© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/14 / 04. April 2014

Der Fall Edson Mitchell
Deutsche Bank: Wie das Investmentbanking andere Geschäftszweige dominiert
Clemens Taeschner

Wortreich propagiert die Deutsche Bank einen Kulturwandel. Schließlich läßt sich verlorenes Vertrauen nicht so schnell zurückgewinnen wie verlorenes Vermögen. Zeitgleich mit dem Verschwinden des Mottos „Leistung aus Leidenschaft“ verharrt das Geldhaus in den Negativschlagzeilen: Seit März ermittelt die Staatswanwaltschaft gegen Jürgen Fitschen, Ko-Chef der Deutschen Bank, wegen des Verdachts, im Kirch-Prozeß Falschaussagen gedeckt zu haben. Daneben sieht sich „The Deutsche“, deren Zentrum längst in London und New York liegt, weiteren Problemen gegenüber. So beurlaubte sie im Januar in den USA mehrere ihrer Devisenhändler wegen Manipulationsverdachts. Schließlich hat die Finanzaufsicht Bafin ihre Ermittlungen in der Zinsaffäre gegen die Deutsche Bank ausgeweitet. Durch beides, so unlängst die FAZ, könnte der Ko-Vorstandsvorsitzende Anshu Jain, „der als ehemaliger Investmentbanking-Chef sowohl für den Zins- als auch für den Devisenhandel zuständig war, noch stärker unter Druck geraten“.

Dabei sind das nur die juristischen Aspekte. Die Bank mußte einen Gewinn-einbruch melden und im Investmentbanking Hunderte Stellen streichen. Seit 2012 erhöht sich damit die Zahl der entlassenen Investmentbanker auf etwa 2.000. Parallel dazu wird gemeldet, daß die Führungsriege der Deutschen Bank im vergangenen Jahr mehr verdiente. Auf die seit 2012 amtierenden Vorstandschefs Jain und Fitschen entfielen je knapp 7,5 Millionen Euro. Aus Sicht des aus Indien stammenden Anshu Jain ist dies nur ein Bruchteil seiner früheren Einkünfte, die nun durch den Status kompensiert werden. So variieren die Schätzungen für Anshu Jains Jahresgehälter vor seiner Wahl in den Vorstand zwischen 30 und 100 Millionen Euro brutto im Jahr. Der Gesamtverdienst für sein Engagement bei der Deutschen Bank wird auf 200 Millionen bis eine halbe Milliarde Euro geschätzt.

Damit hat sich für den „Indianer“ Jain erfüllt, was sein Mentor, der charismatische und ehrgeizige Investmentbanker Edson Mitchell, einst versprochen hatte, wenn er Leute für seine Abteilung bei der Deutschen Bank anwarb: „I will make you rich.“ (Ich werde dich reich machen.)

Es ist, um die Börsenlegende André Kostolany zu zitieren, der hier aufscheinende kulturelle Unterschied: Während der Amerikaner Geld „macht“ (to make money), sprechen die Deutschen vom Geldverdienen. Damit realisierte sich ein Kulturbruch, der heute mitten durch die Deutsche Bank geht und wohl anzeigt, wie illusorisch der Glaube an einen „Kulturwandel“ sein dürfte. Mit Mitchells Aufrücken in den Vorstand wurde auch die deutsche Sprache durch die englische ersetzt.

Großteil des Gewinns von der Investmentsparte

Edson Mitchell sah sich als Macher respektive „Schöpfer“, war er doch der Star unter den Investmentbankern. Mitchel war Weihnachten 2000 mit seinem Jet abgestürzt.

In den fünf Jahren zuvor hatte der ehemalige Merrill-Lynch-Manager die Deutsche Bank im Investmentbereich zum Global Player gemacht, nur noch übertroffen von Morgan Stanley und Goldman Sachs. Sein Geschäft mit Anleihen, Derivaten und Währungen erwirtschaftete für die Deutsche Bank 60 Prozent des operativen Konzerngewinns. Was Mitchell zwischen 1996 und 2000 aufbaute, charakterisierten Kollegen als „beispiellos und einzigartig“.

