© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/14 / 28. März 2014

Die Basis ergreift das Wort
Alternative für Deutschland: Auf ihrem Parteitag in Erfurt zeigen die selbstbewußten Mitglieder AfD-Chef Bernd Lucke die Grenzen auf
Marcus Schmidt

Der Aufstieg der Alternative für Deutschland (AfD) gleicht mitunter einem Experiment am lebenden Objekt. „Wo wir keine Erfahrungen hatten, haben wir welche gemacht“, hat AfD-Sprecher Bernd Lucke dieses Phänomen zusammengefaßt. Am vergangenen Wochenende durfte er sich, wenn auch unfreiwillig, persönlich bestätigt fühlen.

Die in Erfurt versammelten mehr als 1.000 AfD-Mitglieder bescherten ihrem Parteichef gleich zu Anfang eine empfindliche Niederlage. Über den Entwurf für eine neue Bundessatzung, der in der Partei bereits seit Wochen für Diskussionen gesorgt hatte, wurde nicht einmal diskutiert. Die Mitglieder strichen den entsprechenden Tagungsordnungspunkt und vertagten das Thema auf Herbst. Was in anderen Parteien für den Vorsitzenden, dem zuvor mehrfach geraten worden war, den Satzungsentwurf zurückzuziehen, das Aus bedeutet hätte, blieb in Erfurt ohne ernste Konsequenzen, wenn auch nicht folgenlos. Als Lucke wenig später in seiner Rede die Partei auf die Europawahl und die Landtagswahlen einschwor und den Medien unfaire und tendenziöse Berichterstattung vorwarf, hatte er seine Kritiker längst wieder auf seine Seite gezogen.

Am folgenden Tag stellte Lucke dann seine Lernfähigkeit unter Beweis. Statt die von ihm eingebrachten politischen Leitlinien, eine Art Grundsatzprogramm, zur Diskussion und Abstimmung zu stellen, schlug er vor, die Mitglieder im Internet darüber entscheiden zu lassen. Zuvor können diese nun per Mail noch eigene Vorschläge einbringen. Daß Lucke die dadurch entstehende zeitliche Verzögerung in Kauf nimmt, ist bemerkenswert. Denn er hatte die Leitlinien, in denen der Charakter der AfD als demokratische Rechtsstaatspartei hervorgehoben wird, als Gegenmittel gegen die von ihm attestierte wachsende Wahrnehmung der AfD als „rechts von der Union“ vorgestellt. In den Augen Luckes eine gefährliche „Fehlwahrnehmung“, bei der „Gefahr im Verzug“ sei. Obwohl die Partei in dieser Frage „nicht zögern und trödeln“ dürfe, entschied er sich offenbar unter dem Eindruck des Vortages für die berechenbarere Abstimmung im Internet. Denn sowohl im Streit um die Satzung, durch die Luckes Stellung in der Partei gestärkt worden wäre, als auch bei den politischen Leitlinien ging es nicht nur um inhaltliche Auseinandersetzungen. Vielmehr fühlten sich viele Mitglieder zeitlich unter Druck gesetzt. So ging etwa der angesichts der parteiinternen Kritik ausgearbeitete Kompromißvorschlag für eine neue Satzung den Mitgliedern erst am späten Donnerstag abend vor dem Parteitag per Mail zu.

In der Berichterstattung wurden diese Streitigkeiten und die Querelen bei der Wahl der Versammlungsleitung und dem Beschluß der Tagesordnung als Beleg für den chaotischen Zustand der Partei interpretiert. Vor allem die unzähligen Anträge zur Geschäftsordnung, die von einigen Mitgliedern – und ganz besonders von dem einstigen Gründer der Hamburger Statt-Partei, Markus E. Wegner – gestellt wurden, stützten in den Augen mancher Beobachter diese Deutung. Doch im weiteren Verlauf des Parteitages zeigte sich, daß diese Auseinandersetzungen von vielen Mitgliedern offenbar eher als Ausdruck des basisdemokratischen Charakters der Partei denn als Krisensymptom gewertet wurden.

