© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/14 / 28. März 2014

Lüsternes Flackern wie auf einer Dorfkirmes
„Tannhäuser“ in Böhmen: Die Inszenierung von Richard Wagners romantischer Oper in Prag zeugt von Achtlosigkeit gegenüber dem Werk
Sebastian Hennig

Richard Wagner und Böhmen, das wäre ein eigenes Kapitel wert. Immerhin brachte das Kulturhaus in Aussig vor einem Jahr ein Festkonzert zum Doppeljubiläum Verdis und Wagners zustande. Auf der nahen Burgruine Schreckenstein wurde Wagner 1842 von der Eingebung zum „Tannhäuser“ heimgesucht. Nun erlebte diese romantische Oper wieder einmal eine Premiere am Nationaltheater Prag. Das Programmheft enthält eine Stammtafel der deutschen und böhmischen Fürsten mit dem Verweis, daß Landgraf Hermann von Thüringen und Ottokar I. Přemysl Vettern waren.

Das deutsche Theater Prag war einst ein Zentrum der Pflege von Wagners Kunst. Heute findet sich der Bau mit der Neorenaissance-Fassade und dem Neorokoko-Innenraum eingeklemmt zwischen den zwei sozialistischen Neubauten des Bahnhofs und des Parlaments (derzeit als Ausweichquartier des Nationalmuseums genutzt). Am 5. Januar 1888 wurde das Theater mit Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ festlich eröffnet. Es folgte bald die erste Aufführung der „Ring“-Tetralogie in Böhmen. Finanziert wurde der laufende Betrieb aus privaten Spenden. Dabei war die Auslastung sehr gut. Denn das Opernhaus war das konstituierende Element im Kulturbewußtsein der Prager Deutschen.

Ein halbes Jahr vor dem Einmarsch der Wehrmacht in Prag wurden die Verträge für das Haus gekündigt und das Theater zur Beute des tschechoslowakischen Staates. Zweimal wurde es später noch mit der tschechischen Nationaloper zusammengelegt, 1948 aus kulturpolitischen Absichten als Smetana-Theater. Aus ökonomischen Gründen gingen dann 2012 erneut zwei Jahrzehnte als selbstverwaltete Staatsoper Prag zu Ende.

Das Prager Musikleben hätte diese Spannung zwischen deutscher und tschechischer Kultur beflügeln können. Nun klafft ein Abgrund zwischen den Barock-Potpourris für die Touristen und den weltbesten Aufführungen der Klassiker des tschechischen Musiktheaters an der Nationaloper.

Etwas irritierend wirkte auch diese „Tannhäuser“-Produktion. Viele Einzelleistungen erreichen ein hohes Niveau. Ohne daß etwas besonders störend gewirkte hätte, blieb aber doch die Gesamtwirkung hinter dem zurück, was einige Provinzbühnen Deutschlands, wie Freiberg (JF 3/13) und Zwickau (JF 10/14) erreicht haben. Der begeisterte Beifall in Prag galt somit weniger der Leistung der momentanen Darbietung als vielmehr Wagners Kunst an sich. Für eine langsam-langweilige und schleppende Ouvertüre toste der Applaus.

Zwischenapplaus schneidet in die Handlung ein

Auch das lüsterne Flackern in der Venusbergszene wollte nicht recht gelingen. Das Ergebnis war eher eine Dorfkirmes-Erotik. Dabei verfügt Dana Burešová durchaus über eine beachtliche Stimme für die Elisabeth, ebenso der Tannhäuser Daniel Frank, doch hat er sie nicht immer im Griff, was besonders zu Beginn und im Finale einen ungünstigen Eindruck erzeugte. Mit Liszt-Mähne und Samtjacke hebt er sich ab von den Rittern am Landgrafenhof, die alle über korrekte Haartracht und Garderobe verfügen.

Der Burešová ist die zärtlich-hoffende Landgrafen-Nichte nicht abzunehmen, doch mit der Empörung des verletzten Weibes macht sie das wett, wenn ihr „Zurück“-Ruf das Eindringen der Ritter auf Tannhäuser durchschneidet. Auch das Publikum schneidet in die Handlung ein, indem es den Zusammenhang zwischen dem Duett und der Aufbruchsszene mit ausgiebigem Zwischenapplaus zerreißt.

