© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/14 / 11. April 2014

„Der Tod singt hier“
Beinahe wäre eine andere Welt dagewesen: Eine Ausstellung im Münchner Literaturhaus widmet sich dem Thema „Robert Musil und der Erste Weltkrieg“
Felix Dirsch

Welche Einflüsse der Erste Weltkrieg auf Robert Musils Werk ausübte, ist nicht leicht zu bestimmen. Einerseits ist die Zahl der direkten Anspielungen auf das große Morden eher gering, zumal der Autor in den zwanziger Jahren dazu überging, manche Texte, die ursprünglich den Geist der Erlebnisse zwischen 1914 und 1918 atmeten, umzuarbeiten. Andererseits verraten die „Portugiesin“, „Grigia“ und die „Amsel“ direkte Einflüsse aus dieser Zeit.

Wie sieht es mit den Wirkungen auf das torsohaft gebliebene Hauptwerk „Der Mann ohne Eigenschaften“ aus? Der Autor, 1880 in Klagenfurt geboren, hat wohl 1913 begonnen, daran zu arbeiten. Als Anhänger der Ideenwelt des Gründers der Paneuropa-Union, Richard Graf Coudenhove-Kalergie, glaubte er an die Möglichkeit einer kompletten Umwandlung der Welt, quasi an eine echte Stunde Null. In einem um 1919 verfaßten Beitrag heißt es: „Können Utopien plötzlich Wirklichkeit werden? Ja. Siehe den Kriegsschluß. Beinahe wäre eine andere Welt dagewesen. Daß sie ausblieb, war keine Notwendigkeit.“

Wer den „Mann ohne Eigenschaften“ kennt, weiß um die Bedeutung, die dem schwer auszulotenden Verhältnis von Möglichkeit und Utopie auf der einen Seite und der Wirklichkeit auf der anderen zukommt. Auch neuere Monographien, etwa die jüngst erschienene, nicht leicht lesbare Musil-Studie der Münchner Germanistin Inka Mülder-Bach, belegen die Bedeutung des Ersten Weltkrieges als Hintergrundfolie für die Wahrnehmung der politischen und religiösen Strukturen Kakaniens.

Prägend für ihn war die Kadettenschule

Man ahnt angesichts einer solchen Gemengelage, wie spannend eine Spurensuche ist. Die Ausstellung „Der Gesang des Todes“ im Münchner Literaturhaus, die aus der Zusammenarbeit mit dem Südtiroler Landesmuseum für Kultur und Landesgeschichte Schloß Tirol hervorgegangen ist, zeigt plastisch und multimedial diese Zusammenhänge. Die ausgewählte Zahl der Exponate ist in einem großen Raum gut zu überblicken. Auch die Gliederung ist nachvollziehbar. Es werden drei große Bereiche beleuchtet: Biographie, Hintergründe des Krieges sowie endlich dessen Niederschlag in Musils publizistischem Wirken, das über das schriftstellerische hinausgeht.

Am Anfang des Rundganges finden sich etliche Erläuterungen zum Lebenslauf des Österreichers, Erfahrungen vor dem Krieg, Erlebnisse von 1914 bis 1918 sowie in den Jahren unmittelbar danach. Prägend für seine Entwicklung war der Aufenthalt in der berühmten Kadettenschule Mährisch-Weißkirchen, die für ihren Drill bekannt war. Die Erfahrungen des Jugendlichen haben sich in der späteren Erzählung „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ niedergeschlagen.

Dokumente und Bilder zu Musils Militärdienstzeit, dem „Einjährig-Freiwilligenjahr“ werden gezeigt, das die Wehrzeit für zukünftige Akademiker verkürzen sollte. Danach folgte das Ingenieurstudium. Eine Syphilis-Erkrankung, die sich um 1900 bemerkbar machte, gehörte zu den unschönen Seiten des Lebens. Einblicke gewähren auch Zeugnisse über seine Gattin Martha Marcovaldi, die in dritter Ehe mit Musil verheiratet war.

Nach Musils Biographie wird das historische Geschehen des Ersten Weltkrieges behandelt, beispielsweise durch die Präsentation alter Aufnahmen. Besonders eindrucksvoll ist eines der Bilder, auf dem Tote infolge einer (wohl künstlich herbeigeführten) Lawinenkatastrophe dargestellt sind, sowie eine Aufnahme aus einem der zahlreichen Lazarette. Musil hatte den Krieg anfangs, wie die meisten Zeitgenossen, begrüßt, wurde jedoch bald darauf ernüchtert. 1915 leistete er Dienst in Palai im Felsental. Eines seiner amourösen Abenteuer (mit der Bäuerin Magdalena Lenzi) beschrieb er literarisch verhüllt in der Novelle „Grigia“, in der auch der Menschentypus dieser Gegend beschrieben ist.

Nach seiner Versetzung kam es schlimmer. In der Nähe von Fort Tenna am Caldonazzo-See wäre er fast durch einen der gefürchteten Fliegerpfeile umgekommen – ein Erlebnis, das er in „Ein Soldat erzählt“ und in der Erzählung „Die Amsel“ verarbeitete. Bei seinem Einsatz am Isonzo konnte er verlustreiche, nervenaufreibende Materialschlachten im Detail beobachten. Das Schicksal der Verwundeten, die in Zugwaggons in Spitäler transportiert wurden, ging ihm nahe. Das verraten nicht zuletzt Auszüge von Texten, die in der Ausstellung auch als Tondokumente gehört werden können. Ihm selbst blieb der Lazarettaufenthalt nicht erspart. Im „Kriegstagebuch“ wird dieser reflektiert. „Der Verwundetentransport“ und die Prosaskizze „Der singende Tod“ legen von dieser Zeit Zeugnis ab.

Nach vielfältigen Darstellungen von Fronterfahrungen erwartet den Betrachter die dritte Abteilung. Er kann Texte von Musil, in denen er Erlebtes literarisch verarbeitet, lesen und hören. Die Ausstellungsmacher wählten dazu repräsentative Stellen aus. Hervorzuheben ist die gelungene Gestaltung des Ausstellungraumes. Zentral türmt sich Geröll zu einem Gebirge, auf das der Besucher zugeht. So wird vermittelt, daß die maßgeblichen Eindrücke des Literaten aus Kämpfen im Gebirge herrühren.

Die Ausstellung schließt von ihrer Qualität an erfolgreiche frühere im Literaturhaus an und kann sich mit vielen anderen zum Thema „1914“, die derzeit zu sehen sind, durchaus messen.

Die Ausstellung„‘Der Gesang des Todes’. Robert Musil und der Erste Weltkrieg“ ist bis zum 22. Juni im Münchner Literaturhaus, Salvatorplatz 1, wochentags 11 bis 19 Uhr, Sa./So. 10 bis 18 Uhr, zu sehen. Das Begleitheft kostet 6 Euro. Telefon: 089 / 29 19 34-0

www.literaturhaus-muenchen.de

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