© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/14 / 11. April 2014

Black Box Wohnmobil
Fehlende Rußpartikel: Ein Detail des Endes der mutmaßlichen NSU-Serienmörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Eisenach sorgt für Aufregung
Marcus Schmidt

Am 5. November 2011 klingelt gegen 8 Uhr am Morgen bei Familie Mundlos in Jena das Telefon. Am anderen Ende der Leitung ist Beate Zschäpe. „Der Uwe ist nicht mehr, der Uwe lebt nicht mehr“, erzählt sie der ahnungslosen Mutter des Toten, Ilona Mundlos. Auf die Frage, was passiert sei, antwortete Zschäpe: „Der hat sich in die Luft gesprengt“, berichtete Frau Mundlos in der vergangenen Woche bei ihrer Vernehmung im Münchner NSU-Prozeß.

Das Ende der beiden mutmaßlichen Serienmörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 4. November 2011 in einem Wohnmobil in Eisenach gehört neben dem Heilbronner Polizistenmord (JF 39/12) zu den rätselhaftesten Vorgängen rund um den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) und sorgt immer wieder für Spekulationen. Was genau geschah damals in dem Fahrzeug?

Erst zwei Tage vor der Aussage Mundlos’ hatte die Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses des Thüringer Landtages, Dorothea Marx (SPD), für neue Spekulationen gesorgt. Sie berichtete, daß laut der Obduktionsberichte weder bei Mundlos noch bei Böhnhardt Rußpartikel in den Lungen festgestellt wurden. „Damit ist es sehr zweifelhaft, daß Mundlos erst das Wohnmobil angezündet hat und sich dann erschossen hat“, sagte Marx der Südthüringer Zeitung. Sicher ist: Dies widerspricht dem bislang in der Öffentlichkeit vorherrschenden Bild von dem Geschehen im Wohnmobil.

Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft haben sich die beiden Männer, die zuvor in Eisenach eine Bank überfallen hatten, erschossen, nachdem sie von der Polizei entdeckt worden waren. Zunächst habe Mundlos Böhnhardt getötet, dann im Wohnmobil Feuer gelegt und sich daraufhin selbst gerichtet.

Aussage Zierckes vor dem Innenausschuß

Diesen Ablauf schilderte auch BKA-Präsident Jörg Ziercke auf einer Sitzung des Innenausschusses des Bundestages am 21. November 2011. Laut Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung sagte er, daß nur bei einem Täter in der Lunge Rußpartikel gefunden worden seien. Das deute mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf hin, „daß der eine den anderen zuerst erschossen hat, dann den Brand gelegt hat und dann sich selbst erschossen hat“. So sei jedenfalls der hypothetische Ablauf durch die Kriminalisten „im Moment“, sagte Ziercke damals. Der von ihm geschilderte Ablauf findet sich so auch in der Anklageschrift – allerdings fehlt dort die Erwähnung von Rußpartikeln in Mundlos’ Lunge. Und das offenbar aus gutem Grund.

Laut Generalbundesanwalt gehen die Meldungen über angebliche Rußpartikel in der Lunge von Mundlos auf den Bericht „Rekonstruktion der Geschehensabläufe im Wohnmobil“ des Landeskriminalamtes (LKA) Thüringen vom 11. November 2011 zurück. Aus den erst später zu den Akten gelangten Obduktionsberichten habe sich hingegen ergeben, daß weder in der Lunge von Böhnhardt noch in der von Mundlos Rußpartikel festgestellt wurden, sagte eine Sprecherin der JUNGEN FREIHEIT.

Dies erklärt nach Angaben des BKA auch, warum Ziercke vor dem Innenausschuß das Gegenteil behauptet hatte. Der BKA-Präsident habe sich damals auf den LKA-Bericht bezogen, in den vorläufige Obduktionsergebnisse eingeflossen seien. Der abschließende Obduktionsbericht habe dem BKA zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen.

Folgt man der Anklagebehörde, wird der von ihr rekonstruierte Tathergang durch die fehlenden Rußpartikel nicht in Frage gestellt. Dieser Geschehensablauf beruhe auf einer Gesamtschau der im Wohnmobil festgestellten Spurenlage, kriminaltechnischer Untersuchungen und Zeugenaussagen. Mit anderen Worten: Auch ohne Ruß in der Lunge hält die Behörde ihre Theorie für plausibel.

Behörde widerspricht Theorie vom „dritten Mann“

Für die am NSU-Prozeß Beteiligten sei dies alles im übrigen nichts Neues. „Die betreffenden Obduktionsberichte sind Gegenstand der Sachakte, die spätestens seit Anklageerhebung sämtlichen Verfahrensbeteiligten vollständig zur Verfügung stehen“, heißt es aus Karlsruhe.

Daß der Widerspruch zwischen Zierckes Aussage und dem Obduktionsbericht erst jetzt durch den Erfurter Ausschuß öffentlich gemacht wurde, bestärkt indes Kritiker, die bemängeln, daß das Ende des mutmaßlichen NSU in Eisenach bislang nur stiefmütterlich behandelt worden sei. So verzichtete etwa der Untersuchungsausschuß des Bundestages darauf, den Tathergang näher zu untersuchen, obwohl ihm die Akten, einschließlich der jetzt im Fokus stehenden Obduktionsberichte, zur Verfügung standen. Selbst bei Ausschußmitgliedern stieß dies auf Kritik.

Skeptiker, die eine Verstrickung der Behörden vermuten oder zumindest den rekonstruierten Tathergang im Wohnmobil in Zweifel ziehen, fühlen sich durch die Diskussion über die Obduktionsberichte bestätigt. Am populärsten ist die Theorie vom unbekannten dritten Mann, der Mundlos und Böhnhardt erschossen und dann die Flucht ergriffen habe. Zeugen hatten gegenüber Medien zunächst tatsächlich von einer dritten Person berichtet, die das Wohnmobil kurz vor dem Eintreffen der Polizei verlassen habe. Die Bundesanwaltschaft weist diese Theorie indes zurück. „Tatsächliche Anhaltspunkte für eine Beteiligung Dritter am Tod der mutmaßlichen NSU-Mitglieder lagen – und liegen bis heute – nicht vor“, teilte sie mit.

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