© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/14 / 21. März 2014

Was Freimaurer und Rotary unterscheidet
Zwei ZDF-Journalisten präsentieren ihr wenig erhellendes „Standardwerk“ über Geheimbünde
Paul Leonhard

Kaiser Wilhelm II. war im Gegensatz zu seinem Vorgänger kein Freimaurer, dafür aber sehr angetan vom geheimnisvollen Mithras-kult. So dürfte er gejubelt haben, als ihm Baurat Heinrich Jacobi 1903 per Telegramm mitteilte, daß das Mithras-Heiligtum auf der Saalburg bei Bad Homburg gefunden sei. Auch wenn es sich später als reines Phantasieprodukt entpuppte, gilt die Stätte noch heute in der Neuheiden- und Hexenszene als energetischer Kraftort.

„Immer wieder finden sich Menschen zusammen, um geheime Traditionen der alten Mysterien fortzuführen“, schreiben Gisela Graichen und Alexander Hesse in ihrem Buch „Geheimbünde. Freimaurer und Illuminaten, Opus Dei und Schwarze Hand“. Da all diese weitgehend im Verborgenen agieren, regen sie die Phantasie an, sind Stoff für Romane und befördern Verschwörungstheorien. Den gängigsten haben die Autoren ein eigenes Kapitel gewidmet: dem Mythos einer jüdischen Weltverschwörung, der Landung von Außerirdischen, der Mond-Mission der Nasa, den Terroranschlägen des 11. September 2001. Auf diesen 53 Seiten fällt am deutlichsten der kolportagehafte Stil des gesamten Buches auf.

Denn auch die zuvor vorgestellten Vereinigungen unterscheiden sich grundlegend voneinander. Da ist der Studentenbund „Skull and Bones“, der so geheim ist, daß auch die Autoren wenig mehr offenbaren können, als daß es hier um Seilschaften in mächtigen Positionen geht und die Bushs zu den Mitgliedern gehören. Daß Opus Dei, wie Graichen/Hesse schreiben, „ohne Frage eine der aggressivsten Organisationen innerhalb der katholischen Kirche“ sei, ist schon oft behauptet worden, einen Beweis findet man in dem Buch nicht. Geschichtlich neutral erfolgt die Beschreibung des Aufstiegs und Falls des mönchischen Ritterordens der Templer, die Geschichte des Mithrakults, der Rosenkreuzer, Illuminaten und Freimaurer.

„Prieuré de Sion“ ist ohnehin nur ein Schwindel im französisch-katholischen Milieu und paßt gut zum Unterkapitel „Ich bastle mir eine Verschwörungstheorie“: Man nehme ein paar bekannte historische Gestalten, zufällig entdeckte historische Dokumente und eine „gehörige Prise an kleinen, profanen, nachprüfbaren Tatsachen, reiße Zitate anerkannter Zeitgenossen aus dem Zusammenhang, mische Wahrheit, Halbwahrheiten und Phantasie“, sammle passende Indizien und verbinde das Ganze zu einer logisch erscheinenden Kette und würze alles mit einem großen Geheimnis.

So in etwa dürfte auch dieses reißerisch als „neues, spannendes, detailreiches Standardwerk über Verschwörungstheorien und das Wirken von Geheimgesellschaften“ angekündigte Buch entstanden sein. Ein Anspruch, den es nicht hält, auch weil in vielen Kapiteln komplizierte Sachverhalte auf einfache Formeln reduziert werden. Das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo sei beispielsweise von den „Generalstäben in Berlin und Wien als willkommene Chance genutzt“ worden, „den Ersten Weltkrieg zu entfesseln“.

Ist es tatsächlich so, daß Mitglieder geheimer Gesellschaften im Verborgenen agieren, uralte Rituale praktizieren, Staaten lenken und die Weltherrschaft anstreben? Dem Leser werden „verblüffende Antworten“ versprochen. Diese kommen dann auf „Fernsehniveau“. Denn die Autoren arbeiten vor allem als Populärjournalisten für das Zweite Deutsche Fernsehen, wo Hesse bis 2012 die Redaktion „Geschichte und Gesellschaft“ geleitet hatte.

Weil Rotary vielen bekannt ist, setzen die Autoren bei diesem an. Es handle sich um „ein weltumspannendes Netzwerk von Führungskräften, die sich exklusiv und abgeschottet treffen, um die Welt zu verändern“. Aber Rotary sei kein Geheimbund, auch wenn Nachbar, Arbeitskollege oder Freund, die das kleine Clubabzeichen am Revers tragen, in dieser Beziehung sehr verschwiegen sind. Die Freimaurerei, einst aus der Tradition der mittelalterlichen Bauhütten entstanden und ab dem 18. Jahrhundert dem Gedanken der Aufklärung verpflichtet, sei dagegen ein Geheimbund. Warum das so ist? Die Antwort lautet: „Geheimbünde setzen Verschwörungstheorien voraus und umgekehrt. Wo Informationen fehlen, gedeihen Verschwörungstheorien. Und die können gefährlich werden.“

Nach dieser Schlußfolgerung auf Seite 10 könnte man das Buch getrost aus der Hand legen. Denn auch die weiteren 370 Seiten liefern kaum Aufschlüsse. Zwar wird die Geschichte der einzelnen Organisationen detailliert beschrieben, werden das Agieren von Opus Dei, Propaganda Due (P2) oder Skull and Bones anhand von Zeitungs- und Zeitzeugenberichten geschildert, aber ohne wirklich die Macht der geheimen Gesellschaften zu enthüllen oder gar einem wissenschaftlichen Anspruch zu genügen.

Dabei setzten die Autoren hoffnungsvoll an. In der Einführung geht es um das „verlorene Wissen“ der Menschheit. Wird dieses vielleicht von den Geheimbünden aufbewahrt und von Generation zu Generation weitergegeben. Graichen und Hesse greifen diese Hypothese, die ein ganzen Buch wert wäre, nicht weiter auf. Sie begnügen sich damit, jedes Kapitel locker einzuleiten, um dem Leser den Einstieg zu erleichtern. Anschließend werden viele Fragen gestellt, auf die es keine Antworten gibt, und Symbole erläutert.

Letzteres ist nicht schwierig, da beispielsweise bei den Freimauern sämtliche Geheimzeichen und Losungsworte bereits in „Verräterschriften“ veröffentlicht worden sind. Warum die Freimaurer, die sich selbst als diskreten Bund verstehen, trotzdem den Autoren als Geheimbund gelten? Die Antwort ist verblüffend: Rotary nimmt inzwischen gleichberechtigt Frauen als Mitglieder auf.

Gisela Graichen, Alexander Hesse: Geheimbünde. Freimaurer und Illuminaten, Opus Dei und Schwarze Hand. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013, gebunden, 384 Seiten, Abbildungen, 19,95 Euro

Foto: Vorbereitung einer Zeremonie in einer Freimaurer-Loge in Amsterdam: „Ich bastle mir eine Verschwörungstheorie“

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