© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/14 / 04. April 2014

Nebenjobs in Gefahr
Arbeitsmarktregulierung: Gewerkschaften und Linkspartei wollen steuerfreie 450-Euro-Jobs kippen
Christian Schreiber

Es sind die berühmten zwei Seiten einer Medaille. Tanja V. ist 27 Jahre alt, arbeitet als festangestellte Kraft in einem Friseursalon. Sie verdient 1.300 Euro brutto, übrigbleiben 937 Euro. „Das reicht für Miete und für das Auto. Für einen Urlaub und neue Kleider muß ich dann bereits jeden Cent weglegen. Aber ich will mir auch was leisten.“ Daher hat sie einen Zweitjob in der Gastronomie angenommen.

„Ich will nächstes Jahr zu bauen anfangen“

Zwei Schichten in der Woche für sieben Euro die Stunde, am Ende hat sie noch einmal 450 Euro mehr: „Es ist anstrengend, aber das Geld habe ich für mich. Aber es wäre schön, wenn ich in meinem normalen Beruf mehr verdienen würde“, sagt sie. Solche Sorgen kennt Marco C. (29) nicht. Er ist Techniker bei einem großen Automobilzulieferer in Südwestdeutschland. Sein Arbeitgeber ist bekannt dafür, gute Löhne zu zahlen, der 29jährige verdient je nach Schichteinteilung rund 4.000 Euro brutto im Monat.

Dennoch steht er zweimal die Woche in einem Fitneßstudio, erstellt Trainingspläne und weist Kunden in die Geräte ein. „Mir macht es Spaß, ich trainiere ohnehin selbst und kann das hier kostenlos machen. Die 450 Euro kann ich fast komplett behalten, die lege ich auf die hohe Kante. Ich will nächstes Jahr anfangen zu bauen“, so seine Begründung für den sportlichen Zweitjob.

Über Sinn und Zweck der Nebenjobs ist in den vergangenen Tagen wieder einmal eine hitzige Debatte entbrannt. Grund dafür sind neueste Daten, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) veröffentlicht hat.

Mehr als drei Millionen Beschäftigte haben demnach zusätzlich zu ihrem Hauptjob noch ein Nebeneinkommen – das ist ein Rekordwert. Die Zahl der Arbeitnehmer mit einem Zweitjob hat sich seit der Wiedervereinigung mehr als verdreifacht. Das Gewerkschaftskreisen nahestehende Institut rechnet für das laufende Jahr mit einem weiteren Anstieg. Über die Ursachen wird derzeit munter spekuliert. Denn zu den Menschen mit Nebenjob gehören Ärzte oder Juristen mit einem Beratervertrag ebenso wie Geringverdiener, die auf zusätzliche Einnahmen angewiesen sind.

Sieben Prozent der männlichen Arbeitnehmer arbeiten derzeit nebenbei, bei den Frauen sind es sogar elf Prozent. „Das liegt daran, daß Frauen in Deutschland immer noch schlechter bezahlt werden als Männer“, sagt IAB-Forscher Enzo Weber.

Für den rasanten Anstieg innerhalb der vergangenen elf Jahre gibt es nach Ansicht des Instituts eine einfache Erklärung. Die Hartz-IV-Reform der Bundesregierung unter Gerhard Schröder sei dafür verantwortlich. Bis zum Jahr 2003 galt die Regel, daß derjenige, der ausschließlich einen Minijob hatte, keine Sozialbeiträge zahlen mußte. Diese wurden in geringem Umfang von den Arbeitgebern abgeführt. Eine Nebentätigkeit zusätzlich zum Hauptberuf war dagegen abgabenpflichtig. Dies wurde von der Regierung Schröder abgeschafft.

Wunsch nach zusätzlichen Einnahmen ist groß

Seit 2003 ist der Hinzuverdienst für die Beschäftigten daher praktisch steuer- und abgabenfrei. „Es ist schwer nachvollziehbar, warum man den Zweitjob so begünstigt“, klagt IAB-Forscher Enzo Weber gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Entlastet würden damit nämlich nicht nur Geringverdiener, die aus finanziellen Gründen zwei Jobs übernehmen müssen.

Von der Regelung profitierten auch Gutverdiener mit einer Nebentätigkeit. Der IAB-Mann beläßt es allerdings nicht bei einer Analyse. Er empfiehlt eine Differenzierung: „Bei Geringverdienern müßte man grundsätzlich die Belastung reduzieren. Das nur über den Zweitjob zu tun, ist wenig zielgenau.“ Ursprünglich sollten Minijobs zusätzliche Arbeitsmöglichkeiten für Geringverdiener schaffen und die Hürden für eine Einstellung senken. Bis zu einem Verdient von 450 Euro pro Monat sind die Einkünfte weitgehend abgabenfrei.

Schon jetzt schränken Gesetze Arbeitnehmer ein

Grundsätzlich kann jeder mit jedem Beruf neben seinem Hauptjob eine zweite Beschäftigung aufnehmen. Laut Arbeitsschutzgesetz darf man allerdings nur höchstens 48 Stunden pro Woche arbeiten – Nebenjob inklusive. Nebenjobber sollten eine Ruhezeit von mindestens elf Stunden nach Feierabend einhalten, heißt es. Doch die Überprüfung dieser Richtlinien fällt zunehmend schwer. Der Bedarf an Menschen mit dem Wunsch nach Zweitbeschäftigung ist im übrigen ungebrochen. „Die Beschäftigung ist insgesamt deutlich gestiegen, der Bedarf der Arbeitgeber nach Fachkräften ist sehr hoch. Davon haben auch die Nebenjobber profitiert“, sagt IAB-Forscher Weber.

Die Linke hat unterdessen gefordert, daß Minijobs dringend sozialversicherungspflichtig werden müßten. Doch damit könnten sie auch für viele Menschen unattraktiver werden.

„Davon wird mein Erstberuf auch nicht besser bezahlt“, sagt Friseurin Tanja V. Und der Techniker Marco C. wird sich dann wohl nicht mehr in seiner Freizeit ins Fitneßstudio stellen. „Wenn der Staat dann nochmal die Hälfte kassiert, macht das für mich keinen Sinn mehr.“

Foto: Touristenführerin im brandenburgischen Kloster Chorin, Zuhörer: Vor allem Frauen haben Nebenjobs, oftmals sind es anspruchsvolle Aufgaben

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