© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

Beim Barte des ...
Der Männlichkeit ins Gesicht geblickt: Von urwüchsig bis fein ziseliert ist alles drin
Bernd Rademacher

Wenn einem Mann in der Lebensmitte das Haupthaar ausfällt, führt das oft zu einer Krise. Doch es bleibt dem Mann ein Trost: Er kann sich einen respektablen Bart zulegen. Der Bart scheidet den Mann von den Jungen. Kein Wunder, daß Halbwüchsige jedes Barthaar hegen und pflegen, das sich zögernd auf ihrem Kinn zeigt. Wie heißt es schließlich in dem alten Piratenlied: „Alle, die mit uns auf Kaperfahrt fahren, müssen Männer mit Bärten sein ...“

Die Barttracht unterliegt ebenso dem Zeitgeist wie die Frisurenmode. Es gibt Retro-Trends und Comebacks. Die Rückkehr der Siebziger-Jahre-Koteletten haben wir zum Glück überstanden. In jüngster Zeit meldeten Modezeitschriften die Wiederkehr des Schnäuzers. Zwar überraschten einige Hollywood-Stars und Bundesligaprofis öffentlich mit Oberlippenbart, doch auf den Straßen und Kiezen landauf, landab hat sich die Gesichtsbürste bislang noch nicht so wirklich durchgesetzt. Das Negativ­image als „Popelbremse“ ist vielleicht doch zu robust. Aber seien wir ehrlich: Was könnte markanter und männlicher sein als dieser dicke Strich, der das Gesicht vertikal teilt. Man denke an Tom Selleck in der Kultserie „Magnum“. Ein Bart, ein Kerl!

Türken lassen sich beim Barbier einseifen

Andere Klassiker werden wohl noch länger auf ein Comeback warten müssen. Längst vergessen sind der extravagante Kaiser-Wilhelm-Bart oder der schon skulpturenhafte Gabelbart des Großadmirals Alfred von Tirpitz. Auch der Walroß-Schnauzer Bismarcks ist nur noch bei Urviechern anzutreffen.

Erstaunlich langlebig zeigt sich dagegen der Neunziger-Jahre-Kinnbart. Besonders auf großen Rockmusik-Festivals ist er noch sehr häufig zu sehen. Neuerdings geht der Trend allerdings dahin, den Kinnteppich zu einem unschönen Ziegenbart wuchern zu lassen.

Der populärste Bart der Musikwelt gehört unzweifelhaft Lemmy von Motörhead. Durch vier Jahrzehnte konsequentes Tragen hat er seinen anachronistischen Vollbart mit dem ausrasierten Kinn zu einer unverwechselbaren Marke gemacht. Ohne seinen Bart, der ihn immer etwas gutmütig-väterlich erscheinen läßt, hätte Lemmy wohl kaum so viele weibliche Fans. Daß Bärte sympathisch wirken, wußte auch die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. In den siebziger Jahren empfahl der Innenminister seinen Polizisten, sich einen Bart stehen zu lassen, um auf die Bürger vertrauenswürdiger zu wirken. Der typische „Polizistenbart“ – Oberlippenbart plus Kinnbärtchen – mag eine Spätfolge dieses Erlasses sein.

Der Rasierklingen-Konzern Gillette führte mit seiner omnipräsenten Reklame („Für das Bä-heste im Ma-ha-hann!“) einen erfolgreichen Werbefeldzug gegen Bartpracht. Doch die orientalische Einwanderung sorgt dafür, daß den Friseuren die Bartkunden nicht ausgehen. Gerade jüngere Türken und Araber bevorzugen oft bizarre Kreationen wie lidstrichdünne Koteletten bis zum Kinn und ähnliche Spielereien.

Barttragen ist nicht nur eine Mode, sondern auch Ausdruck des persönlichen Standpunktes. Für die Achtundsechziger war das wilde Gestrüpp ihrer Revoluzzerbärte ein Ausweis roter Gesinnung – der Bart ein politisches Symbol. Da überrascht es kaum, daß diese Barttracht heute bei den Salafisten ihre Fortsetzung findet.

Auf der Berliner „Fashion Week“ war der gepflegte Vollbart kürzlich der aktuelle Trend schlechthin! Also Männer, laßt es sprießen! Den Frauen gefällt’s.

Fotos: Vollbart mit ausrasiertem Kinn: Motörhead-Sänger Lemmy Kilmisters Markenzeichen; Ornamentik an der Backe: Praktisch ist was anderes; Kinnbart: Die Geschmäcker sind verschieden; Freistil-Pracht: Bartwichse macht’s möglich. Aber vor dem Schlafenlegen am besten auswaschen.; Oberlippenbart: Jean Pütz’ Gesichtsbürste aus der Hobbythek; Der Klassiker: Macht Charakter und liegt voll im Trend; Original bayrischer Großvaterbart: Hält auch auf Bergeshöhen warm. Etwas schwierig beim Biertrinken

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