© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/14 / 21. März 2014

Alle Macht dem Parlament
ESM-Urteil: Das Verfassungsgericht hat den Euro-Rettungsschirm bestätigt und dem Bundestag aufgetragen, den deutschen Einfluß zu sichern
Taras Maygutiak

Die Sorgenfalten im politischen Berlin dürften groß gewesen sein. Kippt das Bundesverfassungsgericht die zentrale Säule der Euro-Rettung? Verstößt der ESM-Vertrag gegen das Grundgesetz? Das Bundesverfassungsgericht gab darauf am Dienstag eine klare Antwort: Der ESM ist verfassungskonform. Entschieden wurde zudem über den Fiskalpakt, die Rechtmäßigkeit der nationalen Zustimmungs- und Begleitgesetze sowie über das TARGET2-System: „Die Verfassungsbeschwerden und das Organstreitverfahren sind teilweise unzulässig und im übrigen unbegründet“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung.

Geklagt hatten unter anderem der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler, die Euro-Kritiker Bruno Bandulet, Wilhelm Nölling, Joachim Starbatty, Karl Albrecht Schachtschneider sowie der mittlerweile verstorbene Wilhelm Hankel. Ebenfalls Verfassungsbeschwerde eingelegt hatten die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, Staatsrechtler Christoph Degenhart und der Verein „Mehr Demokratie“. Mehrere tausend Bürger unterstützten die Klage des Vereins. Klage hatte zudem die Linkspartei eingereicht.

Hatten sich bei den Terminen zur mündlichen Verhandlung und des Antrags zu einer einstweiligen Anordnung 2012 noch Journalisten aus aller Herren Länder beim Gericht gedrängelt, so war die Pressetribüne beim am Dienstag nicht einmal zur Hälfte besetzt. Erheblich spannender wäre der Termin sicherlich gewesen, hätte sich der 2. Senat mit dem „Ankauf von Staatsanleihen in unbegrenzter Höhe“, der im Herbst 2012 vom Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) beschlossen worden ist, befaßt. Diesen Verfahrensgegenstand hatte das Gericht jedoch abgetrennt und Mitte Januar mit einigen Fragen zur Vorabentscheidung dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Geklärt haben will Karlsruhe, ob das EZB-Programm zum Kauf von Staatsanleihen mit europäischen Recht vereinbar ist.

Wie das Gericht den ESM-Vertrag bewerten würde, hatte es bereits am 12. September 2012 bei der Verhandlung zu den Eilanträgen durchblicken lassen. Damals wurde der Antrag auf eine einstweilige Anordnung abgeschmettert. Die Antragsteller hatten verhindern wollen, daß der Bundespräsident den ESM-Vertrages und des Fiskalpaktes unterschreibt und hatten auf die Unterstützung Karlsruhes gehofft. Daraus wurde bekanntlich nichts.

Droht dem Bundeshaushalt eine permanente Belastung?

Dafür ordnete das höchste Gericht an, daß sämtliche Zahlungsverpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus dem ESM-Vertrag auf ihren Anteil am genehmigten Stammkapital des ESM in Höhe von circa 190 Milliarden Euro beschränkt bleiben müssen. Die im ESM-Vertrag ursprünglich festgeschriebene Schweigepflicht aller für den ESM tätigen Personen hebelte der 2. Senat ebenfalls aus. Bundestag und Bundesrat müßten umfassend informiert werden, stellte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle damals klar.

Zu klären hatte das Gericht in den zurückliegenden Monaten, ob die Haushaltsautonomie des Bundestages angesichts der schwindelerregenden Summen, für die Deutschland geradestehen muß, noch besteht. Trotz der eingegangenen Verpflichtungen bleibe die Haushaltautonomie des Deutschen Bundestages gewahrt, erklärte Voßkuhle nun: „Es ist jedoch sicherzustellen, daß etwaige Kapitalabrufe nach dem ESM-Vertrag im Rahmen der vereinbarten Obergrenzen fristgerecht und vollständig erfüllt werden können und somit eine Aussetzung des Stimmrechts der deutschen Vertreter in den ESM-Gremien zuverlässig ausgeschlossen bleibt.“

Der Bundestag sei ab sofort verpflichtet, in jedem Bundeshaushalt Vorsorge für Kapitalabrufe zu treffen, wenn sich diese aufgrund von Verlusten des ESM oder aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten einzelner Mitgliedsstaaten abzeichneten, heißt es im Urteil. „Damit wird für die Bürger deutlich, was die Rettungspolitik tatsächlich kostet“, zeigte sich Peter Gauweiler über die vom Gericht angeordnete Transparenz erfreut. Er hatte sicher bereits vor der Urteilsverkündung mit einer Abweisung der Klage gerechnet. Dennoch gewann er dem Urteil auch Positives ab.

So etwa, daß das Gericht entschieden hat, daß in Berlin darauf geachtet werden müsse, die deutsche Vetoposition nicht zu verlieren. „Bemerkenswert“ sei zudem, daß sich Deutschland trotz fehlender Kündigungsregelungen im ESM-Vertrag wieder aus dem Vertrag lösen könne. Der CSU-Vize kritisierte allerdings, „daß das Gericht der von den Klägern beanstandeten Immunitätsregelung aus verfahrensrechtlichen Gründen ausgewichen ist“. Ebenso nahm er die im ESM-Vertrag festgelegte lebenslange Immunität der Gouverneursrats- und Direktionsmitglieder aufs Korn. Diese nannte Gauweiler „einen Skandal“. Aufgrund dieser vordemokratischen Privilegien könnten die ESM-Lenker ohne jede Sanktion Milliardenbeträge veruntreuen und nicht einmal für Schadensersatz in Anspruch genommen werden, monierte Gauweiler.

Die Sorgenfalten in Berlin sind mittlerweile verschwunden. Aber das Urteil zum Kauf von Staatsanleihen durch die EZB ist noch nicht gefallen.

Kommentar Seite 2

Foto: Peter Gauweiler (CSU) und Gregor Gysi (Linkspartei): Trotz seltener Eintracht blieb ihre Klage erfolglos

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