© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/14 / 07. März 2014

Der Flaneur
Behalten, man weiß ja nie
Paul Leonhard

Nanu? Ryszard sitzt am Stammtisch. Das polnische Stehaufmännchen, der Wandler zwischen den Nationen, der Brückenbauer. Der einen deutschen Firmenwagen fährt, einen polnischen Führerschein besitzt und in einer Grenzstadt jenseits der Neiße zu Hause ist. Der mit einer Handvoll Freunde eigenhändig nachts NPD-Wahlplakate abgehängt hat, weil sie ihn und alle Polen beleidigen würden. Mit dem wir nächtelang und ergebnislos Diskussionen über Sinn und Unsinn des Begriffs „Wiedergewonnene Gebiete“ geführt haben. Der lautstark schimpfte, weil wir seine polnische Seele gekränkt hätten.

Da legt er die Karten auf den Tisch: den roten Reisepaß mit dem golden blinkenden Adler.

Jetzt sitzt er hier und winkt aufgeregt. „Cześć Ryszard“, sage ich. „Cześć“, antwortet er und winkt dem Kellner. Eine Runde für alle. Schnaps. Mißtrauisch beäuge ich den Bekannten, der sonst nur Tee trinkt. „Was ist los mit dir, Ry­szard, Probleme mit der Familie, mit dem Schwiegersohn?“ Er grinst mich an und sagt: „Richard heißt das!“ Wie, Richard? Lange habe ich geübt, ehe ich dieses polnische „Rüschard“ richtig aussprechen konnte. Darauf legte dieser stolze Nationalpole doch immer soviel Wert. Und nun auf einmal „Richard“.

Doch da legt er schon die Karten auf den Tisch beziehungsweise den roten Reisepaß mit dem golden blinkenden Adler. „Ich bin jetzt Deutscher“, grient Ryszard-Richard. Papa habe das organisiert. Papa? Der habe doch noch die Papiere von seinen Brüdern gefunden. Einer habe sogar in Stalingrad gekämpft. „Auf welcher Seite?“ frage ich verblüfft. Bisher hätte ich die Familie eher in der Heimatarmee angesiedelt. Der Pole blickt beleidigt: „Natürlich auf eurer.“ Und seine beiden anderen Onkel seien auch in der Wehrmacht gewesen, nur Papa war zu jung. „Wir sind Kaschuben, verstehst du?“

Ich gratuliere ihm. Willkommen bei den Deutschen. Wir kippen den Schnaps. Dann kann ich mir doch die Frage nicht verkneifen: Und die „wiedergewonnenen Gebiete“? Richard winkt ab, alles kommunistische Propaganda. Was er denn mit seinem polnischen Paß mache, frage ich noch. Richard, der Deutsche, zwinkert mir zu: „Behalten, man weiß ja nie.“ Ein Kaschube eben.

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