© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/14 / 28. März 2014

Der unredliche Sonderweg
Der Politologe Konrad Löw und die Debatte um die Kollektivschuld der Deutschen am Judenmord
Gernot Facius

Konrad Adenauer konnte noch 1953, unterstützt von allen demokratischen Parteien, im Bundestag sagen: „Das deutsche Volk hat in seiner überwiegenden Mehrheit die an den Juden begangenen Verbrechen verabscheut und hat sich an ihnen nicht beteiligt.“

Diese Erklärung war, was weitgehend in Vergessenheit geraten ist, mit Repräsentanten des Judentums abgestimmt. 1979 hat die Autorin Inge Deutschkron in ihrem Buch „Ich trug den gelben Stern“ aufgrund eigener Erfahrungen während der NS-Zeit bestätigt, was der erste Bundeskanzler allgemein formuliert hatte, sie sang das hohe Lied „braver Menschen“, die ihren verfolgten Mitbürgern zur Seite standen. 34 Jahre später schlug sie andere Töne an. In einer Gedenkstunde des Bundestages für die NS-Opfer widersprach sie am 30. Januar 2013 den „Behauptungen“ Adenauers.

Warum verfinsterte sich das Bild der unter Hitler lebenden Deutschen? Dieser Frage geht Konrad Löw in seiner jüngsten Veröffentlichung „Adenauer hatte recht“ nach. Der Jurist und emeritierte Professor für Politikwissenschaft, Jahrgang 1931, ist ein gründlicher Rechercheur, der sich streng an Fakten orientiert, weiße Flecken der Historiographie markiert und geschichtspolitische Dogmen wie die „Kollektivschuld“ in Frage stellt. Er zitiert Aussagen von Zeitzeugen, darunter Jochen Klepper (Berlin) und Victor Klemperer (Dresden), die anders, authentischer klingen als die pauschalen Anklagen, die von Nachgeborenen gegen die Generation der Eltern und Großeltern erhoben werden: gegen „die Deutschen“ allgemein, die angeblich nicht nur von den Verbrechen der Machthaber gewußt haben, sondern „mithalfen – durch Zustimmung, Denunziation und Mitarbeit“, wie es in einer Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hieß.

Der Autor differenziert zwischen dem amtlichen Deutschland und dem „anderen Deutschland“, er wirft einen Blick auf die Berichte von Ausländern im Dritten Reich, Diplomaten, Journalisten, Geschäftsleuten, und zitiert die Neue Zürcher Zeitung aus dem Pogrom-Jahr 1938: „Die Bevölkerung, zur Ehre des deutschen Volkes sei es gesagt, zeigt sich zum allergrößten Teil über diese Exzesse (gegen die Juden) empört, und viele Leute halten mit offener Kritik nicht zurück.“

Konrad Löw hat die letzten Jahre des NS-Regimes noch bewußt erlebt, er schöpft aus den Erlebnisberichten von Verwandten und Bekannten und läßt sich ganz von der Maxime „Zurück zu den Quellen“ leiten, die Wahrheit sei den Menschen zumutbar. Der Autor bleibt dabei: Adenauer hatte recht.

Es läßt sich allerdings nicht leugnen, daß sich seit dem Historikerstreit Mitte der achtziger Jahre ein Verfall der professionellen Standards der deutschen Geschichtswissenschaft bemerkbar machte. Nur so ist zu begreifen, weshalb noch heute der Kollektivschuldvorwurf und die Pflege des deutschen Schuldbewußtseins ein Herrschaftsinstrument in der Hand aller sind, „die Herrschaft über die Deutschen ausüben wollen, drinnen wie draußen“ (Johannes Gross).

Die „Verantwortung der Deutschen“ als neue Floskel

Seit Mitte der 1990er Jahre, nach der deutschen Vereinigung, ist vermehrt pauschal von „deutscher Schuld“ und von „Verantwortung der Deutschen“ die Rede. Löw legt dar, daß rein begrifflich eine gewisse Entschärfung vorgenommen worden ist, gemeint ist aber das, was Gross so markant beschrieben hat. Die Maschinen der „Bewältigungsindustrie“ arbeiten weiter auf Hochtouren. Die Nachgeborenen, nicht die wenigen noch lebenden Zeitzeugen, bestimmen den Diskurs.

Wer an geschichtspolitischen Dogmen kratzt, geht ein Risiko ein, er wird stigmatisiert und an den Medien-Pranger gestellt. Der Autor hat das erfahren, als das Deutschland-Archiv 2004 seinen Vortrag über „Deutsche Identität in Verfassung und Geschichte“ abdruckte. „Wir dürfen nicht zögern“, formulierte Löw, „die Verbrechen des NS-Regimes als wichtigen Teil der deutschen Geschichte, der deutschen Identität zu bekennen. Aber wir sollten jenen entgegentreten, die allgemein von deutscher Schuld sprechen, wenn damit gemeint ist, daß die große Mehrheit der damals lebenden Deutschen mitschuldig gewesen sei an einem der größten Verbrechen in der Menschheitsgeschichte. Ein solcher Vorwurf ist ungeheuerlich, wenn er nicht bewiesen wird. Dieser Nachweis wurde bis heute nicht erbracht.“ Der Eklat war da: Die Bundeszentrale für politische Bildung distanzierte sich später „aufs schärfste“ von dem Text, der Rest der von ihr verbreiteten Auflage wurde sogar makuliert.

Eine Verfassungsbeschwerde des Verfassers gegen dieses Vorgehen wurde 2010 vom Bundesverfassungsgericht für „offensichtlich begründet“ erklärt. Doch damit war die Geschichte noch nicht zu Ende. Welt Online, Frankfurter Rundschau, Die Zeit und die Süddeutsche Zeitung („Verfassungsgericht schützt Geschichtsfälschung“) attackierten nicht nur Löw, sondern auch die Karlsruher Richter. „Bundeszentrale muß antisemitischen Unfug dulden“, hieß es in der Welt, die sich hier besonders aggressiv hervortat.

Konrad Löw hat die unrühmliche Rolle der Medien in seinem Buch dokumentiert. Es ist somit auch ein Sittengemälde der deutschen Presse, in der sich „Publizisten als Scharfrichter“ aufspielen. Die Frage erheischt eine Antwort: Kann es denn sein, daß in einer Gesellschaft, die sich wegen ihrer Offenheit und Toleranz gern auf die Schulter klopft, die Toleranz dort endet, wo eine „Bewältigung“ der Vergangenheit durch eine offene Diskussion eingefordert wird? Die Wahrheit sollte den Menschen doch zumutbar sein.

Wie schreibt der amerikanische Menschenrechtsexperte Alfred de Zayas in seinem Nachwort? „Die Usurpierung der Schuld durch manche deutsche Journalisten, Politiker und Zeithistoriker stellt einen epistemologisch (erkenntnistheoretisch) unredlichen Sonderweg dar, eine Zumutung gegenüber allen, die eine differenzierte Betrachtung der Geschichte verlangen.“ Die Reaktion auf das Buch „Adenauer hatte recht“ wird einen Hinweis darauf geben, wie es aktuell um die deutsche Diskurskultur steht.

Konrad Löw: Adenauer hatte recht. Warum verfinstert sich das Bild der unter Hitler lebenden Deutschen? Verlag Inspiration Un Limited, Berlin 2014, broschiert, 203 Seiten, 14,90 Euro

Foto: Zeichnung des DDR-Grafikers Herbert Sandberg von 1946: „Das deutsche Volk hat in seiner überwiegenden Mehrheit die an den Juden begangenen Verbrechen verabscheut“ (Adenauer)

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen