© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Wenn alle einen im Stich lassen
Politikum: Der Rechtsanwalt Björn Clemens schildert in seinem Justizroman „Pascal Ormunait“ die multikulturelle Wirklichkeit unserer Städte
Thorsten Hinz

Pascal Ormunait, der Titelheld, ist ein 18jähriger Gymnasiast aus Köln. Er wird von einer türkischen Jugendgang zusammengeschlagen und schwer verletzt. Die Schläger filmen die Szene und stellen sie ins Netz, wo sie eine Flut hämischer Kommentare auslöst: „Geile Abreibung für den deutschen Hurensohn“ oder „Ihr habt den Scheißkopf der Kartoffel nicht voll getroffen“. Beim Anschauen hat Pascal das Gefühl, „öffentlich geschlachtet“ zu werden.

Der Roman war kaum erschienen, als er von der Wirklichkeit schon eingeholt wurde. Im niedersächsischen Kirchweyhe wurde ein 25jähriger Deutscher durch türkische Jugendliche totgetreten, was zu ganz ähnlichen Internetkommentaren führte. Der Schriftsteller Akif Pirincci faßte das Geschehen unter dem Titel zusammen: „Das Schlachten hat begonnen“.

Täter kommen mit geringen Strafen davon

Der Roman behandelt ein Wirklichkeitssegment, das in der Gegenwartsliteratur so gut wie nie vorkommt. Der Autor, der Kölner Rechtsanwalt Björn Clemens, nennt ihn einen Justizroman. Pascals Weg durch die Instanzen und Behörden bietet einen Querschnitt durch eine kranke Gesellschaft. Natürlich kommen die Täter mit geringen Strafen davon, was für das Gewaltopfer eine dritte Demütigung darstellt. Zugleich ist es ein Roman über einen Heranwachsenden in einer westdeutschen Großstadt, in der Deutsche in die Minderheitsposition geraten und männliche Jugendliche zur Opfergruppe werden: Staat und Gesellschaft geben sie preis und hindern sie zugleich daran, eigene Abwehrkräfte zu entwickeln. Am Ende sind sie unfähig, sich zu schützen und zu wehren.

Das Buch enthält dazu einige bemerkenswerte Szenen: Eine Gruppe südländischer Jugendlicher macht die Straßenbahnfahrt für Pascal zur Zitterpartie. Angesichts der Kräfteverhältnisse ist es aussichtslos, die natürliche Beschützerrolle für seine Freundin zu übernehmen. Dadurch verliert sie ihr Interesse an ihm und signalisiert, ihrem Sicherheitsinstinkt folgend, den Machos ihre Geneigtheit.

Oder: Der Großvater, ein Ostpreuße (daher der ungewöhnliche Familienname) und ganz Herr der alten Schule, empört sich über die Rüpeleien eines türkischen Autofahrers, wird von diesem niedergeschlagen und muß ins Krankenhaus, wo er einen Oberschenkelhalsbruch erleidet, an dem er stirbt. Das Ermittlungsverfahren gegen den Schläger – einen Intensivtäter – wird eingestellt, weil die Körperverletzung in seinem Register nur eine Lappalie darstellt. Was nicht heißt, daß er für die anderen Vergehen angemessen bestraft wird. Pascal versucht sich daraufhin als Selbsthelfer, als ein Michael Kohlhaas, was ihm das Stigma des „Ausländerfeindes“ einbringt. Ohne es zu wollen, gerät er allmählich in „rechte Kreise“.

Das ist deshalb folgerichtig, weil alle anderen ihn im Stich lassen: Die Behörden sowieso, wobei es Polizisten und Justizbeamte gibt, die verzweifelt sind, weil politische Vorgaben sie daran hindern, die Kriminalität wirksam zu bekämpfen. Die Eltern leben in einer anderen Welt. Die Mutter ist gutmütig, kann seine Probleme aber nicht nachvollziehen. Der Stiefvater, ein Manager namens Middelhoff, will sich nicht in der Überzeugung stören lassen, in der besten aller möglichen Welten zu leben und muß zudem auf seine gesellschaftliche Reputation achten. Im übrigen will er für den Stiefsohn nur das Beste: „Pascal, zerstör’ dir nicht dein Leben.“

Auch der Rektor seines Gymnasiums, der sich offiziell sehr streng gibt, meint es gut mit ihm. Doch sorgt er sich auch um den Ruf der Schule, um Fördergelder, um die Partnerschaft mit einer Schule in Israel. Und er fürchtet eine engagierte Kollegin, die am Gymnasium die Antifa-Arbeit organisiert.

Der Rechtsanwalt, der Pascal gekonnt ins Zwielicht des Ausländerfeindes setzt und für die Schläger eine läppische Strafe erwirkt, denkt vor allem an die Rate für seinen Porsche. Er hat Einblicke in die Korruption in den oberen Etagen der Gesellschaft, der Überfall auf Pascal ist nur ein bedauerliches Nebenprodukt. Einen Rechten allerdings würde er niemals verteidigen, denn das bedeutete die Aufkündigung des Konsenses und den Verlust des Porsches.

Vieles wirkt kolportagehaft, belehrend, vordergründig

Seinen zynischen Pragmatismus haben auch Pascals Mitschüler sich bereits zu eigen gemacht. Sie lästern über den Übermut des Großvaters, der sich mit den Halbstarken angelegt hat. Der Zynismus ist ihre Art, mit der Situation zurechtzukommen, ohne an ihr zu verzweifeln oder rebellieren zu müssen. Sie heulen mit den Wölfen und wenden sich desto wütender gegen den, der es ablehnt, die Unterwerfung mitzuvollziehen und den Stolz aufzugeben. Pascal ist kein Rebell, aber ein starkes, ursprüngliches Gerechtigkeits- und Ehrgefühl, sein Stolz eben, verbieten es ihm, die geistig-moralische Deformation, die von ihm erwartet wird, zu akzeptieren. Rechts zu sein heißt hier nichts anderes, als ein Mindestmaß an Anstand zu bewahren – vor allem gegen sich selber!

Das Buch ist soziologisch und als Politikum interessant, literarisch dagegen weniger. Dem Autor gelingen atmosphärisch dichte Schilderungen, die er mit Jugendsprache spickt, manches wirkt reportage-, allzu vieles aber kolportagehaft, belehrend, vordergründig. Wohl um Pascals Treue zum Großvater und zu Ostpreußen zu unterstreichen, wird behauptet, Königsberger Klops, Rote Beete und Kartoffelbrei seien sein Leibgericht. Das ist endgültig zuviel des Guten!

Kein großer Roman also und trotzdem lesenswert wegen der Thematik, die sowohl Literatur wie Sozialwissenschaft konsequent aussparen.

Björn Clemens: Pascal Ormunait. Ein deutscher Justizroman. Telesma-Verlag, Treuenbrietzen 2013, gebunden, 372 Seiten, 22,80 Euro

Foto: Video-Aufnahmen einer Überwachungskamera der Berliner Verkehrsbetriebe im U-Bahnhof Lichten-berg vom 11. Februar 2011: Ausländische Jugendliche treten und schlagen auf einen 30jährigen deutschen Maler ein und fügen ihm schwerste Kopfverletzungen zu

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen