© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/14 / 04. April 2014

Rebellion gegen Ungleichheit
Nach der Klimakatastrophe: Der Science-fiction-Film „Snowpiercer“ spielt in einer neuen Eiszeit / Ein Zug als moderne Arche Noah
Claus-M. Wolfschlag

Es gibt „linke“ und „rechte“ Science-fiction-Geschichten. Meist sind sie inhaltlich „rechts“. Das ganze Genre des Endzeit-Films zeigt anschaulich die negativen Antriebskräfte des Menschen, die Gefahren der Anarchie und die Notwendigkeit von staatlicher Ordnung und Rechtssystem. Dahinter stehen, auch wenn es nicht explizit ausgedrückt wird, konservative Grundannahmen. Auch die Panoramen zukünftiger totalitärer Staatssysteme sind potentiell „rechts“, zeigen sie doch, wohin ursprünglich „linke“ Bestrebungen nach Gleichheit und einer umfassenden Organisation menschlichen Lebens münden. Ein anschauliches Beispiel ist Orwells „1984“.

„Linke“ Science-fiction hingegen schildert eine Welt der sozialen Ungleichheit und Diskriminierung, gegen die ein Held rebelliert und letztlich das System stürzt. Es geht also stets um ein egalitäres Revolutionsszenario. Nach Beseitigung der „reaktionären“ Kräfte folgt der erste Schritt in das neue Utopia der Gleichheit. Damit endet die Geschichte.

Andernfalls müßte die „linke“ Science-fiction nämlich zeigen, wie unter der neuen Herrschaft neue Ungleichheit wieder von selbst entsteht. Das würde aber die utopische Absicht unterlaufen. Oder er müßte zeigen, wie die egalitäre Gesellschaft sich gewaltsam zu erhalten versucht und dadurch in eine totalitäre Dystopie mündet. So oder so, bei Verlängerung der erzählerischen Zeitschiene würde wieder „rechte“ Science-fiction herauskommen.

„Snowpiercer“ von Bong Joon-ho gehört in die Reihe „linker“ Science-fiction-Filme. Thematisiert wird die Erde in näherer Zukunft nach einer Klimakatastrophe. Eine neue Eiszeit ist angebrochen und hat die menschliche Zivilisation unter einer dicken Schicht aus Eis und Schnee begraben. Einzig ein langer Zug fährt auf dem Schienennetz einsam und stetig seinen Rundparcours um den Erdball. Er kennt kein Ziel, außer der Aufrechterhaltung des technischen Systems.

Der Zug ist eine Art technisch hochgerüstete Arche Noah. In dem klimatisierten Gefährt haben die Reste der Menschheit eine letzte Zuflucht gefunden. Doch es herrscht im Inneren eine starke soziale Ungleichheit. Während in den letzten Waggons aller Habseligkeiten beraubte Menschen ein Dasein in Dunkelheit und Elend fristen, sich von gepreßten Schaben ernähren müssen, genießen in den vorderen Waggons die reichen Passagiere ein Leben in allen Annehmlichkeiten: gutes Essen, Saunalandschaft mit Whirlpool, Salon und Diskothek. Die gesellschaftliche Teilung wird durch das brutale Regiment von Sicherheitskräften aufrechterhalten.

Rebellen aus den hinteren Abteilen unter Führung von Curtis (Chris Evans) proben den Aufstand und kämpfen sich schrittweise nach vorne durch den Zug. In der Führerkabine trifft Curtis auf Wilford (Ed Harris), den Schöpfer des Zuges, ein moderner Noah. Es entspinnt sich ein Dialog über den Sinn gesellschaftlichen Aufbaus, der Curtis durchaus zum Nachdenken bringt. Wilford legt dar, daß die Ressourcen nicht für eine wachsende Zahl von Passagieren ausreichen. Auch „gerechte“ Verteilung würde also rasch an ihre Grenzen stoßen. Wilford vertritt die Position, daß eine gesellschaftliche Teilung, inklusive regelmäßiger sozialer Kämpfe, notwendig sei, um die Zahl der Passagiere zu reduzieren und dadurch das ökologische und ökonomische Gleichgewicht des Zuges zu erhalten.

An dieser Stelle hätte der Film noch die Kurve kriegen und das klassische Revolutionsszenario ins Leere laufen lassen können. Er hätte die Desillusionierung alter Revolutionäre zeigen können. Daß ihm das nicht gelingt und er das auch gar nicht beabsichtigt, liegt an der Überzeichnung der negativen Charaktere.

Während die Rebellen als verzweifelte, teils liebevoll kauzige und von Idealen geleitete Vorkämpfer des Proletariats erscheinen, begegnen einem auf der Gegenseite ein brutaler Sicherheitsapparat, eine blasiert-bösartige und zugleich kriecherische Ministerin, eine burschikose blonde Privatsekretärin, ein selbstverliebter Herrscher im Morgenmantel; dazwischen tummeln sich reiche Passagiere, die sich im Whirlpool mit Damen vergnügen oder beim Coiffeur die Haare richten lassen. Der um ihr verschlepptes Kind bangenden schwarzen Mutter wird eine verlogene und brutale blonde Lehrerin gegenübergestellt. Man könnte ein rassistisches Stereotyp daraus lesen, wenn man wollte. Die Zugmaschine kann nur von Kindersklaven am Laufen gehalten werden, weil man bei der Konstruktion offenbar nicht daran dachte, die Arbeitsschächte größer anzulegen, so daß auch erwachsene Mechaniker dort hineingepaßt hätten.

Bei einer solchen Aneinanderreihung von Klischees bleibt zu mehrdeutiger Interpretation jeder Raum beschnitten. Letztlich soll eben Stimmung gegen soziale Ungleichheit gemacht werden, die natürlich allein auf der Bösartigkeit autokratischer Herrscher beruht.

Daß das Ende dann doch noch Raum für Interpretationen bietet, dürfte kaum reichen. Zu sehr ist der Zuschauer zuvor schon auf den Kampf gegen „Ungerechtigkeit“ geimpft worden, um den Sinn des ganzen, teils durchaus unterhaltsam inszenierten Spektakels in letzter Minute doch noch in Frage stellen zu können oder zu wollen.

Foto: Zwei-Klassen-Gesellschaft: Die einen ernähren sich von Schaben, die anderen planschen im Whirlpool

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