© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/14 / 07. März 2014

Gesinnung und Motive
Strafrecht: Als Ergebnis des NSU-Untersuchungsausschusses soll künftig in Deutschland sogenannte Haßkriminalität erfaßt werden
Gerhard Vierfuss

Deutschland steht eine einschneidende Neuerung im Strafrecht bevor. Hintergrund ist der in der vergangenen Woche vorgelegte Bericht der Bundesregierung über den Umsetzungsstand der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses. In diesem wird neben zahlreichen anderen Maßnahmen auch ein Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums angekündigt. Dieser wird einerseits eine Erweiterung der Zuständigkeit des Generalbundesanwalts zum Gegenstand haben; andererseits soll er einen Regelungsvorschlag zur strafrechtlichen Berücksichtigung „rassistischer, fremdenfeindlicher und sonstiger menschenverachtender Tatmotive“ beinhalten. Damit wird erstmals in Deutschland das Phänomen der sogenannten Haßkriminalität strafrechtlich erfaßt. Darunter werden allgemein solche Straftaten verstanden, bei denen der Täter sein Opfer bewußt aufgrund von dessen Gruppenzugehörigkeit ausgewählt hat – also etwa der Ethnizität, der Religion oder des Geschlechts.

Begriff aus der Bürgerrechtsbewegung

Der Begriff der Haßkriminalität stammt aus der Bürgerrechtsbewegung der Vereinigten Staaten, wo seit den achtziger Jahren in den meisten Bundesstaaten strafrechtliche Regelungen existieren. Auch in Kanada und in Großbritannien wird der Deliktstypus besonders erfaßt. Die genaue Abgrenzung und die Art der Regelung unterscheiden sich dabei im einzelnen. In allen drei Ländern werden neben den genannten Eigenschaften und Zugehörigkeiten auch die – tatsächliche oder vom Täter angenommene – Rasse, sexuelle Orientierung und Behinderung des Opfers genannt. Die strafrechtliche Sanktionierung erfolgt zum einen in eigenen Tatbeständen, zum anderen in teilweise drastischen Verschärfungen der allgemeinen Strafandrohungen.

Das Bundesjustizministerium will den Weg über die Strafschärfung nehmen. Dazu soll der Paragraph 46 des Strafgesetzbuches ergänzt werden, der die Regeln der Strafzumessung formuliert. In der geltenden Fassung heißt es dort allgemein, das Gericht wäge „die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht: die Beweggründe und die Ziele des Täters, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille (...)“. Konkrete, positiv oder negativ ins Gewicht fallende Motive oder Gesinnungen werden nicht genannt. Damit läßt das Gesetz der Rechtsprechung einen großen Freiraum, die im jeweiligen Einzelfall vorliegenden Besonderheiten der Tat und des Täters zu berücksichtigen. Die geplante Ergänzung stellt in dieser Regelung einen Fremdkörper dar: Sie hebt eine bestimmte Motivgruppe hervor und verpflichtet das Gericht, diese strafschärfend zu werten.

Eine nähere Beurteilung des Vorhabens hängt entscheidend von der genauen Formulierung des Gesetzentwurfs ab. Bleibt es bei der Wortwahl aus dem Bericht der Bundesregierung, so werden die Strafgerichte vor die Aufgabe gestellt, den sehr unscharfen Begriff der menschenverachtenden Tatmotive zu interpretieren und konkret zu bestimmen; als Leitlinie hätten sie sich an den Begriffen des „Rassismus“ und der „Fremdenfeindlichkeit“ zu orientieren. Das Ergebnis dieser Auslegung wäre nicht abzusehen: Der Begriff der menschenverachtenden Tatmotive besagt nichts darüber, ob die Tat von einem Einheimischen gegen einen Fremden begangen wird oder umgekehrt; Opfer einer fremdenfeindlichen Tat jedoch kann nur ein Fremder sein. Der Begriff des Rassismus wiederum ist zwar genau genommen neutral, wird aber in der politischen Auseinandersetzung ebenfalls einseitig verwendet.

Ein Auseinanderdriften der Rechtsprechung wäre die wahrscheinliche Folge der jetzigen Formulierung. Experten raten daher Justizminister Heiko Maas (SPD), den Gesetzentwurf anders zu fassen. Dabei wird er sich entscheiden müssen, ob die dadurch geplante Strafschärfung nur für Taten von „Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft“ an „diskriminierten Minderheiten“ gelten soll – mit der Begründung, es gehe darum, der Gefahr durch den Rechtsextremismus Einhalt zu gebieten –, oder ob die Erstgenannten ebenfalls zu dem geschützten Personenkreis gehören sollen. Hierfür ließe sich eine zumindest nicht weniger plausible Begründung anführen: Die Sicherung des Zusammenlebens in einer zunehmend heterogener werdenden Gesellschaft.

„Aufgeladene Gesinnungsmerkmale“

Die Ankündigung dieses Gesetzesvorhabens erfolgt kurz nach einer anderen, anscheinend entgegengesetzten: der einer Novellierung des Mordparagraphen. Unter den dafür angeführten Gründen spielten auch die „aufgeladenen Gesinnungsmerkmale“ eine Rolle, die – jedenfalls nach Auffassung des Deutschen Anwaltvereins, der die Diskussion auslöste – im gesetzlichen Tatbestand fehl am Platz seien. Also Streichung dort und Einfügung hier? Der Widerspruch ist nur ein scheinbarer. Es geht nicht um die Frage, ob Gesinnung und Motive des Täters in einem Strafprozeß eine Rolle spielen dürfen oder nicht. Umstritten ist, ob sie in den gesetzlichen Tatbestand gehören. Auf der Ebene der Strafzumessung haben sie ihren Platz. Was den Gesetzgeber jedoch nicht von der Pflicht entbindet, bei deren Regelung die Grenzlinie zwischen dem auf individuelle Schuld bezogenen Strafrecht und gesellschaftspolitischer Globalsteuerung zu beachten.

Foto: Justitia: Experten befürchten, daß die Rechtsprechung auseinanderdriftet

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