© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/14 / 11. April 2014

Bedrohte Ladengeschäfte
Onlinehandel: Mit Umtauschservice und Niedrigpreisen drangsalieren Zalando und Co. den Einzelhandel
Markus Brandstetter

Die Buchhandlung Hugendubel am Münchner Marienplatz war einmal das Nonplusultra unter den deutschen Buchhandlungen: 3.500 Quadratmeter pures Bucherlebnis, nicht enden wollende Regalreihen, 100.000 Bücher im Sortiment, in denen die Bücher zwei- und dreifach hintereinander standen, ein kompetentes Personal, überall Rolltreppen und runde, grasgrüne Leseinseln für erschöpfte Dauerleser, ein Café mit Blick auf die Altstadt mit leiser Jazz-Musik.

Nach Buchhändlern sind Spielzeugläden in Gefahr

Viel besser konnte ein Buchladen in Deutschland nicht sein. Und jetzt macht der Hugendubel am Marienplatz zu, im Frühjahr 2016, wo er 1979 einst eröffnet worden war. Hugendubel hält mit dem Grund für die Schließung auch gar nicht hinter dem Berg: Amazon und der Internethandel.

Die Kundenfrequenz im Münchner Haupthaus, die erwirtschafteten Umsätze und Erträge sind in letzter Zeit dermaßen zurückgegangen, daß die Buchhandelskette sich die Miete am Marienplatz nicht mehr leisten kann.

Da stellt sich die Frage: Wenn schon eine frühere Kraftzentrale wie Hugendubel wegen der Konkurrenz aus dem Internet sein Vorzeigegeschäft aufgeben muß – wie schlimm ist es dann eigentlich um den übrigen stationären Handel bestellt? Dieser Frage sind Mitarbeiter der Münchner Beratung Dr. Wieselhuber & Partner nachgegangen, und was sie herausgefunden haben, klingt für den traditionellen Einzelhandel nicht gut.

Die Wieselhuber-Leute haben sich die Frage gestellt, welche Branchen im Handel durch die Konkurrenz aus dem Internet wie stark bedroht sind. Dazu haben sie 8.000 Kunden befragt und dann einen nach Branchen gegliederten Bedrohungsindex aufgestellt, der von „1“ (kein Risiko, durch das Internet verdrängt zu werden) bis zu „100“ (maximales Risiko) geht. Laut der Studie ist die Vereinigung Deutscher Spielwarenhändler (Vedes), der 1.000 Einzelhändler in Europa angehören, am stärksten bedroht. Warum? Weil Spielwaren hochstandardisierte Produkte sind, die weder besonders erklärungsbedürftig noch serviceintensiv sind, weshalb der Wettbewerb hauptsächlich über den Preis und die Größe des Angebots läuft, und da haben die Internethändler die Nase vorn. Playmobilfiguren oder Brio-Eisenbahnen werden immer öfter vom Bett aus auf dem Tablettrechner geordert.

Fast genauso bedroht wie die Spielwarenhändler sind Elektronikmärkte wie Expert, Electronic Partner, aber auch Media Markt und Saturn, weil bei Fernsehern, Stereoanlagen und Kühlschränken die Margen schon lange sehr niedrig sind, die Internethändler inzwischen alle auch aufstellen, einbauen und die Altgeräte mitnehmen und gerade die Media-Markt-Kette spät und ineffektiv ins Online-Geschäft eingestiegen ist.

Umtauschen ist längst unproblematisch möglich

Im mittleren Bedrohungsfeld bewegen sich Sport-, Mode- und Schuhhändler. Besonders gefährdet sind nach Ansicht der Münchner die vielen Billig-Ketten wie Kik, Vögele, NKD und Takko, die in den letzten zwanzig Jahren den Markt aufgerollt haben, jetzt aber selber unter Druck geraten.

