© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/14 / 04. April 2014

Knapp daneben
Überholtes Arbeitszeitgesetz
Karl Heinzen

Das Arbeitszeitgesetz schreibt nicht nur vor, wie viele Stunden pro Tag ein Beschäftigter für sein Unternehmen höchstens tätig sein darf. Es legt auch fest, daß zwischen Dienstschluß und Wiederaufnahme der Arbeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden liegen muß.

Dieser staatlichen Zwangsverpflichtung zur Freizeit widersetzen sich jedoch immer mehr Bürger. Die Zahl der Arbeitnehmer, die neben ihrem Hauptberuf auch einem Nebenjob nachgehen, wächst und hat 2013 erstmals die Drei-Millionen-Marke überschritten (siehe Seite 12).

Ein Indiz dafür, daß sozial Schwache immer höheren Leistungsdruck aushalten müssen, um über die Runden zu kommen, ist dieses Phänomen nicht. Sie sind von ihm so gut wie nicht betroffen. Wer erst gar keine Arbeit hat, kann sich auch keinen Nebenjob aufhalsen. Man hat es vielmehr mit ganz gewöhnlichen Normalverdienern zu tun, die in Zeiten stagnierender Reallöhne ihrem Traum von einem höheren Lebensstandard mit einem Zweitjob nachjagen.

Die Menschen werden unruhig, wenn das, was sie tun, keinem ökonomischen Zweck dient.

Es sind die Gierigen, nicht die Bedürftigen, die sich diesem aberwitzigen Streß aussetzen. Daher muß auch niemand neidvoll auf seinen Nachbarn gucken, der sich dank eines Nebenerwerbs einen Urlaub mehr leisten kann. Er hat dafür im Alltag nichts zu lachen.

Nicht alle, die einen Nebenjob ausüben, haben aber Häme verdient. Manche von ihnen treibt nicht die Aussicht auf noch mehr Geld, sondern das schlechte Gewissen an. Viele Menschen können mit ihrer Freizeit nichts anfangen, weil sie die Normen der Leistungsgesellschaft verinnerlicht haben. Sie werden unruhig, wenn das, was sie tun, keinem ökonomischen Zweck dient. Muße bereitet ihnen Unbehagen. Unentwegt wollen sie das Beste aus sich herausholen. Einen größeren Raubbau an den eigenen Kräften als all die anderen betreiben sie aber nicht. Freizeitvergnügungen sind heute zumeist fordernder als jeder Beruf. Arbeitnehmer leiden am Montagmorgen unter Erschöpfung und nicht am Freitagnachmittag. Auch in seiner Annahme, Beschäftigte würden Ruhezeiten zur Erholung nutzen, ist das Arbeitszeitgesetz naiv und überholt.

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