© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/14 / 04. April 2014

Endstation Flughafen
Ägypten: Im Kampf gegen Islamisten setzt die neue Regierung auf Härte / Drei Tage eingekerkert mit Salafisten aus Deutschland
Billy Six

Bitte warten Sie einen Moment.“ Kairo, Endstation Flughafen. Am Einreiseschalter blinkt der Name „Billy Six“ auf dem Bildschirm des Grenzbeamten auf. Warten auf der Bank … einige persönliche Fragen. Doch was los ist, wird bis zuletzt unklar bleiben.

Direkt neben den Einreiseschranken im Terminal 3 des internationalen Flughafens befindet sich ein gut getarnter Inhaftierungsbereich, der offiziell nicht „Gefängnis“ genannt werden darf. Vom Polizei-Tresen geht es nach rechts in die Frauen-, links in die Männerzelle. Mit sechs Metern Breite und acht Metern Länge ist der Raum für knapp über 20 Insassen akzeptabel.

Ein Bad mit fließendem Wasser haben beide Zellen. Fladenbrot mit Marmelade in Plastikschälchen oder der arabischen Süßspeise Helawa gibt es kostenlos. Das weibliche Reinigungspersonal nimmt auch Bestellungen für warme Falafel in Empfang.

Wer ohne Geld daherkommt, ist aufgeschmissen

„Im richtigen Knast läuft das alles ganz anders“, berichtet Haidar*. Der Anfang 40jährige deutsche Salafist wartet auf seine Abschiebung. Zwei Wochen habe die Polizei ihn mit 50 anderen in einer sechs mal sechs Meter großen Zelle gefangengehalten. „Geschlafen werden mußte in Schichten … Frischluft gab es nicht“, so der kräftige Mann mit wildem schwarzen Kinnbart. Er ist voller Haß auf seine Peiniger, will nach seiner ungewollten Rückführung in die Bundesrepublik die Presse informieren, über Spießrutenläufe, Schläge und Offiziere, die sich grinsend am Eigentum ihrer Insassen vergriffen. „Einen aus Ghana haben sie totgeschlagen. Wir mußten alle für die Entsorgung der Leiche bezahlen.“ Wer ohne Geld ist, sei aufgeschmissen: 20 Pfund, umgerechnet rund zwei Euro, habe die „Mittelklasse-Zelle“ am Tag gekostet. Der „Luxusraum“ koste 100 Pfund und nur der „Raum des Abschaums“ sei unentgeltlich. „Da bist du dann mit Mördern und Vergewaltigern zusammen.“

Haidar berichtet von seinen Gesprächen mit anderen Inhaftierten, Ärzten und Ingenieuren – die wegen Terrorismusverdachts verhaftet wurden –, und deren Angehörige großzügige Essensrationen vorbeibrachten, ohne die die Häftlinge verhungert wären.

„Alles ist schlechter als unter Mubarak“, so der als „freier Buchhändler“ tätige Haidar, „aber unsere Würde ist wichtiger als alles andere.“ Die Mehrheit der Ägypter sei unzufrieden mit dem Kurs der Putschregierung unter Regie des Generals al-Sisi.

Sisis Bilder in den Straßen Kairos: „Bezahlte Propaganda“, sagt Haidar. Doch der Sohn einer bosnischen Mutter und eines deutschen Vaters geht noch weiter: „Ich hasse die Ägypter, ihre Verlogenheit und Unbildung.“ Immerhin könnten er und seine türkische Frau „selbst hier zwischen den Müllbergen“ ihre islamische Ehe ausleben. Die beiden jugendlichen Töchter würden nicht „moralisch verdorben“ – dank ausschließlicher Schulung durch Lehrerinnen und einer Vollverschleierung auf der Straße. Die Wahl eines geeigneten Gatten für seine Mädchen könne er als liebender Vater hier noch in die eigene Hand nehmen.

Die privaten Einblicke belegen einmal mehr, daß der weltweit wachsende Salafismus, des nach westlicher Lesart „extremen Islam“, nicht auf Armut und Unbildung zurückzuführen ist. Es geht um die Sinnfrage. Sie treibt das ägyptische Volk in Zeiten der Revolution ebenfalls um. Daß die Politik verdorben sei, ist eine Erkenntnis, die sie hier in der Zelle alle eint: die Illegalen aus Nigeria und Sudan, die Verdächtigen aus Syrien und Gaza. „Siassa bint haram“, lautet eines der bedeutendsten geflügelten Worte unter Arabern: „Politik ist eine Hurentochter.“

Die Terroranschläge der vergangenen Wochen, darunter ein Bombenanschlag auf südkoreanische Touristen im gesicherten Sinai-Badeort Taba, seien von den Geheimdiensten selbst ausgeführt, damit die herrschenden Militärs ihren „Kampf gegen fromme Moslems“ begründen könnten, behauptet Haidar.

