© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/14 / 28. Februar 2014

Habebald und Eilebeute
Bildergeschichten und kein Ende: Der Fall Gurlitt, Roland Lauder und die Frage nach Kunstrückgaben
Sebastian Hennig

Es war nur eine Frage der Zeit, daß sich das gefährliche Geschütz, welches die bayerische Justiz geladen hat, gegen diese selbst kehren wird. Auf der Internetseite der Anwälte von Cornelius Gurlitt ist zu lesen: „Die Verteidiger des Herrn Gurlitt, Prof. Dr. Tido Park und Derek Setz, legen gegen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluß des Amtsgerichts Augsburg vom 23. September 2011 und gegen die auf seiner Grundlage erfolgte Beschlagnahme (der Schwabinger Sammlung) Beschwerde ein.“

Der „Fall Gurlitt“ geht jetzt erst richtig los. Die Pressemitteilung vom 19. Februar läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Die Beschlagnahmeanordnung war mit dem Verdacht der Einfuhrumsatzsteuerhinterziehung begründet worden, der aus Sicht der Verteidigung nicht gerechtfertigt ist.“ Gurlitts Anwälte verweisen auf eine „mangelnde Verdachtsgrundlage“. Zudem sei „eine Beweisrelevanz der beschlagnahmten Bilder für den Vorwurf der Einfuhrumsatzsteuerhinterziehung nicht ersichtlich“, die Beschlagnahme der gesamten Sammlung verstoße gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip. „Dies wiegt nach Ansicht der Verteidigung besonders schwer.“

In der DDR war die konstruierte Steuerschuld das gängige Mittel, um sich der Kunstgegenstände aus dem Besitz von Stiftungen und Privatpersonen zu bemächtigen. Der „Volkseigene Betrieb (Kombinat)“ VEB (K) Antikhandel mit seinen Lagern und Ankaufstellen fischte das Land leer, um alles, was nicht niet- und nagelfest war, westwärts zu verkaufen.

Solche Verwertungen in repressiven Regimes haben eine lange Geschichte. Immer wurde geraubt. „Eilebeute“ und „Habebald“, die Goethe im zweiten Teil der Faust-Tragödie auftreten läßt, waren an jedem Krieg beteiligt. Doch systematisch und auf kaltem Handelsweg wurde die Enteignung erst seit der Aufklärung betrieben.

Eine zentrale Person dabei war der 1753 geborene Moyses Dobruska, alias Franz Thomas Edler von Schönfeld, alias Junius Frey. Der Neffe und Nachfolger des Messianisten Jakob Frank ist eine der unheimlichsten Gestalten des Jahrhunderts. 1775 konvertiert er zum Katholizismus und wird als Edler von Schönfeld nicht nur Heereslieferant Josephs II. Er hat sich an Klosteraufhebungen der josephinischen Reformen bereichert. Dabei fungierte seine Mutter als Inhaberin der „Dobruska-Compagnie“, welche das Monopol auf die Verwertung der Kirchenschätze innehatte. Der Journalist Lorenz Jäger schreibt darüber süffisant von „angewandter Aufklärung“.

1792 geht Dobruska nach Paris und handelt dort als Lucius Junius Brutus Frey abermals mit konfisziertem Eigentum. Im April 1794 wird Dantons Tod unter der Guillotine auch zu dem seinen. Das Zwielicht seiner Machenschaften wird vom Revolutionstribunal zur Kompromittierung Dantons ausgenutzt.

Es soll hier nicht um Kausalität gehen, wohl aber um den Zusammenhang. Im Blutstrom der Geschichte, der seither alles umtost, versinkt mal dieser, taucht mal jener auf. Daß der eigenen Gruppe, dem eigenen Volk, die ganze Sympathie gehört und den innigen Wunsch nach einem anderen Verlauf weckt, das ist natürlich. Die Nachfahren der Verfolgten des NS-Regimes teilen diese Hoffnung mit den Ausgebombten und Überlebenden der Vertreibungen. Und doch können unendliche Restitutionen als ein angewandter Geschichtsrevisionismus zu einer Quelle neuen Unrechts werden.

Als die Bilder Gurlitts öffentlich gemacht wurden, hat sich der schwerreiche US-Unternehmer und Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC) Roland Lauder mit der Forderung nach einem Gesetz zur Restitution hervorgetan, das womöglich im Umfang über das österreichische Vorbild von 1998 noch hinausgehen soll. Dort gilt es ausschließlich für den Bestand der Bundesmuseen und -sammlungen. Sepp Dürr, der rechtspolitische Sprecher der Landtags-Grünen, stößt in Lauders Horn: „Wichtig ist dabei, daß ein solches Gesetz auch für Private und den Kunsthandel gelten muß.“

Wer heute ein Kunstwerk von unvergleichlichen Rang kaufen will, der kann es – von sehr seltenen Ausnahmen abgesehen – mit allem Geld der Welt nicht tun. Denn diese Werke sind verkeilt, verewigt als fast immobile Heiligtümer in den zumeist öffentlichen Museen. So müssen in Friedenszeiten kriegsähnliche Erschütterungen den Besitz mobilisieren.

1997 hatte Lauder die „Commission for Art Recovery“ gegründet. Die Abteilung „Cases“ auf der Internetseite gleicht einem nach Ländereien geordneten Wunschzettel der Begehrlichkeiten. 1998 folgte dann das Restitutionsgesetz in Österreich. Was kaum jemand zur Kenntnis nimmt, ist die Tatsache, das Lauder mit seiner „Neuen Galerie“ ein direkter Sammlungskonkurrent ist.

Zu den Höhepunkten des Privatmuseums gehört die vormals im Brücke-Museum in Berlin befindliche „Straßenszene“ von Ernst Ludwig Kirchner und seit 2006 auch „Adele Bloch-Bauer I“ von Gustav Klimt. Als nach Eintreffen des Gemäldes ein Exklusiv-Eintrittspreis von 50 Dollar zur Besichtigung des neuen Hauptwerks von Klimt in der Neuen Galerie New York erhoben werden sollte, wurde das selbst dort als ein Skandal empfunden und mußte abgeblasen werden.

In der Österreichischen Galerie im Oberen Belvedere war diese Ikone des Jugendstils bis dahin das zentrale Werk. Im Zuge einer nach Kriegsende getroffenen Entschädigungsvereinbarung zwischen dem Witwer der Porträtierten und dem österreichischen Staat wurde der Verbleib in Österreich bestimmt. Das Ehepaar Bloch hatte keine Kinder. Als Adele Bloch-Bauer am 24. Januar 1925 starb, hinterließ sie die testamentarische Bestimmung, ihr Mann solle die Klimt-Bilder der Österreichischen Staatsgalerie vermachen. Das 1941 angekaufte Klimt-Gemälde verblieb als Prunkstück in der Österreichischen Galerie – bis 1998 das Kunstrückgabegesetz zur Brechstange und der europäische Kunstbesitz ein weiteres Mal zum Steinbruch wurde.

Der Autor und Filmregisseur Hans-Jürgen Syberberg hat in seinem Netztagebuch aus dem pommerschen Nossendorf bereits am 21. November vorigen Jahres darauf verwiesen „wie der Fall Gurlitt zum Fall R. Lauder wurde, die mit G. befaßten Stellen in Deutschland sollten das immer wissen, wenn sie etwas entscheiden“.

www.gurlitt.info

www.syberberg.de/

Foto: Bernhard Kretschmar, „Straßenbahn“, undatiertes Aquarell: Das Bild stammt aus der Schwabinger Sammlung Gurlitts

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen