© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/14 / 11. April 2014

Mit der Kamera zu erborgenen Orten
Fototouren: Ein Berliner Unternehmen führt an brachliegende Stätten wie den Spreepark
Ronald Berthold

Die Tour durch den verlassenen Ort hat etwas vom Entdecken einer Geisterstadt, die der Urwald erobert hat. Im einstigen „Spreepark“ mitten in Berlin brechen Wurzeln durch betonierte Wege, Bäume und Sträucher überwuchern alte Bahngleise und Karussells, verwitterte Preisschilder verlangen „10 Pfennig“.

Seit zwölf Jahren ist der einstige Vergnügungspark in Berlin-Treptow sich selbst überlassen. Die Natur ergreift von dem Terrain mit voller Wucht Besitz und bietet wunderbare Motive für eine Bildersafari. Das von Thilo Wiebers und Andreas Böttger gegründete Unternehmen „go2know“ führt „Fotoeinsteiger und -profis“ für vier Stunden durch den verwunschenen Park. Die Teilnehmer können Bilder von dem Ort machen, der zu DDR-Zeiten als Ganzjahresrummel das sozialistische Einheitsgrau etwas bunter gestalten sollte.

Weitere Fototouren unter dem Motto „Geheime Orte entdecken“ führen zur ehemaligen FDJ-Hochschule an den Bogensee, in das frühere „Haus der Offiziere“ oder die Infanterieschule nach Wünsdorf, zu den Beelitz-Heilstätten und den Kinderheilstätten in Hohenlychen oder auf den 2008 aufgegebenen Berliner Flughafen Tempelhof. Die Touren dauern bis zu fünf Stunden und kosten ab 35 Euro je Teilnehmer.

Der Berliner Senat bürgte mit 20 Millionen Euro

Doch zumindest die Entdeckungstouren in den Spreepark gehen in diesem Monat zu Ende. Die Veranstalter haben für den 25. April die letzte terminiert. Der Berliner Senat hat das Areal über seinen Liegenschaftsfonds erworben. Go2know geht davon aus, „daß wir keine weiteren Termine mehr nach Ende April genehmigt bekommen“.

Bevor der „Spreepark“ im Plänterwald unweit des Stadtzentrums endgültig in seinen Dornröschenschlaf fiel, versuchte sich elf Jahre der schillernde Schausteller Norbert Witte daran, ihn profitabel zu betreiben. Er scheiterte spektakulär und verschwand im Januar 2002 über Nacht. Mit sechs Attraktionen flüchtete Witte ins südamerikanische Peru; unter dem Vorwand, die Karussells instandsetzen zu lassen, verschiffte er sie heimlich nach Lima. Der Berliner Senat war düpiert. Mit 20 Millionen Euro hatte die Landesregierung für Witte gebürgt. Die filmreife Flucht des CDU-Mitglieds Witte sorgte für Aufsehen. Daß ein in politischen Kreisen gut Vernetzter unbemerkt Fahrgeschäfte abbaut und ans andere Ende der Welt schafft, hatte es selbst in der Skandale gewöhnten Hauptstadt noch nicht gegeben.

Das Insolvenzverfahren offenbarte Schulden in Höhe von elf Millionen Euro, die niemand übernehmen wollte. So fing der Freizeitpark an, vor sich hin zu gammeln. Ungewollt entwickelte er sich jedoch zu einer neuen Attraktion – freilich für weit weniger Menschen als einst. Neben Abenteuerlustigen und Fotofreaks haben Filmschaffende das 21 Hektar große Areal als Kulisse für ihre Produktionen entdeckt. Der mystische, unübersichtliche Charakter des Parks liefert hervorragende Hintergründe für Verfolgungen und Dramen.

Das Riesenrad mit den 36 Gondeln erinnert als stummer Zeuge noch immer an bessere Tage. Mit seinen 45 Metern Höhe ist es das zentrale Relikt einer untergegangenen Epoche – auch wenn die Fotofans heute mehr ein Auge für die kleinen Motive als für den Stahlgiganten haben. Zu DDR-Zeiten pilgerten jährlich bis zu 1,7 Millionen Menschen in den „Kulturpark Plänterwald“, wie er damals hieß. Auch Witte, der nach der Wiedervereinigung weitere Attraktionen aufstellen ließ, lockte mit seinem Konzept noch fast genauso viele Besucher an. Die Anlage bildete seit 1969 eine feste Institution in der Stadt.

Die glorreiche Vergangenheit, das große Einzugsgebiet allein mit 3,5 Millionen Berlinern und immer zahlreicher werdenden Touristen hat im Laufe der Jahre viele Investoren fasziniert. Neben den Betreibern des Kopenhagener „Tivoli“ und einem französischen Unternehmen wollte auch Witte das Areal reanimieren. Doch alle Pläne scheiterten – auch an den hohen Schulden, die das Gelände immer noch belasteten.

Im März kaufte das Land Berlin das Erbbaurecht für den nie wirklich in Vergessenheit geratenen Park zurück. Dem Vernehmen nach zahlte der Senat mehr als 2,5 Millionen Euro dafür. Das Erbbaurecht lag immer noch in den Händen von Norbert Witte – und zwar bis 2061.

Zumindest das Verschwinden des verwunschenen Ortes erfolgt nun ziemlich schnell. Noch in diesem Frühling sollen die verrotteten Fahrgeschäfte demontiert werden. Wie es dann weitergeht, bleibt unklar. Die Rede ist von einem „hochwertigen und umweltverträglichen Kultur- und Freizeitpark“. Über mögliche Investoren, konkrete Kosten und vor allem die geplante Fertigstellung hüllt sich der Senat in Schweigen. Klar ist damit erst einmal nur, daß das „10 Pfennig“-Schild demnächst niemand mehr vor die Linse bekommt.

Kontakt: go2know, Knaackstraße 92, 10435 Berlin, Telefon: 030 / 32 50 93 66

www.go2know.de

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