In der Vergangenheit tauchten für derartige Thesen, im Geheimdienst-Sprech „False Flag“-Operation genannt, sogar Belege auf. Im Trubel revolutionären Aufruhrs stürmten Aktivisten 2011 Gebäude von Staatssicherheitsdiensten und veröffentlichten erbeutete Dokumente, welche beweisen sollen, daß Vertreter des Staates für die Hotel-Anschläge in Scharm el-Scheich vom Juli 2005 oder die Kirchen-Bombe in Alexandria in der Neujahrsnacht 2011 verantwortlich seien. Die damals avisierte historische Aufarbeitung scheint jedoch in der neuen Schnellebigkeit am Nil untergegangen.

Doch der von der Armee unlängst verschwiegene Abschuß eines Hubschraubers auf der Sinai-Halbinsel verweist auch darauf, daß seit einigen Monaten ein echter Krieg im Gange ist. Eine al-Qaida-Fraktion operierte mit einer Boden-Luft-Rakete – vermutlich aus Libyen.

Der Moslem sei von Natur ein Rebell, so Haidar. „Wir lassen uns nicht verweiblichen!“ Mangelnder Respekt gegenüber einer „Gruppe dummer Soldaten“ habe ihn überhaupt in seine mißliche Lage gebracht, als er nachts von der Straße weg verhaftet worden sei. Zunächst „wegen des abgelaufenen Kennzeichens“ seines Motorrads. Dann wegen Terrorverdachts. Schließlich sei ihm das nicht mehr rechtzeitig verlängerte Residenz-Visum zum Verhängnis geworden. Der Vertreter der deutschen Botschaft habe gegenüber den Wärtern mehr Angst als Biß gezeigt – und ausgiebig wissen wollen, warum er denn zum Islam konvertiert sei.

„Es ist die einzig wahre Religion. Alle werden das noch sehen“, sagt Haidar gelassen, aber bestimmt. Hat er sich der „Religion des letzten Propheten“ hingegeben, um Halt in geordneten Familienverhältnissen zu finden? „Kann sein.“

Überraschend, „ganz nach Allahs Plan“, wird ein weiterer Bruder aus Deutschland eingeliefert: Der glatt rasierte Mann mit treuherzig-wachem Blick mag seinen Namen nicht nennen – doch Deutsch spricht er gut, sei gar mit einer deutschen Frau verheiratet, die deshalb stets Schikanen seitens deutscher Behörden ausgesetzt sei.

Als „falsch verdächtigter Helfer der Sauerland-Gruppe“ berichtet er über eine angeblich „sechsjährige Haftzeit in der JVA Bruchsal“ – dort, wo Fritz Gelowicz (34), der deutsche Konvertit und Sauerland-Haupttäter, noch immer seine zwölfjährige Haftstrafe absitzt. Haidar und der mysteriöse Reisende bekunden sich auf arabisch gegenseitig ihre Sympathie für den inhaftierten deutschen Bruder – und tauschen Kontakte aus.

Noch nie wurde ein Deutscher so behandelt

Recherchen ergeben die Identität: Bei dem Unbekannten im Flughafen-Gefängnis handelt es sich um Salih S., den das Oberlandesgericht Frankfurt am Main im Oktober 2010 zu einer Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt hatte.

Begründung der Richter: Der damals 28jährige habe als Mitglied einer „Islamischen Dschihad-Union“ die Anschlagspläne der vierköpfigen „Sauerland-Gruppe“ unterstützt – mit der Weitergabe von wetterfesten Schuhen und Jacken im Wert von 700 Euro. „Ich habe einfach alles zugegeben, was sie hören wollten“, sagt Salih S. im Gespräch. „Ernst nehmen kann ich das alles nicht. Ich weiß doch, daß der deutsche Geheimdienst die Teile für die Bombe an die Leute geliefert hat“, berichtet er in ruhigem Ton. Auf die Frage nach Beweisen winkt er ab: „Bist du ein Psychotherapeut, oder was?“

