© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/14 / 21. März 2014

Ein mächtiger Netzwerker
Katholische Kirche: Kardinal Marx, der neugewählte Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, muß sich auf mehreren Baustellen beweisen
Gernot Facius

Kardinal Reinhard Marx (60) ist das, was man in der Politik einen „Netzwerker“ nennt. Kein vergleichbarer kirchlicher Würdenträger hat so viele Ämter angehäuft wie der Erzbischof von München und Freising, der neue Mann an der Spitze des deutschen Episkopats: Vorsitzender der Kommission der europäischen Bischofskonferenzen, Mitglied des aus acht Purpurträgern bestehenen päpstlichen Beraterkreises, der Vorschläge für eine Kurienreform machen soll, Koordinator eines neuen vatikanischen Wirtschaftsrates, Großkanzler der Katholischen Universität Eichstätt, Leiter der bayerischen Bischofskonferenz – und nun, nach dem Abgang von Erzbischof Robert Zollitsch (75), „der starke Mann“ und das Talkshow-erprobte Gesicht der katholischen Kirche in Deutschland.

Ein Mächtiger ist noch mächtiger geworden. Marx hat das Ohr von Papst Franziskus, von der Begeisterung für den Pontifex profitiert auch die Kirche in Deutschland. Das kann ihr nach den Mißbrauchs- und Finanzskandalen fürs erste dabei helfen, aus dem Tal der Tränen herauszufinden. Der barocke, eloquente Westfale Marx beherrscht das Spiel mit der veröffentlichten Meinung wie vielleicht nur noch sein Mainzer Amtsbruder, Kardinal Karl Lehmann; er weiß, wie die Medien ticken, worauf sie sich in Kirchenfragen kaprizieren.

Es bedurfte gar keiner seherischen Gabe, um vorauszusagen, welches Thema ganz oben auf der Agenda stehen wird: der „barmherzige“ Umgang mit den Geschiedenen, die wieder geheiratet haben. „Marx fordert Kommunion für Geschiedene“, titelte etwas voreilig die Welt. Ganz so plakativ hat der Kardinal sich nicht geäußert. Denn die Causa ist zu komplex, die Schwierigkeit des Problems wird unterschätzt, weil es um Grundsätzliches geht: um das Scheidungsverbot, das prominent im Neuen Testament verankert ist und nach tradierter kirchlicher Lehre nicht ausgehebelt werden darf.

Marx verweist lediglich auf den bekannten Vorschlag von Kardinal Walter Kasper, daß Geschiedene, die ihr Scheitern anerkennen, nach einer Zeit der Buße um die Wiederzulassung zu den Sakramenten bitten können. Für den neuen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) ist das ein „gangbarer Weg, der aber immer auf einzelne Fälle bezogen sein muß“.

Mahnung an Marx, in der römischen Spur zu bleiben

Doch selbst darüber gibt es unter seinen Mitbrüdern keinen Konsens. Zur römischen Sondersynode über Ehe und Familie wird es zwar einen deutschen „Beitrag“ zu dem konfliktträchtigen Thema geben, aber keinen förmlichen Antrag. Die Diskussion, sucht Marx die Ungeduldigen zu beschwichtigen, sei noch im Fluß. Die Betroffenen sollten jedoch wissen: „Ihr seid keine Christen zweiter Klasse.“ Der Umgang mit den wiederverheirateten Geschiedenen wird ein heißes Eisen bleiben, zumal der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, Änderungen an der bisherigen Praxis ausgeschlossen hat.

Die Kirche in Deutschland ist nicht der Nabel der katholischen Welt, und in den wichtigen theologischen Fragen – dazu gehören die von Ehe und Familie – sind gesamtkirchliche Entscheidungen notwendig. Von den weltweit rund 1,2 Milliarden Katholiken leben zwei Prozent in Deutschland. Sonderwege für sie sind aus römischer Sicht nicht denkbar. Glaubenspräfekt Müller stellt „schwierige Situationen“ nicht in Abrede, wenn zum Beispiel ein Ehepartner vom anderen böswillig verlassen wird. Aber das Problem, gibt er zu bedenken, werde nicht dadurch gelöst, „daß menschliche Regeln Gottes Wort außer Kraft setzen“. Eine deutliche Mahnung an die Adresse von Marx, fest in der römischen Spur zu bleiben.

