerspaces“ arbeiten Profis mit Laien sogar so selbstverständlich zusammen, als würde man einen Kochkurs in der Familienbildungsstätte besuchen.

Den Konzernen ihr Monopol entreißen

Wie viele Daniel Düsentriebs dieser Art es gibt, ist naturgemäß nicht bekannt, denn der Organisationsgrad der Biohacker ist gering. Es könnten einige Dutzend sein, aber auch mehrere tausend. Der bedeutendste Biohacker-Blog diybio.org hat weit über 3.000 Nutzer. Hier kann man sich austauschen, mit Ausrüstung versorgen oder Experten zu Sicherheitsfragen kontaktieren. Der Wettbewerb International Genetically Engineered Machine (iGEM) des renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) wird auch auf diybio.org beworben. Er hatte im Jahr 2004 noch fünf Teilnehmermannschaften; im Jahr 2012 waren es bereits 245. Der Trend ist klar.

Nur ganz wenige Hobby-Labore der gehobenen Klasse treten mit Hilfe von Netzseiten an die Öffentlichkeit, wie etwa die Kopenhagener BiologiGaragen, das New Yorker Genspace oder der Ire Cathal Garvey. Garvey wechselte die Seiten von der professionellen Forschung zur „Do it yourself“-Szene. Es heißt, er sei der einzige Europäer mit einem zertifizierten Sicherheitslabor zu Hause. „Ich glaube, Biotechnologie […] gehört in die Hände einzelner und nicht nur in die von Konzernen und staatlich finanzierten Instituten“, schreibt Garvey auf seiner Seite indiebiotech.org. Die Biotechnologie werde die Welt verändern.

Den bisher besten Einblick in die unübersichtliche Schattenwelt bietet das Buch „Biohacking. Gentechnik aus der Garage“ (Hanser, 2013) von Hanno Charisius, Richard Friebe und Sascha Karberg. Die drei Wissenschaftsjournalisten sind selbst Teil der Biohacker-Bewegung geworden, bestellten sich Baukästen und besuchten Labore und Aktivisten. Es ist für Außenstehende der einfachere Zugang zu einer Bewegung, deren englischsprachige Netzseiten den meisten Neugierigen zunächst eher chinesisch vorkommen.

Das muntere Köcheln im verborgenen birgt ohne Zweifel die Gefahr eines unkontrollierten Bioterrorismus. Jedoch stufen derzeit weder das amerikanische FBI noch die Abteilungen der Vereinten Nationen, die das Internationale Biowaffenabkommen überwachen, die Biohacker als Gefahr ein. Doch können die alles wissen? Ein Restrisiko bleibt.

Die Biohacking-Szene wird Kritiker von Gentechnik und Biotechnologie vor neue Probleme stellen. Wie verhindert oder kontrolliert man Hunderte unbekannte Einzelkämpfer, die längst entschieden haben, die Natur auf eigene Faust zu perfektionieren? Aus der Biohacker-Szene vernimmt man zwar wohlklingende Begriffe wie Demokratisierung, Forschung für jedermann oder „Open Source“. Über Moral und Ethik ist jedoch nichts zu hören. Erlaubt ist anscheinend alles, was machbar ist. Die Schöpfung steht dabei im Wege.

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