© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/14 / 07. März 2014

Schwindende Deutungsmacht
Nachrichtensender verlieren ihre Rolle als Hauptinformationsquelle / Erfolgreich nur in Ausnahmefällen
Ronald Berthold

Die Journalistin steht mit einem Mikrofon in der rechten Hand vor dem Kanzleramt, beantwortet drei Fragen aus dem Studio mit den immer neu formulierten Sätzen, daß es nichts Neues gebe. Dies wiederholt sich alle 20 Minuten. Zwischendurch befragt der Moderator einen Studiogast – immer Experte genannt –, dessen Aussagen auch nur wenig Neuigkeitswert enthalten. So läuft – zugespitzt dargestellt – das Programm von Nachrichtensendern wie n-tv, N24 und dem öffentlich-rechtlichen Phoenix. Wer will so etwas noch sehen?

Phoenix definiert das Wort Marktführer neu

Die Antwort ist simpel: Nur sehr wenige. Alle drei Sender krebsen bei den Zuschauerquoten um die Ein-Prozent-Marke. Mit 1,1 Prozent Marktanteil gibt sich Phoenix als Marktführer aus. Doch sind die Unterschiede im Promillebereich überhaupt tatsächlich meßbar? Alle drei übertragen ihre Live-Schaltungen, Interviews, Beiträge, Dokumentationen und Magazine wohl tatsächlich außerhalb der Wahrnehmungsgrenze und dem wirklich Meßbaren.

Durch den veränderten Medienkonsum haben die Nachrichtensender noch einmal an Bedeutung verloren. Lief früher in vielen Büros – vor allem in Banken – der Fernseher, so holen sich heute die Broker und Entscheider ihre Informationen aus dem Internet. Der Ton des TV-Gerätes war, wie jeder Bankkunde schon damals beobachten konnte, ohnehin immer abgeschaltet. Der laufende Apparat mit einem Informationskanal hatte offenbar reine Imagegründe: Schaut her, wir sind immer auf dem laufenden, sollte das den Anlegern signalisieren. Auch die Videotexttafeln mit den Börsenkursen wurden längst durch schnellere Online-Portale abgelöst. Das ewige Warten, bis die richtige Seite erschien, hat ein Ende. Im Netz kann der Banker gezielter und schneller suchen, was er für seine Kunden braucht.

Auch der private Nachrichten-Junkie setzt heute zunehmend auf die Informationsportale im Internet. Der Januar 2014 mit dem Ski-Unfall von Michael Schumacher verschaffte Bild.de fast 300 Millionen Visits. Spiegel Online kam auf 200 Millionen. Da aktuelle Videos auch dort gezeigt werden, haben die TV-Nachrichtenkanäle ihr Alleinstellungsmerkmal verloren. Kaum jemand kam auf die Idee, sich bei einem Nachrichtensender über den Gesundheitszustand des Formel-1-Rekordweltmeisters zu informieren.

Vorbei die Zeiten, in denen auch Deutsche gebannt dem CNN-Reporter Peter Arnett beim ersten Irak-Krieg in Bagdad lauschten, auch wenn sie nur die Hälfte verstanden. Aber der TV-Konsument hatte das Gefühl, rund um die Uhr bei einem historischen Ereignis live dabei zu sein. Das war 1991. Beflügelt von der Faszination, die der amerikanische Sender ausstrahlte, ging anderthalb Jahre später n-tv in Deutschland auf Sendung.

Große Zeiten erlebten die Kölner bei der Blase des Neuen Marktes, als gefühlt jede zweite Hausfrau an der Börse spekulierte und dringend neue Informationen über ihre Investments brauchte. Auch der zweite Irakkrieg verschaffte der Berichterstattung von n-tv 2003 noch einmal große Aufmerksamkeit. Allerdings mußte sich der Sender den Kuchen zu dieser Zeit schon mit dem drei Jahre zuvor gegründeten N24 teilen. Im Jahresdurchschnitt konnte aber auch damals keiner die Ein-Prozent-Marke überschreiten. n-tv gehört heute zur RTL-Group. Axel Springer kaufte N24 jüngst von ProSiebenSat.1.

Nachrichtensender leben von publizistischen Eintagsfliegen

Um signifikant Publikum zu erreichen, sind die Sender auf One-Hit-Wunder angewiesen. n-tv schaffte dies zuletzt am 15. Oktober 2012. Mit der Übertragung des Sprungs von Felix Baumgartner aus der Stratosphäre übertraf der Nachrichtensender seine normale Quote um das 20fache. 7,1 Millionen Menschen verfolgten die Übertragung – so viele wie nie zuvor und nie danach. Jedoch betraf dieses Allzeithoch nur eine Viertelstunde. Immerhin schlug n-tv damit selbst die Tagesschau, die gleichzeitig nur 5,6 Millionen Zuschauer bei einem Marktanteil von 16 Prozent anlockte. Auch dem Online-Video-Kanal Youtube brachte die spektakuläre Aktion des Salzburgers aus 39 Kilometern Höhe einen neuen Rekord. Dort sahen acht Millionen Menschen zu – allerdings weltweit.

Wie kaum ein anderes Medium leben die Nachrichtensender von Katastrophen und spektakulären Ereignissen. Obwohl Journalisten vieles heute zur Sensation oder zum Skandal hochgeigen, reicht das nicht aus. Denn einen entscheidenden Nachteil kann das Fernsehen, einst neben dem Radio die schnellste Informationsmöglichkeit, nicht ausgleichen. Auf Beiträge muß der Zuschauer – wenn sie denn nicht live gesendet werden – warten. Im Internet dagegen kann er sie jederzeit dann abrufen, wann er möchte. Auch tief in der Nacht, wenn bei n-tv und N24 längst Dokumentationen über ferne Galaxien oder Sendungen über mögliche Verschwörungen zum Mord an John F. Kennedy laufen.

Und selbst die Live-Schaltungen zu Reportern vor Fassaden von Regierungsgebäuden ringen den Zuschauern eben oft nur noch ein Gähnen ab – weil sie kaum Neuigkeiten enthalten.

Foto: Liveschaltung von Phoenix: Im Zeitalter von Twitter und Facebook lohnt sich der große technische Aufwand für solche Sendungen immer weniger

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen