© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

Litanei in vermüllter Ikea-Wohnküche
Anhaltinischer „Ring“: Inszenierungen von Richard Wagners Tetralogie in Dessau und Halle
Sebastian Hennig

Seit die Kriegsruinen des Residenzschlosses in Dessau der Verkehrsführung weichen mußten, ist der am meisten repräsentative Bau der Stadt das Anhaltische Theater. 1938 wurde es als damals größte Bühne nördlich der Alpen eröffnet. Aus dem schlichten kubischen Gefüge ragt ein gewaltiges Bühnenhaus empor. Es ist das gegebene Festspielhaus für Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“.

Vielleicht wurde es dem inszenierenden Intendanten André Bücker und seinem Generalmusikdirektor Anthony Hermus durch den Daimon loci einer untergegangenen und wiedererstandenen Stadt eingegeben, diesmal mit der „Götterdämmerung“ zu beginnen und mit „Rheingold“ zu enden. Nachdem 2012 die Götter dämmerten, ging 2013 Siegfrieds Stern auf.

Geschwätzige Weltverbesserung

Siegfried zur Seite steht mit Mime (Albrecht Kludszuweit) ein alleinerziehender linker Papa mit blonder Wuschelmähne, ein Ökospießer, der sich keine Schmiedeanleitung für Nothungs Trümmer ergoogeln kann. Der Motor seiner unruhigen Engagiertheit ist Angst vor der Natur, vor seiner Natur, der des Weibes, des Waldes, vor der ganzen Welt, die doch bitte, bitte anders sein soll.

Wagners Menschheitsmythen auf das Format moderner Lumperei herunterzubrechen, schadet dem übermütigen Scherzo des „Siegfried“ am wenigsten. Wenn es so flapsig ausgedrückt wird, wie es diese Inszenierung bildlich nahelegt, ist folgendes auf der Bühne zu erblicken: ein Mime, der wie der verlassene Partner einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft wirkt. Den Genozid, den Hundings Mannen an den Wälsungen verübten, überlebte nur die schwangere Sieglinde. Mimes Geburtshilfe war tödlich für die Mutter des jungen Siegfried. Jetzt hat er das Sorgerecht für die Kriegswaise Siegfried (Peter Svensson).

Mit seiner Litanei in der vermüllten Ikea-Wohnküche verlegt der heuchlerische Zwerg nun dem seiner selbst unbewußten Heldensohn den Blick auf die sinnlos-schöne, herrlich-böse Welt. Seine postmoderne, posthumane Geschwätzigkeit ist durch unzertrennliche Geiferfäden mit der heutigen Weltverbesserung verbunden, die sich Rechte erschwatzen will, die sich ihrer Feigheit versagen.

Wenn er im zweiten Akt den Sud zusammenbraut, um die Jugendkraft Siegfrieds zu meucheln, erweist sich Wagner wieder einmal als feinfühliger Prophet. Es gab doch seinerzeit kein Ritalin, diese heutige medizinisch sanktionierte Vergiftung einer ganzen Generation, von deren nonkonformistischer Schlagkraft befürchtet wird, daß sie alle bänglichen Gewißheiten ihrer Vormünder zu Kleinholz machen wird.

Die Hinrichtung des Mimes ist in jeder Inszenierung eine besondere Genugtuung. Das Genörgel schweigt endlich, und es gibt Platz für echte Konflikte, zwischen Wotan und Siegfried, zwischen Siegfried und Brünnhilde. Während die Auseinandersetzung mit dem einäugigen Wanderer (Ulf Paulsen) einen etwas einschläferte, reicht ein Wort der Brünnhilde (Iordanka Derilova), um kerzengrade wieder im Sitz zu wachen. Der arme Siegfried hat sich gegen die stimmlich biegsame Wunschmaid am Schluß wirklich einen Wolf gesungen. Die letzten Rufe kratzen hart am Bestand der Sangeskraft.

Daß die sängerische Gesamtleistung einigermaßen homogen war – damit stellt Dessau den anderen Sachsen-anhaltinischen „Ring“ in den Schatten. Dieser findet an der Oper Halle in Zusammenarbeit mit Ludwigshafen statt. Eigentlich ist es eine Übernahme der sehr provinziell ausschauenden Inszenierung von Hansgünther Heyme. Schon der Patchwork-Vorhang erinnert an die Friedensdekade der Evangelischen Landeskirche oder die vulgär-marxistische Ikonographie von DGB-Kulturprogrammen.

Dagegen überrascht immer wieder, was den lokalen Opernhäusern, deren Orchestern und den Ensemblemitgliedern innerhalb der gewaltigen Anmaßung an Einzelleistungen doch alles glückt. Die Streicher mußten in Halle auf eigenen Tribünen in einer Art Zwischendeck über dem Graben schweben. Nur bei den freischaffenden Solisten der Hauptpartien können die mittleren Häuser mit den Tankern des Opernbetriebs nicht mithalten. So sang die Premieren-Brünnhilde (Lisa Livingstone) in der Hallenser „Götterdämmerung“ lediglich ab und zu, während sie ganze Zeilen nur tonlos andeutete. Ihr Partner Siegfried (Andreas Schager) schrie dagegen immer frisch heraus und kompensierte auf diese Weise mangelnde Modulationsfähigkeit mit Lautstärke.

Gesanglich wie darstellerisch die Glanzlichter der Inszenierung waren ein außerordentlich viriler Hagen (Christoph Stegemann) und Rheintöchter von elementarem Liebreiz (Ines Lex, Melanie Hirsch und Sandra Maxheimer).

Im Opernhaus Halle, Universitätsring 24, steht an diesem Freitag „Siegfried“ auf dem Spielplan und am 23. Februar die „Götterdämmerung“. Restkarten sind noch erhältlich. Telefon: 0345 / 51 10-777

http://buehnen-halle.de/

In Dessau wird die „Ring“-Tetralogie dieses Jahr mit der „Walküre“-Premiere am 27. September fortgesetzt.

www.anhaltisches-theater.de

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