© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/14 / 07. März 2014

„Wenn die Sau am Haken hängt ...“
Guter Brauch aus alter Zeit: Die Hausschlachtung von Vieh ist auf dem Land noch immer verbreitet
Bernd Rademacher

Projektwoche in einer Lübecker Schule zum Thema Steinzeit. Um zu demonstrieren, daß für die Steinzeitmenschen das Fleisch nicht aus dem Tiefkühlregal kam, ließ ein Lehrer vor Fünftkläßlern ein Kaninchen schlachten. Die Eltern empörten sich über den „barbarischen“ Akt, und das Bildungsministerium verurteilte die Aktion als „pädagogisch problematisch“. Menschen, die auf dem Land leben, dürfte die Aufregung höchst befremdlich vorgekommen sein ...

Denn selbst in Zeiten von „Just-in-time“-Lieferketten und „Convenience-Food“ wird bei ländlichen Mikro-Erzeugern noch vor Ort geschlachtet. Kleinbauern also, die sich nebenbei noch ein, zwei Schweine halten, „Weil man dann und wann / Einen Braten essen kann“ (Wilhelm Busch). Der Gesetzgeber erlaubt die Schlachtung von Ein- und Paarhufern, deren Fleisch für den menschlichen Genuß bestimmt ist. Allerdings nur für den eigenen, denn die Weitergabe von Fleisch aus eigener Schlachtung ist allerstrengstens verboten.

Der Tierarzt sucht das Zwerchfell auf Trichinen ab

Ein Wirbeltier töten darf nur, wer die erforderlichen Kenntnisse nachweisen kann. In der Regel ist das ein örtlicher Metzger. Nur Jäger dürfen erlegtes Haarwild ohne tierärztliche Prüfung schlachten, weil die nötige Sachkunde durch den Erwerb des Jagdscheins vorausgesetzt wird. Nach dem Gesetz müssen privat geschlachtete Tiere von einem Veterinär untersucht und für den Verzehr freigegeben werden.

Wenn der Metzger auf den Hof gefahren kommt – das ist aus hygienischen Gründen (die Fliegen!) nur in der kalten Jahreszeit der Fall – hat für die arme Sau das letzte Stündlein geschlagen. Die leckeren Kartoffeln und Reste des Mittagessens, die es während des Sommers gab, haben die Menschen also doch nicht ohne Hintergedanken spendiert ... Metzger, Bauer und Nachbarn treiben das Schwein unter gutem Zureden aus dem Stall. Die Kinder sind natürlich auch dabei. Mit dem Bolzenschußgerät wird das Tier betäubt. Der Bolzen schnellt fingertief in den Schädel und zerstört Teile des Gehirns. Das Schwein fällt wie vom Blitz getroffen um.

Der Tod tritt aber erst durch das Ausbluten ein. Zum Abstechen setzt sich der Metzger auf die Schulter des Schweins und überstreckt mit dem Gummistiefel den Hals. Wenn er die richtige Stelle erwischt hat, schießt das Blut in einem kräftigen Strahl heraus. Das Blut wird aufgefangen und muß immerzu gerührt werden, damit es nicht gerinnt. Man braucht es ja noch für die Blutwurst.

Der Bauer überbrüht das Schwein mit heißem Wasser, damit Haut und Borsten mit der Schabglocke besser abgehen. Nach der ersten groben Behandlung folgt noch eine „Feinrasur“. Früher wurden die Schweine nun mit Muskelkraft an eine Leiter gehängt. Wie praktisch, daß es heute den Frontlader gibt. Und jetzt kommt der Schnaps ins Spiel: „Wenn die Sau am Haken hängt, wird erst mal einer eingeschenkt!“

Auftritt des Tierarztes: Er schneidet die Lymphknoten an, sucht die Innereien nach Auffälligkeiten wie Flecken ab und legt Teile des Zwerchfells unter sein mitgebrachtes Mikroskop. Hier sitzen nämlich die gefürchteten Trichinen. Verseuchtes Fleisch wird beschlagnahmt und vernichtet. Ist das Fleisch hingegen eßbar, bekommt das Schwein den amtlichen Stempel. Das wird gefeiert – noch eine Runde Schnaps! Selbst der willensstärkste Fleischbeschauer kommt darum nicht herum. So mancher Tierarzt hat nach einer Hausschlachtung seinen Führerschein verloren.

Dann wird säuberlich sortiert: Die Schwarte ab, die Leber erst mal beiseite, Schnitzel und Schulterbraten heraus, der Kopf kommt mit in die Koch- und Leberwurst. Der Geschmack einer Wurst vom Schlachttag ist unvergleichlich! Die Gewürzmischung für das Brät ist natürlich strenge Geheimsache.

Soviel Intransparenz, ja geradezu konspirativer Kontrollentzug von Verbrauchern ist der EU hochverdächtig. Durch Hygieneverordnungen wurde das Recht zur Hausschlachtung bereits stark eingeschränkt. Wie lange also noch Wurst aus eigener Schlachtung vom selben Tag genossen werden kann, ist ungewiß.

Foto: Da war die Schweineseele schon im Schweinehimmel: Aus eigener Haltung für den Eigenbedarf – wer es erlebt hat, kann den Schlachttag nur als Festtag beschreiben!

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