© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/14 / 11. April 2014

Wir sind vielfältig
Buntes Treiben: Die Deutschen haben eine Menge lebendiger, regional recht unterschiedlicher Bräuche und Feste / Ein Überblick
(vo)

Deutschland ist bunt! Und zwar schon lange, bevor Vielfalt zu einem medial übersteigerten Schlagwort geworden ist, Unternehmen sich mit „Diversity Management“ schmücken und Politiker betonen, wie bereichernd sich Verschiedenartigkeit auf unser Gemeinwesen auswirkt.

Zwischen Flensburg und Freilassing, Kleve und Cottbus herrscht eine Fülle an regional sehr unterschiedlichen Bräuchen und Traditionen, die immer noch liebevoll gepflegt werden und die Einheimische wie Besucher faszinieren. Egal ob es nun Feste, Rituale, mündliche Überlieferungen oder althergebrachte Handwerkskünste sind. Über 120 Traditionen – ob niederdeutsches Theater, hessischer Volkstanz, Karnevals- und Fasnachtsumzüge oder „Finkenliebhaberei“ im Harz – werden in diesen Tagen von den Bundesländern der Deutschen Unesco-Kommission zur Aufnahme in die „Liste des Immateriellen Kulturerbes“ vorgeschlagen. Bis September werten Experten diese Vorschläge aus, um dann einen deutschlandweiten Bestand zu präsentieren. Nicht um museal zu konservieren, sondern um gelebte Traditionen weiterzureichen, heißt es dazu aus der Kommission.

Anlaß genug, eine kleine, höchst willkürliche Auswahl regionaler Bräuche und Traditionen vorzustellen; wie gesagt: Deutschland ist bunt.

Weitere Informationen unter: jungefreiheit.de/brauchtum

 

Biikebrennen

Um den 21. Februar herum zünden die Nordfriesen Biiken (friesisch für Bake) an und versammeln sich am Feuer. Vor allem auf den Inseln und Halligen ist dieser Brauch verbreitet. Oft sagen Kinder Gedichte im nordfriesischen Dialekt auf. Das Feuer sollte früher böse Geister vertreiben, diente aber auch der Verabschiedung von Walfängern.

 

Domtreppenfegen

Von Bremen aus verbreitete sich dieser Brauch immer weiter: Ein unverheirateter Mann muß an seinem dreißigsten Geburtstag die Haupttreppe am Dom fegen. Hintergrund war der Volksglaube, daß derjenige, der sich nicht fortgepflanzt hatte, nach dem Tod im Jenseits überflüssige Arbeiten verrichten müsse.

 

Timpkenfest

Zur Erinnerung an den alten Sachsenherzog Widukind feiert man im ostwestfälischen Engern am Dreikönigstag ein Fest, bei dem Timpken (Zipfel), kleine süße Teigwaren, verteilt werden. Ursprünglich geht diese Tradition auf eine mittelalterliche Armenspeisung zurück.

 

Hahnenköppen

Nichts für Leute mit schwachen Nerven ist dieser Brauch, den man bei Kirmessen oder zu Erntedank im Bergischen Land oder in der Eifel begeht: Ein zuvor geschlachteter Hahn wird kopfüber in einem Korb aufgehängt, so daß nur der Kopf herausschaut. Wem es gelingt, diesen abzuschlagen, ist Hahnenkönig des Dorfes.

 

Grünkohl

Über die Frage, ob es nun Grün- oder Braunkohl heißt, können sich die Niedersachsen mächtig in die Wolle bekommen. Das ändert nichts daran, daß in der kalten Jahreszeit (nach dem ersten Frost!) dieses deftige Essen ein Nationalgericht des Nordens ist. Es wurde nun auch zum Immateriellen Kulturerbe vorgeschlagen.

 

Karneval / Fasching / Fasnacht

Eine der wohl bekanntesten deutschen Traditionen ist der Karneval oder Fasching oder die Fasnacht. Obwohl regional höchst unterschiedlich ausgeprägt, ist diesem (katholischen) Brauchtum gemeinsam, daß man bis Aschermittwoch verkleidet und ausgelassen feiert (und fünfe gerade sein läßt).

 

Feuerräder

Besonders in Süddeutschland verbreitet ist der Brauch, nach der Fasnacht, zu Ostern oder Pfingsten mit Stroh gefüllte Räder anzuzünden und den Berg hinabrollen zu lassen. Die rund tausend Jahre alte Tradition basiert auf dem Volksglauben, daß damit der Winter vertrieben werden kann.

