© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/14 / 07. März 2014

Akte des Widerstands
Große Handwerkskunst: Ein prächtiger Band mit Vedutenmalerei zu Mecklenburg und Vorpommern
Thorsten Hinz

Die Vedutenmalerei ist eine alte, im 19. Jahrhundert aus der Mode gekommene Maltechnik. Die Vedute, italienisch veduta, rührt vom lateinischen Verb videre, sehen, her. Die Maler erstrebten eine detailgetreue Wiedergabe von Stadtansichten und Landschaften. Die wohlhabenden Reisenden des 18. Jahrhunderts brachten sie als Trophäen ihrer Bildungstouren mit nach Hause. Zu den bekanntesten Vertretern des Genres zählen der ältere und der jüngere Canaletto – Onkel und Neffe – mit ihren Ansichten von Venedig und Dresden. Mit der Überformung der mittelalterlichen Städte durch das Industriezeitalter und dem Siegeszug der Postkarte verlor die Vedutenmalerei ihr Thema und das Publikum.

Dieser Band mit Ansichten von Städten, Bauten und Landschaften aus Mecklenburg und Vorpommern bekennt sich also zum gewerbsmäßigen und ästhetischen Anachronismus. Er umfaßt 32 Veduten, unter anderem von den Schlössern Schwerin, Ludwigslust, Güstrow, Ulrichshusen, Basedow, Blücherhof, Rattey und Neustrelitz. Es gibt Stadtansichten von Stralsund und Waren an der Müritz, außerdem Darstellungen von Steintor und Ständehaus in Rostock, des 1368 geweihten Doberaner Münsters und des um 1380 zur Blütezeit der Hanse erbauten, 1977 restaurierten Bürgerhauses „Alter Schwede“ in Wismar. Landschaftsmotive zeigen Boddensegler, eine Allee auf Rügen, das 1966 ausgegrabene und restaurierte Hünengrab Naschendorf, die Usedomer Salzhütten, die Wiecker Klappbrücke und die Nehringer Brücke.

Der Zeichner Kjeld Heinze, Jahrgang 1972, arbeitet bis zu 70 Stunden an einer einzigen Vedute, bei Backsteingebäuden zum Teil sogar noch länger. Im Original sind die Schwarzweiß-Zeichnungen etwa 20 mal 30 Zentimeter groß. Seine Bilder lösen einen eigentümlichen Verfremdungseffekt aus. Die historische Malweise läßt die Gegenwart im Modus der Vergangenheit erscheinen. Sie vollzieht sich erst und ist doch bereits abgeschlossen. Das gemahnt den Betrachter an die Vergänglichkeit im allgemeinen bis hin zur eigenen Sterblichkeit und löst in ihm ein Gefühl der Trauer aus. Doch wecken die Veduten auch einen gegenläufigen Impuls. Nehmen wir die Darstellung des Neustrelitzer Residenzschlosses, das kurz vor Kriegsende 1945 abbrannte. Es wirkt nicht weniger real als die anderen Bauten, die Heinze mit feinen Strichen gemalt hat; auf dem Papier überdauert es als geistiger Körper seine physische Zerstörung.

Wort- und Bildermüll wälzt sich über Lebenszeit

Dieser Band aus dem im tiefsten Mecklenburg ansässigen Moränenland-Verlag ist ein bibliophiles Ereignis, gefertigt aus feinem Papier und mit Fadenbindung: solides, selten gewordenes Handwerk! Der Verleger Heino Bosselmann, in Rostock geboren, Autor dieser Zeitung, hat auch die Einleitung und die Texte zu den Bildern verfaßt. Er betreibt seit vorigem Jahr ein selbstausbeuterisches Ein-Mann-Unternehmen (JF 19/13). Ohne trotzigen Idealismus und ein hohes Maß an innerer Unabhängigkeit wäre das undenkbar. Man kann in seiner und der Arbeit des Malers Kjeld Heinze die Aktualisierung einer in der DDR geprägten Haltung erkennen: Damals konnte der einzelne den Zerfall der Städte, die Umweltverschmutzung, die sozialistische Alltagsästhetik nicht ändern. Um sie nicht nur erleiden zu müssen, setzte er ihnen den sorgfältig gearbeiteten Solitär entgegen: den in Handarbeit gewebten Stoff, das schön gebundene Buch, das selbstgebaute oder restaurierte Möbel.

Heute sind es der Konsum-Plunder, der Wort- und Bildermüll, die sich unerbittlich über die Lebenszeit wälzen. Vor diesem Hintergrund sind die auratisch aufgeladenen Veduten durchaus als Akte des Widerstands gegen die Kontingenz der allgegenwärtigen Fotos und Videoclips zu verstehen.

Nebenbei: Auf Seite 60, im Text über den ehemaligen Besitzer des Schlosses Blücherhof, den Naturforscher Alexander Koenig, der in Bonn das nach ihm benannte Naturkundemuseum gründete, hat sich ein Fehler eingeschlichen. Der Amtssitz des Bundespräsidenten am Rhein heißt Villa Hammerschmidt, nicht Hammerstein.

Weitere Informationen zu dem Vedutenzeichner Kjeld Heinze und seinen Arbeiten finden sich im Internet unter: http://veduten.wordpress.com

Kontakt per E-Post: veduten@yahoo.de

Kjeld Heinze: Feine Striche. Vedutenmalerei zu Mecklenburg und Vorpommern. Mit einer Einleitung und Begleittexten von Heino Bosselmann. Moränenland Verlag, Bredenfeld 2013, kartoniert, 77 Seiten 29,80 Euro

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