Da wundert es nicht, wenn Mitchell auf die Frage eines Börsianers, wer er sei, geantwortet haben soll: „Ich bin Gott.“ Tatsächlich, so der Autor Nils Ole Oermann, wäre die Deutsche Bank ohne sein Investmentbanking „heutzutage weit weniger systemrelevant, oder es gäbe sie in dieser Form vielleicht nicht mehr“.

Entsprechend dramatisch war die Situation bei seinem Verschwinden: Noch bevor der Verbleib des Flugzeugs geklärt war, tauchten bei der Witwe zwei Angestellte der Bank auf, um seinen Tod zu verifizieren. Der Absturz war noch nicht geklärt, da bestimmte Bank-Chef Josef Ackermann Anshu Jain zu Mitchells Nachfolger.

Vor diesem Hintergrund ist Oermanns packende Darstellung über den „Tod eines Investmentbankers“ sehr aufschlußreich. Der Autor schildert am Prototypen Mitchell „eine Sittengeschichte der Finanzbranche“, die dem Leser ebenso ernüchternde wie erschreckende Einsichten vermittelt. Schließlich führt mit Anshu Jain heute der von Mitchell protegierte „Söldner“ seiner Konquistadoren-Gruppe die Deutsche Bank – Leute, denen die Loyalität zu ihrer Gruppe (der Sekte der Investmentbanker) wichtiger sei als gegenüber dem Gesamtinteresse ihrer Bank. So hatte Häuptling Mitchell zugunsten seiner Indianer etwa die Fusion mit der Dresdner Bank scheitern lassen. Anshu Jain wiederum hat seit seinem Amtsantritt seine Getreuen in den Vorstand berufen. Nicht zufällig firmiert dieses Team innerhalb der Deutschen Bank unter dem gefürchteten Namen „Anshus Armee“.

Dies verwundert nicht bei seiner Prägung: So räumte Jain gegenüber dem FAZ-Redakteur Georg Meck in dessen Buch „The Deutsche“ (2012) ein, er wäre für seinen Mentor Mitchell – dessen Bildnis in Jains Büro steht – „bis ans Ende der Welt gegangen“. Zugleich läßt er dort seinen Interviewer wissen: „Sie haben Talente, ich habe Talente. Für meine ist der Preis hoch, für Ihre niedriger. Schlecht für Sie, gut für mich.“ Diese Abgehobenheit korrespondiert mit der lakonischen Auskunft Jains über seinen Dienstsitz, der bei British Airways und Lufthansa sei. Paradigmatisches Spiegelbild dieser Klasse ist der Vorfall des Deutsche-Bank-Vorstandes Clemens Börsig, der bei einer Gerichtsvernehmung außerstande war, seinen Wohnsitz korrekt anzugeben.

Je höher man steigt, desto tiefer ist aber der Fall. Ausgerechnet William Broeksmit, zuletzt Risiko-Chef der Deutschen Bank, hatte sich Ende letzten Jahres in seiner Wohnung erhängt. Dies bildete den Auftakt zu einer bislang beispiellosen Selbstmordserie in der Finanzwelt. Insgesamt haben sich in den letzten drei Monaten acht Investmentbanker und Broker getötet. Psychologen machen dafür einen steigenden Leistungsdruck und eine neue Kultur des Mißtrauens in den Banken und der Öffentlichkeit verantwortlich. Für einen wirklichen Kulturwandel ist es daher höchste Zeit.

Nils Ole Oermann: Tod eines Investmentbankers. Eine Sittengeschichte der Finanzbranche. Herder, 2013, gebunden, 256 Seiten, 19,99 Euro

Foto: Mitchell (links) und Jain: Häuptling und Indianer

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