Als es nach drei Stunden Kampf um Formalitäten schließlich an die inhaltliche Debatte des Europawahlprogrammes ging, schaltete der Parteitag in den Beratungsmodus. Ohne nennenswerte Auseinandersetzungen wurden der Entwurf angenommen und offene Fragen entschieden. Hier zahlte sich die Vorabstimmung im Internet aus, an der sich ein gutes Drittel der mittlerweile 18.000 Mitglieder beteiligt hatte. Hitzig wurde es dagegen noch einmal, als ein AfD-Mitglied eine äußerst rußlandfreundliche Resolution zur Krim-Krise einbrachte. Doch auch hier bewährte sich das Prinzip der Basisdemokratie: Schnell fand sich eine Gruppe von Mitgliedern zusammen, die den Entwurf deutlich überarbeitete und damit mehrheitsfähig machte.

Zu den vielleicht folgenschwersten Beschlüssen in Erfurt gehört die Grundsatzentscheidung zur Gründung einer parteinahen Stiftung. Daß es sich hierbei nicht erst seit dem gescheiterten Versuch der früheren Pressesprecherin Dagmar Metzger, unter Umgehung des Parteitages eine solche Stiftung zu installieren, um ein sensibles Thema in der AfD handelt, zeigte sich während der Diskussion. Mehrere Mitglieder forderten, daß sich die Partei, die als Alternative zu den Etablierten angetreten sei, gegen eine durch Steuergelder finanzierte Stiftung entscheiden müsse. Ein Mitglied drückte diese Vorbehalte anschaulich aus: Er warnte eindringlich davor, die Alternative durch die „vergiftete Frucht des Parteienstaates“ zu beschädigen. Lucke konnte die Mehrheit indes überzeugen: Solange die anderen Parteien mit Hilfe ihrer Stiftungen, für die sie jährlich Millionen von Euro kassierten, die AfD bekämpften, wäre die Partei „mit dem Klammerbeutel gepudert“, verzichtete sie auf das Geld.

Am Ende des zweitägigen Parteitages, nachdem Bundeschatzmeiser Norbert Stenzel, dem Untätigkeit vorgeworfen worden war, vergeblich um sein Amt gekämpft hatte und schließlich zurücktrat, schrammte die Versammlung knapp an einer Überraschung vorbei. Europakandidat Hans-Olaf Henkel, der bei seinem Eintritt in die AfD im Januar noch verkündet hatte, er strebe keinen Parteiposten an, setzte sich bei der Nachwahl für das Amt als Parteivize knapp mit 334 zu 313 Stimmen gegen Marcus Pretzell durch. Ein Erfolg des Konservativen Pretzell, der bereits auf dem Parteitag in Aschaffenburg versucht hatte, Henkel Platz zwei der Europaliste streitig zu machen, hätte den Plan der Parteispitze durchkreuzt, mit Henkel den liberalen Flügel öffentlichkeitswirksam zu stärken.

Pretzell, der in seiner Bewerbungsrede Henkel indirekt scharf angriff, erzielte bei der folgenden Wahl der vier neuen Beisitzer dann das mit Abstand beste Ergebnis. Nicht so gut lief es für den 23 Jahre alten Kandidaten der Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) Markus Frohnmaier, der knapp gegen die frühere CDU-Europaabgeordnete Ursula Braun-Moser (76) unterlag. Negativ für Frohn-maier könnte sich die für diese Woche geplante Diskussionsveranstaltung der JA mit UKIP-Chef Nigel Farage ausgewirkt haben. Bei Lucke war die Einladung an Farage nicht auf Begeisterung gestoßen. Er war bislang bemüht, die AfD auf Abstand zu den britischen Europa-Kritikern zu halten.

Kommentar Seite 2

 

Der Bundesvorstand der AfD

(Neu gewählte Mitglieder)

Dr. Konrad Adam, Sprecher

Prof. Dr. Bernd Lucke, Sprecher

Dr. Frauke Petry, Sprecherin

Patricia Casale, Stellvertretende Sprecherin

Alexander Gauland, Stellvertretender Sprecher

Hans-Olaf Henkel, Stellvertretender Sprecher

Piet Leidreiter, Schatzmeister

Ursula Braun-Moser, Beisitzerin

Verena Brüdigam, Beisitzerin

Beatrix Diefenbach, Beisitzerin

Gustav Greve, Beisitzer

Marcus Pretzell, Beisitzer

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