Der Vorgang zeigt, welch schweres Zusatzamt der Münchner Erzbischof übernommen hat. Er ist als Episkopats-Vorsitzender nicht ein „Chefkatholik“. Solch journalistische Zuschreibungen führen in die Irre. Und die Geschiedenen-Frage ist bei weitem nicht das einzige Problem, mit dem die deutschen Bistümer sich konfrontiert sehen. Glaubensdefizite, ein sich ausbreitender religiöser Analphabetismus, die Auflösung vertrauter Strukturen, der Zusammenschluß von Pfarreien zu Großgemeinden mit der Gefahr, in Anonymität abzudriften, wiegen weit schwerer. Die Kirche in Deutschland gleicht einem Schiff in stürmischer See.

Den Sozialwissenschaftler Marx begleitet das Vorurteil, zu sehr (Kirchen-)Politiker zu sein und zu wenig charismatischer Gottesmann. Seine Predigt am Tag der Wahl war offenbar eine Reaktion auf all die Zweifel. Evangelisierung sei das Wichtigste: „Denn in Deutschland sind vielleicht viele Menschen getauft, aber sind sie wirklich schon ‘evangelisiert’?“ Und in die Kirche hinein gefragt: „Sind wir wirklich schon ‘evangelisiert’?“

Eine missionarische Pastoral statt einer rein bewahrenden Seelsorge, damit ist die Aufgabe beschrieben. Der DBK-Vorsitzende ermahnte die Gläubigen, nicht dem „sogenannten Zeitgeist“ hinterherzulaufen. Er wiederholte damit die Warnung, mit der er sich 2008 seinen bayerischen Diözesanen vorgestellt hatte: „Wer sich mit dem Zeitgeist verheiratet, wird bald Witwer sein.“

In seinem neuen Amt muß Marx beweisen, daß er das ernst nimmt. Von mehreren Seiten her steht er unter Beobachtung. Der progressive Flügel drängt ihn zu „Reformen“, erwartet, daß er Konflikten mit Rom nicht aus dem Weg geht – über den von Zollitsch eingeleiteten Dialogprozeß hinaus. Dieser Flügel wird enttäuscht sein, wenn der Kardinal nicht in ihrem Sinne agieren kann. Alle Reformen, hat der Apostolische Nuntius, Erzbischof Nikola Eterovic, gemahnt, müßten vom „Licht des Glaubens“ beseelt sein. Die Kirche dürfe nicht zu einer reinen „wohltätigen Nichtregierungsorganisation“ gemacht werden.

Konservative und traditionalistische Katholiken hegen Vorbehalte gegen den neuen DBK-Vorsitzenden wegen dessen Haltung im Streit um die Bischöfe Walter Mixa (Augsburg) und Franz-Peter Tebartz-van Elst (Limburg); vor allem in der Causa Limburg habe Marx Solidarität mit dem in die Kritik geratenen Mitbruder vermissen lassen.

Kritik von Mosebach an der Bischofskonferenz

Aber auch die DBK als Institution wird skeptisch betrachtet. „Die Bischofskonferenzen“, ließ sich der Schriftsteller Martin Mosebach (62) in einem Interview mit dem Deutschlandfunk vernehmen, hätten das Amt des Bischofs „demontiert“, man habe die „Illusion einer Nationalkirche“ geschaffen, was nun gar nicht zum Bild einer Weltkirche passe. „Jeder Bischof ist in seiner Diözese im Grunde Papst und steht in unmittelbarer Verantwortung, in Äquidistanz zur gesamten Kirche. Wer bei der Bischofskonferenz siegt, ist die Bürokratie, die im Kirchenrecht im Grunde nicht vorgesehen ist.“ Das Amt des Sekretärs (in diesem Fall der in Münster wiedergewählte Pater Hans Langendörfer) sei eigentlich das wichtigste.

Eine sehr pointierte Meinung, mit der Mosebach allerdings nicht alleine steht. Der von dem Jesuiten Langendörfer geleiteten Bonner DBK-Zentrale werden unter anderem gravierende Fehler in der „Weltbild“-Affäre angelastet. Sie ist auch aus anderen Gründen ein Diskussionsthema: Es wird, angestoßen durch den Augsburger Oberhirten, Konrad Zdarsa, über einen Berlin-Umzug des Sekretariats geredet. Eine Baustelle mehr für den neuen Vorsitzenden.

Foto: Reinhard Kardinal Marx, neugewählter Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz: Ein Vertrauter von Papst Franziskus

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