 

Scheibenschlagen

Vor allem im schwäbisch-alemannischen Raum wird das Scheibenschlagen heute noch aktiv betrieben: Zu Beginn der Fastenzeit werden mittels Stecken glühende Buchenholzscheiben in der Dunkelheit von Berghängen hinab ins Tal geschleudert, begleitet von einem Gruß oder Spruch des jeweils Schlagenden.

 

Fischertag

„Schmotz, Schmotz, Dreck auf Dreck, Schellakeenig, wiaschta Sau“, lautet das traditionelle Lied beim Memminger Fischertag im August. Bei diesem auf mittelalterlicher Tradition beruhenden Volksfest wird der Stadtbach leergefischt und unter knapp 1.600 Fischern ein Fischerkönig ermittelt.

 

Fischerstechen

Auf Booten treten die Mannschaften in einer Art Ritterturnier zu Wasser gegeneinander an, um die Mitglieder der anderen Boote mit Hilfe eines Speers ins Wasser zu stoßen. Das berühmteste Stechen dieser Art findet in Ulm auf der Donau statt.

 

Dreckschweinfest

Zu Pfingsten ziehen in Hergisdorf im Mansfelder Land junge Männer zur traditionellen Schlammschlacht aus: Schwarzgekleidete verkörpern den Winter und suhlen sich im Dreck, aus dem sie schließlich von Weißgekleideten (Sommer) mit Peitschen vertrieben werden.

 

Questenfest

Nach altem Brauch wird am Pfingstmontag im kleinen Harzörtchen Questenberg ein riesiger Kranz an einem Baumstamm befestigt. Zuvor wird vor Sonnenaufgang der Kranz vom Vorjahr abgenommen und feierlich verbrannt.

 

Klotstockspringen

In Schleswig-Holstein wird mit einem drei bis sechs Meter langen Stock über Gräben und Siele gesprungen. Andere typisch norddeutsche Sportarten sind Kloatschießen oder Boßeln, bei denen zwei Mannschaften eine Scheibe oder Kugel auf einer bestimmten Strecke um die Wette werfen.

 

Rummelpottlaufen

Geschminkte und verkleidete Kinder ziehen in Norddeutschland am Silvesterabend von Tür zu Tür, um zu rummeln (poltern) und Süßigkeiten zu fordern. Dazu werden Lieder gesungen wie: „Rummel, rummel rögen, gif mi´n beten in´n Pöten, lat mi ni to lang stahn, ik mutt noch´n Hus wieder gahn!“

 

Osterreiten

Wie in manchen katholischen Gegenden Bayerns reiten auch sorbische Männer in Gehrock und Zylinder am Ostersonntag in einer Prozession auf festlich geschmückten Pferden aus, um die frohe Botschaft von der Auferstehung Jesu Christi zu verbreiten.

 

Ritterstechen

Vor allem der Belustigung junger Frauen dient seit Jahrhunderten auf den Volksfesten in der Oberlausitz das Ritterstechen. Dabei werden die Frauen zunächst von den Männern gefangen, dann müssen sie mit verbundenen Augen das Herz einer Ritterfigur mit einer Lanze treffen. Die Frau, die das geschafft hat, ist Ritterkönigin.

 

Bergparaden

Vor allem im Erzgebirge finden an Feiertagen und Volksfesten Paraden der Bergknappen in ihrer traditionellen Tracht statt, mit denen die Verbundenheit der Orte mit dem Bergbau oder Hüttenwesen gezeigt werden soll. Sachsen hat die Bergparaden für das Immaterielle Kulturerbe vorgeschlagen.

 

Maibaum

Der Brauch, zum 1. Mai hohe, festlich geschmückte Baumstämme an einem zentralen Ort aufzustellen, ist über ganz Deutschland verbreitet, im Emsland, in Franken, Schwaben oder Bayern (unser Bild). Vor allem im Rheinland werden kleinere Birken als Gunstbeweis an die Häuser unverheirateter Mädchen gestellt.

 

Böllerschießen

In festlicher Tracht treten in Bayern (wie in Teilen Österreichs) die sogenannten Prangerschützen bei besonderen Ereignissen an, um mit Miniaturkanonen und Schwarzpulver Salut zu schießen. In einigen Regionen ehrt man damit auch am Volkstrauertag die Gefallenen.

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