© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

Panorama verstörender Schönheit
„Entartete Kunst“: Die Dresdner Galerie von Holger John zeigt eine augenerfrischende Ausstellung
Sebastian Hennig

Am Abend des 13. Februar eröffnete in Dresden wenige Schritte vom Goldenen Reiter entfernt die Ausstellung „Entartete Kunst“. Während die antideutschen Krawall-Jugendtouristen auf der anderen Elbseite zornige Fröhlichkeit vortäuschten, das unbeugsame Kulturbürgertum den Gedenkkonzerten zueilte, traf sich in der Galerie Holger John ein buntes Volk von vornehmlich jungen Kunstfreunden zur Ausstellungseröffnung.

Auch hier wurde nicht getrauert. Aber dieses Kunstfest war von selbstbestimmter Würde. Bis in die tiefe Nacht wurden Platten aufgelegt, Charleston und Foxtrott getanzt, derweil an den Wänden ringsum zu sehen war, was geeignet ist, kunsthistorisch-zeitgeschichtliche Gewißheiten ins Wanken zu bringen. Natürlich gab es Bilder, vornehmlich Druckgrafik, jener Künstler, die in der großen Wanderausstellung „Entartete Kunst“ 1937 angeprangert wurden, wie Emil Nolde, Otto Mueller, Otto Dix, Christian Rohlfs.

Bruchlinien wirken bis in die Nachkriegszeit

Im Lichthof des Dresdner Rathauses wurde bereits im September 1933 die Ausstellung „Spiegelbilder des Verfalls“ gezeigt. Eine voreilige Provinzposse, in der alte Rivalen miteinander abrechneten. Die Bruchlinien wirkten bis weit in die Nachkriegszeit hinein. Wilhelm Rudolph beispielsweise, einer der wenigen wirklich proletarischen Künstler in der DDR, machte Holzschnittplakate für die Arbeiterhilfe, zog darauf die SA-Uniform an, trat nach 1933 aus der NSDAP wieder aus, später wieder ein, weil er als Professor der Akademie wegen eines Maxim-Gorki-Holzschnittes eines seiner Studenten um ein Haar in Lagerhaft genommen worden wäre. Später wünschte Walter Ulbricht von ihm gemalt zu werden. Den Nationalpreis hat er für dieses Porträt, das heute im Beeskower Depot lagert, redlich verdient. Hier sind zwei seiner berühmten Holzschnitte vom zerstörten Dresden ausgestellt.

Daß Galerist Holger John selbst ein Maler ist, bewahrt ihn vor einseitigen Festlegungen der Rolle, welche die Künstler in ihrer Zeit zu spielen hatten. Die Ausstellung faßt den Rahmen so weit wie möglich und zeigt ein oszillierendes Panorama verstörender Schönheit. Auch die heute weniger bekannten Namen wie Heinrich Ehmsen, Lea Grundig sind mit großartigen Blättern zu sehen. Fritz Cremer war 1937/38 und 1942/43 Stipendiat der Villa Massimo. Später gestaltete er die Figurengruppe für das Buchenwalddenkmal. Die Hängung rückt alle Werke ins richtige Licht und damit in den gehörigen Abstand zu allen Vorurteilen.

Der Berliner Kunsthändler Paul Cassirer gab wöchentlich Künstlerflugblätter unter dem Titel „Kriegszeit“ heraus. Im Erdgeschoß sind diese Lithographien auf Zeitungspapier an einer Wand vereint. Ernst Barlach läßt Hindenburg mit dem Dreschflegel gegen die Feinde des Vaterlands anwirbeln, Max Liebermann die Kavallerie aufsitzen: „Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd“. Max Beckmann porträtiert seinen Schwager Martin Tube mit Kopfverband. Vom Tierplastiker August Gaul ist eines der stärksten Blätter dieser Reihe „Wie der Britenleu den Halbmond zertrat“. Eine Anspielung auf die Dardanellenschlacht. Eine Robbe durchsticht sich beide Flossen an der osmanischen Sichel. Tier-anatomie, allegorischer Einfall und Flächenordung werden zu großer Wirkung vereinigt. Nur am Eröffnungsabend war eine Bleistiftzeichnung des Expressionisten Conrad Felixmüller zu sehen: „Hilfsschwester Cornelia Gurlitt“. Die Tante des bedrängten Sammlers war Malerin und half in den Lazaretten der Ostfront aus. 1919 nahm sie sich in Berlin das Leben. Die knallbunte Lithographie des Christopherus mit dem Jesuskind von Otto Dix ist Pop-art avant la lettre. Gerhard Marcks schneidet 1944 das antike Motiv der thebanischen Brüder Eteokles und Polyneikes in den Holzstock.

Diese herz- und augenerfrischende Ausstellung ist Kunstgeschichtsrevisionismus durch Bilder.

Die Ausstellung „Entartete Kunst“ ist bis zum 1. März in der Dresdner Galerie Holger John, Rähnitzgasse 17, täglich von 14 bis 19 Uhr zu sehen. Telefon: 0162 / 4 77 27 39

www.galerie-holgerjohn.com

Foto: Gerhard Marcks, Zwei Krieger, Holzschnitt 1944 (links) und Max Liebermann, Künstlerflugblatt, 1914: „Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd“

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