© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/14 / 04. April 2014

Privatsphäre war gestern
Überwachungsstaat: Nicht nur Telefonate und E-Mails werden lückenlos überwacht, sondern auch Transaktionen
Christoph Braunschweig

Die wichtigsten Nationen der Erde planen einen fast weltweiten Austausch sämtlicher Kontoinformationen. Es ist, als habe die NSA-Affäre nie stattgefunden und als wären die Lippenbekenntnisse aller staatlich besoldeten Datenschützer wertlos. Beim Kirchenvater Augustinus heißt es: „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine Räuberbande.“ Genau so ist es. Ohne garantierte Persönlichkeitsrechte und die finanzielle Privatsphäre sind Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Demokratie nicht denkbar.

In seinem Buch „Einspruch!“ stellt der Investmentbanker Andreas Lusser deshalb die Datensammelwut und den immer perfekteren Finanzdatenaustausch in einen größeren Zusammenhang, der nicht nur rein fiskalische Interessen und die Steuergerechtigkeit beinhaltet. Vielmehr streicht er den einzigartigen Stellenwert der geschützten Privatsphäre als elementares Menschenrecht unseres abendländischen Kulturkreises heraus.

Abgesehen von dem Kritikpunkt, daß ökonomischer Aufwand und Ertrag der datenmäßigen Massenüberwachung in keinem Verhältnis stehen, äußert der Autor vor allem Bedenken gegen die zunehmende systematische Aushöhlung der Persönlichkeitsrechte des Bürgers durch einen Finanzdatenaustausch in weltweiter Form. Dabei ist Andreas Lusser keineswegs ein Gegner davon, daß der Staat zum Beispiel Steuerhinterziehung – bei begründetem Verdacht im Einzelfall – konsequent bekämpft, um Steuergerechtigkeit zu erreichen.

Angst vor Terroranschlägen, Geldwäsche und Steuerhinterziehung sind die emotional aufgeladenen Schlagworte, mit denen viele Regierungen die immer feinmaschigere Überwachung und Kontrolle ihrer Bürger rechtfertigen. Geplantes Bargeldverbot und Devisenkontrollen verstärken das staatlich erzeugte Gefühl des Mißtrauens. Warum tragen eigentlich Schweizer Bürger ihr Geld nicht ins Ausland, obwohl die Schweiz kein steuerliches Eldorado ist? Die Schweizer Bürger haben das, was den Bürgern woanders inzwischen abhanden gekommen ist: Vertrauen! Vertrauen ist das wichtigste Kapital jedes Staatswesens.

Doch die meisten Regierungen stellen ihre Bürger unter Generalverdacht. Mit der Jagd nach vermeintlichen Steuersündern wird die Einführung eines Überwachungsstaates gerechtfertigt, rechtsstaatliche Prinzipien werden über Bord geworfen, dem Datenmißbrauch sind Tür und Tor geöffnet. Die Gründe dafür sind einfach: Der Finanzhunger des Wohlfahrtsstaates ist grenzenlos, schon weil Steuerverschwendung folgenlos bleibt. Hinzu kommen die Probleme durch die Staatsschulden- und Euro-Krise.

Grenzenloser Finanzhunger der Wohlfahrtsstaaten

Die Non-Profit-Organisation Privacy International hatte bereits im Jahr 2011 einen „beunruhigenden Niedergang beim Schutz der Privatsphäre quer durch Europa und einen steilen Anstieg staatlicher Überwachung“ festgestellt.

Der Finanzdatenaustausch über praktisch jede Person (auch über nationale Grenzen hinaus), wie er unter anderem von der Uno gefordert und von den G20-Staaten vorbereitet wird, darf deshalb nicht nur unter steuerlich-ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet werden.