Im Prozeß hatte S. noch mehrfach beteuert, kein „Schläfer“ zu sein und dem bewaffneten Kampf abgeschworen zu haben. „Ich habe aber nicht zugelassen, daß sie mir den Kopf verdrehen“, sagt Salih S. jetzt mit müdem Lächeln. Körperliche Gewalt in einem arabischen Gefängnis sei allemal besser als der „Psychoterror“ der Umerziehung von Gefangenen in Deutschland. „Ich spucke auf die Resozialisierung.“ Nur mit Sexualstraftätern habe er da zusammengesessen, berichtet der 2004 eingebürgerte Mediengestalter. Mit denen sollten ihn seine Kinder nicht sehen. „Und wie viele davon waren Deutsche?“ will Haidar mit einem Grinsen wissen. „Alle.“

So endet auch mein Haftaufenthalt nach drei Tagen mit der Abschiebung. Mit Begleitung durch „Egypt Air“ geht es nach Berlin, wo die Polizei mich in Empfang nimmt. Haidar wird gleichzeitig nach Frankfurt überführt. Die deutsche Botschaft teilt mit, auch ihr hätten die ägyptischen Behörden keine Begründung für das Verhalten zukommen lassen. Der letzte Akt: ein Besuch beim ägyptischen Botschafter in Berlin.

Mohamed Higazy sitzt hinter einem massiven Holztisch. Das Büro ist großräumig und düster. Und voll mit edlen Teppichen. „Seien Sie sicher“, so der 58jährige, „wir empfinden tiefe Freundschaft zu Deutschland.“ Noch nie sei ein deutscher Staatsbürger im Flughafenknast interniert gewesen. Der Grund? Vermutlich eine 3.000-Euro-Spende an christliche Projekte im Dezember 2013. Ohne Genehmigung. „Bitte verstehen Sie“, wirft Higazys Stellvertreter ein, „daß derzeit viel Geld vor allem aus den Golfstaaten nach Ägypten gebracht wird, um Terrorismus zu finanzieren.“ Aber auch Deutsche seien daran beteiligt, wirft der Botschafter ein.

Auf Nachfrage teilt eine Sprecherin des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) mit, daß dem deutschen Nachrichtendienst keine entsprechenden Fälle bekannt seien. „Ägypten war 2012 ein Rückzugsraum für Salafisten aus Deutschland“, fast 60 Ausreisen radikaler Muslime seien registriert worden. „Zweck dieser Reisen waren Sprachstudien oder die Weiterreise nach Syrien, Mali oder Somalia“, so die Behörde. Von einem „Dschihad-Tourismus“ wie in Syrien könne jedoch keine Rede sein. Richtung Levante habe es seit 2011 mehr als 270 entsprechende Ausreisen gegeben. In Ägypten könne man für 2013 jedoch nur noch von „einem kleinen einstelligen Bereich“ sprechen.

Auch der wegen Terrorismus verurteilte Salih S. durfte nach wenigen Stunden Zellenaufenthalt seine Reisetasche nehmen – und bekam den erwünschten Stempel. Das BfV dazu: „Da müssen wir nochmal nachfragen.“

*Name geändert

 

Kampf gegen die Muslimbrüder

Seit dem Sturz des Präsidenten Mohammed Mursi im Juli 2013 geht die ägyptische Militärregierung mit aller Härte sowohl gegen die Muslimbruderschaft als auch gegen andere islamistische Kräfte vor. Das Massentodesurteil gegen 529 Islamisten, denen zur Last gelegt wurde, verantwortlich für Anschläge gegen Polizeistationen und koptische Einrichtungen zu sein, bildete in der vergangenen Woche den Höhepunkt der Entwicklung. Bereits Im August töteten Sicherheitskräfte bei der gewaltsamen Räumung von Pro-Mursi-Protestlagern Hunderte Muslimbrüder. Über 5.000 wurden seither verhaftet und vor Gericht gestellt, darunter auch der ehemalige Präsident und 14 weitere Führungspersonen der Muslimbruderschaft. Letztere wurden wegen Anstiftung zur Gewalt angeklagt. Im September wurde die Bruderschaft verboten und im Dezember 2013 als Terrororganisation eingestuft.

Foto: Prozeß gegen Islamisten sowie Plakatierung auf dem Kairoer Ramses-Platz: Der Kampf gegen den Terrorismus steht im Mittelpunkt

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