Die Dramaturgie läßt eine Mischform aus opernhaften Pathosgesten und unmotiviertem Herumgetrappel zu. Mit dem Ruf „Nach Rom!“ am Ende des zweiten Aufzugs fallen sich Tannhäuser und die Sänger in die Arme, er schüttelt dem Landgrafen die Hand, während dieser ihn eben noch eines furchtbaren Verbrechens zieh und das Rom-Motiv unmißverständlich Unterwerfung fordert, aber nicht zu einer mediterranen Lustpartie einlädt. Das ist gewiß nicht böse gemeint, zeugt aber von Unverständnis und Achtlosigkeit gegenüber den Intentionen des Werkes und seines Schöpfers.

Eine spannungslose Waldkulisse gibt den Hintergrund für Szenen im Freien. Davor schieben sich dann die Rom-Pilger vorbei wie die Gesellschaft auf Courbets Begräbnis von Ornans: Rechts rein und links wieder raus. Das wirkt etwas albern. Als im Finale Tannhäuser und Wolfram in den Venusberg eintreten, verwandelt sich nur das Licht auf der Szene. Der deutsche Eichwald glüht nun rot. Es wäre eine kleine Mühe gewesen, hier etwas mehr zu zaubern. Denn für den Schlußapplaus war dann im Handumdrehen die Kulisse gewechselt.

Das Staatsopernorchester klingt so, als hätte es das Zeug dazu, Wagners Musik gerecht zu werden. Doch unter dem Dirigat von Hilary Griffiths wirkt diese mit ihren spannungsgeladenen Wiederholungen und Steigerungen immer bloß mechanisch repetierend. Vielleicht wurde aber einfach nicht ausreichend geprobt.

Oder es liegt an der Akustik des Hauses, die im Nationaltheater eindeutig besser ist. Großartig sind die Harfenistinnen Vendulka Vaňková und Lucie Navrátilová. Ihre schmelzenden Soli zum Sängerwettstreit bringen wirklich Tannhäuserluft auf, wenn auch feucht durchzogen von mythischem Moldauwasserrauschen. Doch daran darf man unbefangen seine Freunde haben. Das sind statthafte Einfärbungen. Dieser Wolfram von Eschenbach geht etwas über diese Linie hinaus. Seine verborgene Liebe zu Elisabeth und die Freundschaft zu Tannhäuser, welche für den dramatischen Konflikt so wichtig sind, sind ihm nicht anzumerken. Der brasilianische Sänger Miguelangelo Cavalcanti markiert einen drolligen Lümmel, dem die Arme bis an die Kniekehlen reichen. Sein Herumschnüren auf der Bühne wirkt unfreiwillig komisch. Und während Elisabeth-Burešová zum Ende immer mehr auch innerlich in Fahrt kommt, macht Cavalcanti nur einen Sängerjob. Sicher ist er ein guter Verdi- und Puccini-Sänger. Daß es in Prag keine Tradition des Wagner-Gesangs mehr zu geben scheint, macht es nicht einfacher für ihn.

Dvoraks „Jakobin“ wird üppig in Szene gesetzt

Doch Prag ist eine Opernstadt. Wer sie als solche erleben will, der bleibt wohl bis auf weiteres auf die tschechische Nationaloper verwiesen. Dort wird seit 2012 Antonín Dvoraks musikdramatisches Vermächtnis „Jakobin“ in einer Neuinszenierung gegeben. Diese Apotheose des böhmischen Dorfes wird üppig in Szene gesetzt, das Orchester und die Sänger sind in ihrem ureigensten Element. Auch in „Jakobin“ geht es um Gesang, um den der Schulkinder und ihres liebenswürdigen Dorfkantors. Ohne Wagners Strahlkraft ist die Schönheit der tschechischen Musikdramatik nicht zu denken. Damit dessen Stern in Prag wieder so strahlt wie einst, bedarf es noch vieler Proben und fleißigen Übens, nicht zuletzt der deutschen Sprache, deren Eigengesetz für Wagners Werke so grundlegend ist. Vielleicht wird die Premiere von „Pád Arkuna“ des tschechischen Wagner Zdeněk Fibich am 9. Oktober ein weiterer Schritt in diese Richtung sein.

Sonst gilt: Man muß nicht alles können. Im Wertschätzen des Eigenen könnten uns die Tschechen ein flammendes Vorbild sein, so wie es Wagner einst für Smetana, Dvorak und Fibich gewesen ist.

Die nächsten „Tannhäuser“-Vorstellungen an der Statni Opera in Prag finden am 25. April und 25. Mai statt. Dvoraks „Jakobin“ ist am 23. April, 21. Mai und 29. Juni zu sehen. www.narodni-divadlo.cz

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