© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/14 / 11. April 2014

Von allen guten Geistern verlassen
Napoleons Abdankung 1814: Im April vor 200 Jahren entschied sich vorerst das Schicksal des Kaisers der Franzosen
Jan von Flocken

Ein Beifallssturm tobte vor der Schloßfront in Fontainebleau, 55 Kilometer südlich von Paris. „Alle riefen augenblicklich: ‘Es lebe der Kaiser! Auf nach Paris!’ Alle Herzen beseelte neue Hoffnung“, erinnerte sich der Gardehauptmann Denis Parquin. Doch was sich an diesem Nachmittag des 3. April 1814 abspielte, glich einem Trugbild. Napoleon hatte die Reste seines Heeres zwar zu motivieren vermocht mit Tiraden wie: „Soldaten, der Gegner hat uns um drei Tagesmärsche überholt und Paris besetzt. Wir müssen ihn von dort verjagen. (...) Schwören wir, daß wir siegen oder sterben werden, daß wir ihnen die Beleidigung unseres Vaterlandes und unserer Waffen heimzahlen werden!“ Aber nun geschah das Unerwartete: Die Kommandeure spielten nicht mehr mit.

Im Frühjahrsfeldzug 1814 bewies der Kaiser noch einmal seine Qualitäten als Feldherr. Es gelang ihm, auf französischem Boden die notorisch zerstrittenen Alliierten (Russen, Preußen und Österreicher) in mehreren Schlachten zu besiegen. „Napoleon hatte allen gezeigt, daß er noch wie der junge General Bonaparte zu fechten verstand“, so sein Biograph Franz Herre. Aber die numerische Überlegenheit der Gegner setzte sich schließlich durch. Ende März wurde die letzte Armee geschlagen, welche noch zwischen Paris und den Verbündeten stand. Fast 400 Jahre war es her, zur Zeit der Jungfrau von Orléans, daß eine feindliche Streitmacht in Sichtweite von Frankreichs Hauptstadt kam.

Am 30. März griffen preußische und russische Truppen die östlichen Vorstädte von Paris zwischen Clichy und Vincennes an. Sie verfügten über mehr als 100.000 Mann, während die Verteidiger, geführt durch die Marschälle Marmont und Moncey, nur 42.000 aufbieten konnten, darunter Kadetten, Milizionäre und Invaliden. Noch am selben Tag endete das Gefecht, nachdem die Preußen Kanonen auf dem eroberten Montmartre-Hügel auffahren ließen, und es kam zu Kapitulationsverhandlungen. Die Franzosen erhielten ehrenvolle Bedingungen und durften mit sämtlichen kampffähigen Soldaten abziehen. Am 31. März rückten die Verbündeten in Paris ein.

Napoleons Pläne, seine Metropole wiederzuerobern, wurden von hohen Militärs durchkreuzt. In Fontainebleau forderten ihn mehrere Marschälle ebenso unverblümt wie schroff zur Abdankung auf. Zum Wortführer machte sich ausgerechnet Michel Ney, den der Kaiser einst als „Tapfersten der Tapferen“ geehrt hatte. „Es muß ein Ende gemacht werden. Ihre Lage gleicht der eines hoffnungslos Kranken. Sie müssen Ihr Testament machen und abdanken!“, schrie Marschall Ney seinen einstigen Gebieter an. Auch das Bürgertum ließ Napoleon jetzt fallen. Keiner wollte sich der Ächtung durch die neuen Machthaber aussetzen oder einer verlorenen Sache anhängen. In der Politik führten nun Fuchsnaturen wie der Diplomat Charles de Talleyrand das Wort.

Als Konsequenz dankte Napoleon quasi in Raten ab. Am 4. April erklärte er den Thronverzicht zugunsten seines dreijährigen Sohnes, dem König von Rom. Doch das genügte den Alliierten nicht. Namentlich Rußlands Zar Alexander I. stand bei der angestammten Dynastie der Bourbonen im Wort und wollte ihr wieder die Krone verschaffen. Zähe Verhandlungen folgten; der Kaiser dachte schon in einem Akt der Verzweiflung daran, die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen. Endlich mußte Napoleon am 11. April auch noch die sogenannte Entsagungsakte unterzeichnen, worin er „für sich und seine Erben auf die Throne von Frankreich und Italien verzichtet“.

Napoleon versuchte sich mit Gift umzubringen

Damit stand der Kaiser vor den Trümmern seines politischen und persönlichen Werkes. Daß ihn fast alle Kampfgenossen verlassen hatten und es nur noch von Verrätern, Überläufern und Feiglingen wimmelte, trieb ihn nachgerade in den Selbstmord. In der Nacht zum 13. April nahm er eine hohe Dosis Opium und Belladonna zu sich. Diese Mixtur hatte er sich schon Ende 1812 von einem Militärarzt geben lassen, um während des katastrophalen Rückzuges aus Rußland nicht lebend in Feindeshand zu fallen.

Kurz vor seinem vermeintlichen Tod sprach er noch mit Armand de Caulaincourt, Generaladjutant und zeitweiliger Außenminister. Dieser von allen geschätzte Ehrenmann verfaßte seine Memoiren, die allerdings erst 1930 veröffentlicht wurden. Darin berichtete Caulaincourt über Napoleon in jener Nacht: „Er sprach mit schwacher, schmerzbewegter Stimme und machte häufig Pausen, wie jemand, dem der Todeskampf die Kraft raubt. (...) Er schluckte fortwährend und litt sehr.“ Doch der notorisch kranke Magen des Imperators konnte die hohe Dosis des Giftes („Stark genug, um zwei Männer zu töten.“) nicht vertragen und brach alles wieder aus.

Nachdem Napoleon resigniert feststellte, der Tod wolle ihn offenbar noch nicht, nahm er am 20. April in Fontainebleau Abschied von den Veteranen seiner legendären Alten Garde. Die Siegermächte hatten ihm als Exil die italienische Insel Elba zugewiesen. Dort sollte es den gestürzten Kaiser aber nur zehn Monate halten. 1815 kehrte er nach Frankreich zurück, um sein weltgeschichtliches Drama bei Waterloo im Juni zu vollenden.

Foto: Paul Delaroche, Napoleon in Fontainebleau, Öl auf Leinwand 1845: Es wimmelte von Verrätern, Überläufern und Feiglingen um ihn

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