Denn es gibt zum Beispiel genügend Regime, die liebend gerne Informationen über die finanzielle Privatsphäre von Oppositionellen und Andersdenkenden hätten. Was würde wohl die chinesische Regierung mit detaillierten Finanzdaten des Dalai Lama anfangen? Und sind die jeweiligen Regierungen Chinas und Rußlands gegen Oppositionelle wie Ai Weiwei oder Michail Chodorkowski unter dem Deckmantel des angeblichen Steuerbetrugs vorgegangen? Auch in den USA wurde das Finanzamt eingeschaltet, um der Tea Party das Wasser abzugraben. Diverse konservative Vereine wurden erst nach Offenlegung interner Dokumente oder gar nicht als gemeinnützig anerkannt, was sie beim Sammeln von Spenden behindert hat.

Lusser beschreibt bedenkenswerte Lösungsansätze für den Schutz des Individuums vor staatlicher Überwachung und Willkür, zum Beispiel in Form anonymer Zahlungsmöglichkeiten und internationaler Abgeltungssteuer. Der Inhalt des Buches ist in fünf übersichtliche Kapital gegliedert, der Text in leicht verständlicher Form geschrieben und der Umfang auf das wirklich Wesentliche beschränkt. Dennoch erhalten selbst Kenner der Materie viele neue und interessante Hinweise. Optisch hervorgehobene Schlüsselsätze erleichtern das Leseverständnis. Zwei dieser hervorgehobenen Sätze lauten: „Die Freiheit zu entscheiden, wer was über mich weiß, gehört zum elementarsten Gut eines jeden Menschen.“ Und: „Letztlich wird die finanzielle Privatsphäre ausschließlich jenen zustehen, die sich die Kosten international verschachtelter Gesellschaften leisten können und wollen.“

Nur Diktaturen brauchen den gläsernen Bürger

Es ist zu wünschen, daß dieses Buch nicht nur von denjenigen gelesen wird, denen die schicksalhafte Bedeutung einer unantastbaren Privatsphäre – alleine schon aus historischer Erfahrung – klar ist. Für die vielen Gleichgültigen und Naiven müßte es Pflichtlektüre sein, denn nur kollektivistische totalitäre Regime brauchen den gläsernen Menschen!

Ein „intelligenter Staat“ würde kein Geld ausgeben, um die Privatsphäre der Bürger zu zerstören, sondern ließe sie für deren Erhalt bezahlen, konstatiert der Autor zu Recht.

 

Kommunikation: NSA läßt sammeln

Eher beiläufig hat die NSA durchblicken lassen, daß sie die gesamte Kommunikation des Iraks speichert. Seit Tagen wird darüber spekuliert, in welchem Land der US-Geheimdienst alle Gespräche für einen Monat speichern kann. Im Rest der Welt sammelt die NSA , wenn es ihr möglich ist, „nur“ die Verbindungsdaten, also wer mit wem wie Kontakt aufgenommen hat. Dies alleine sind sechs Milliarden Datensätze – pro Tag. Diese Daten lassen bereits Rückschlüsse auf den Charakter einer Person, sein soziales Umfeld, seine Geschäftsbeziehungen zu.

US-Präsident Obama hat wegen der NSA-Affäre folgende Reform angekündigt: Die Telefon- und Internetfirmen sollen künftig nach EU-Vorbild diese Daten für die NSA sammeln, damit sie es nicht mehr selbst machen muß.

Zeitgleich wurde bekannt, daß neben der Telefonüberwachung von Angela Merkels Handy möglicherweise weitere Daten der Kanzlerin gespeichert wurden. So zeigt eine Präsenationsfolie von 2009 aus dem Bestand Edward Snowdens, daß es über 300 Verweise auf Merkel gäbe, darunter vermutlich auch auf E-Mails und Faxe.

Andreas Lusser: Einspruch! Warum unser Geld Privatsphäre verdient. Finanzbuch-Verlag, München, 2014 144 Seiten, gebunden, 14,99 Euro

Foto: Überwachungsstaat: Ob Kommunikation oder Bankgeschäfte – Behörden registrieren jede Bewegung, um Bürger zu verfolgen und zu besteuern

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