Bei Mode und Sportbekleidung hatte eine alte Weisheit immer gelautet: Der Kunde bestellt doch nicht ein Unterhemd oder einen Schlafanzug im Internet, das kauft er immer noch in seiner Fußgängerzone vor Ort. Ja, von wegen! Seit die meisten Onlinehändler für Versand und Retouren entweder gar nichts oder fast nichts mehr verlangen und jedes Paar Schuhe, jeder Slip und jeder Kissenbezug zurückgeschickt werden kann, worauf der Kunde den Kaufpreis anstandslos erstattet bekommt, gilt diese Erkenntnis nicht mehr. Selbst Laufschuhe, Snowboards und Rennräder, Produkte, die gestern noch als beratungsintensiv galten, werden inzwischen millionenfach im Netz verkauft.

Die Verschiebung vom stationären Handel ins Internet verläuft in Wellen und erfaßt nach und nach auch Branchen, die sich noch vor kurzem vor jeder Online-Konkurrenz sicher gewähnt haben. Daß sie das nicht mehr sind, zeigt das Beispiel Möbel. Inzwischen kann man ganze Schrankwände im Internet bestellen. Und wer baut die auf? Natürlich die Leute, die geliefert haben.

Am wenigsten gefährdet ist der Lebensmitteleinzelhandel, der aber in Deutschland sowieso in der Hand weniger mächtiger Ketten, insbesondere der Discounter liegt. Den Einkauf von Fleisch und Wurst, Obst und Gemüse, Milchprodukten und Grundnahrungsmitteln tätigen die meisten Leute immer noch in einem echten Geschäft, wo sie die Ware sehen, fühlen und riechen können. Aber auch hier gibt es Ausnahmen. Wein wird genau wie teure Spezialitäten (Parmaschinken, Trüffel in Dosen, sogar Kobe-Rindfleisch) bereits seit Jahren erfolgreich über das Internet verkauft. Amazon droht auch hier schon länger mit einem vollen Einstieg ins Lebensmittelgeschäft, der, wenn er einmal kommt, den stationären Handel zusätzlich schwächen wird.

Die Wieselhuber-Studie hat Wellen der Empörung bei Fachverbänden ausgelöst, aber das unterstreicht nur, wie dramatisch die Situation für den Einzelhandel wirklich ist. Noch zwanzig Jahre lang werden Kunden in immer mehr Branchen in das Internet abwandern, was den Einzelhandel in vielen Branchen mindestens ausdünnen, oft in starke Bedrängnis bringen, auf jeden Fall aber zu radikal neuen Strategien zwingen wird. Halbe Innenstädte werden in den kommenden Jahren veröden.

Studie: Der stationäre Handel unter Zugzwang www.wieselhuber.de

 

Rot und Grün contra Onlinehandel

Auf der Couch bestellen und die Ware dann bequem liefern lassen – immer mehr Deutsche nutzen Onlinehandel. Der Anteil am Gesamtmarkt beträgt etwa zwölf Prozent, Tendenz steigend.

Die rot-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen und die Grünen in Schleswig-Holstein sind damit nicht zufrieden. Die NRW-Regierung plant ein Maßnahmenpaket, das die Logistikbranche empört und viele Kunden verärgern dürfte: Der Versandhandel soll behindert werden. Um dem Einzelhandel zu helfen und Verkehrsstaus zu unterbinden, sollen die Lieferwagen von DHL und Co. nicht mehr Kunden direkt ansteuern, sondern ein Logistikzentrum, in dem die Kunden die Ware dann selbständig abholen müssen. Bürgerwut wie bei der Einführung des Zwangspfandes auf Einwegflaschen wäre der Landesregierung gewiß. Andererseits: Auch an diese Zumutung haben sich die Deutschen gewöhnt.

Eine andere Möglichkeit wäre das Verteuern der Pakete oder eine Sondersteuer für die Logistikbranche. Die Grünen im Landtag von Schleswig-Holstein etwa wünschen sich daher eine Ausweitung der Lkw-Maut.

Foto: Hugendubel-Kundin: Immer weniger Kunden kommen ins Geschäft, weil der Onlinehandel floriert und Bücher digital gekauft werden

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