© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/14 / 04. April 2014

Schleunigst demobilisiert und um den Sieg betrogen
„Mutige Heldinnen“ wurden zu verachtenswerten Huren: Frauen errangen in der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg keine „emanzipatorischen Fortschritte“
Oliver Busch

Nicht nur vermutlich, wie die Osteuropa-Historikerin Beate Fieseler (Uni Düsseldorf) meint, sondern tatsächlich spielten Frauen in keiner anderen kriegführenden Nation zwischen 1939 und 1945 eine derart bedeutende Rolle wie in der Sowjetunion (Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 1/2014). Gedankt hat es Stalins Regime jenen eine Million Frauen nicht, die an der Front des „Großen Vaterländischen Krieges“ den Sieg über den „faschistischen Aggressor“ mit errangen. Enttäuscht muß Fieseler daher konstatieren: Der Krieg brachte für die Mehrheit seiner Teilnehmerinnen „keine emanzipatorischen Fortschritte“.

Im Gegenteil: Als der Ausnahmezustand am 8. Mai 1945 endete, erschien ihr massenhaftes Engagement wie eine Episode, die natürlich keine Öffnung der Roten Armee für weibliche Soldaten einläutete. Die Soldatinnen wurden deshalb nicht nur schleunigst demobilisiert. Der Staat ließ sie vielmehr „regelrecht im Stich“, betrog sie um ihren Anteil am Sieg und nahm sie nicht einmal vor pauschalen Verleumdungen in Schutz, denen sie schon während ihres Dienstes permanent ausgesetzt waren. „Mutige Heldinnen“ verwandelten sich oft über Nacht in verachtenswerte Huren. Ein russisches Sprachspiel leistete dem Vorschub: Die Medaille „Für Verdienste im Kampf“ (za boevye zaslugi) ließ sich phonetisch leicht verschieben zu „Für Verdienste beim Sex“ (za polevye zaslugi).

So endete in Frustration, was im Sommer 1941 mit einer historisch beispiellosen, von Kriegsbegeisterung befeuerten Massenmobilisierung der Frauen im Sowjetreich begann. Fieseler kann diese nach dem Beginn des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion allgemein verbreitete Bereitschaft, sich freiwillig für den Fronteinsatz zu melden, ausführlich beschreiben, aber nur ansatzweise erklären.

Zehntausende Frauen drängten zu den Waffen

Staunend registriert sie diesen opferbereiten Enthusiasmus, obwohl 1917 doch ein „äußerst repressives Regime“ etabliert worden sei, das bis 1941 seine Untertanen „gewaltigen Verwerfungen“ ausgesetzt, sie durch Hungersnöte und Terror dezimiert, sie in den Knochenmühlen von Zwangskollektivierung und forcierter Industrialisierung drangsaliert habe. Die weibliche Hälfte des Sowjetvolkes hatte Stalin zudem kurz vor Kriegsbeginn besonders kräftig düpiert. Nahm seine „konservative Wende“ 1936 doch jene Reformen der Ehe- und Familiengesetzgebung zurück, die die kommunistische Propaganda lange als Vorgriffe auf Geschlechtergleichheit gepriesen hatte, nämlich das laxe Scheidungsrecht und die generöse Abtreibungspraxis.

Trotzdem sei es dem Regime in den Dreißigern gelungen, den Grund zu legen für jene Dankbarkeit, die es 1941 unter den weiblichen Waffenträgern erntete. Denn tatsächlich hätten sich für die – in der Roten Armee überrepräsentierten – städtischen Frauen Bildungschancen und Aufwärtsmobilität verbessert. Überdies seien es 1941 die 17 bis 25 Jahre alten Frauen gewesen, die sich zu Zehntausenden zur Einberufung drängten. Sie zählten zur ersten Generation, die ausschließlich in den Agenturen der Partei zu „unbedingtem Glauben“ an die welthistorische Mission ihres „Arbeiter- und Bauernstaates“ erzogen worden war. Unter ihnen dürfte auch die Hoffnung am größten gewesen sein, der Krieg werde den Staat zwingen, die 1936 neu befestigten Geschlechterrollen in einer „radikalen Dynamisierung“ wieder aufzulösen.

Allerdings gestatte es die Archivlage derzeit nicht, das ganze Motivspektrum der Freiwilligen darzustellen, das neben der Regimetreue sicher auch von Abenteuerlust, Rache für gefallene Familienmitglieder oder dem Wunsch geprägt worden sei, im Gulag verschwundene Angehörige durch eigenen Kriegsdienst zu rehabilitieren. Aber selbst wenn man wie Fieseler so kühn wie pauschal unterstellt, „keine wollte ‘für Stalin’ kämpfen“, wohl aber für eine Gesellschaft gleichberechtigter Männer und Frauen, brachte das Kriegsende nur die Gleichheit der Desillusionierten.

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