© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

Lauter Verlierer
Große Koalition: Die Affäre um Sebastian Edathy hat das Verhältnis zwischen Union und SPD nachhaltig beschädigt
Paul Rosen

Nach nicht einmal einem Vierteljahr Amtszeit zeigen sich in der Großen Koalition Zerfallserscheinungen. Die Affäre um den unter Kinderporno-Verdacht stehenden ehemaligen Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), belegt außerdem den beängstigenden Zustand der politischen Moral in Berlin. Und die Macht von Kanzlerin Angela Merkel erodiert.

Selbst altgediente Beobachter des Berliner Politikbetriebes waren erstaunt, wie schnell sich der Wind gedreht hat. Noch Anfang der vergangenen Woche diskutierte die Politik über Rentenreform, Schweizer Volksabstimmung und deutsche Energiewende. Der zunächst unauffällige Abschied von Edathy aus dem Bundestag brachte dann eine Lawine ins Rollen, die alle Themen mitriß und im Reichstag eine Kulisse des Verrats aufdeckte. Denn weite Teile der Koalitionsführung und besonders des SPD-Teils der Regierung hatten bereits seit Oktober vergangenen Jahres gewußt, daß Edathy Kunde bei einem kanadischen Händler war, der auch Kinderpornos verkaufte und der dortigen Polizei ins Netz gegangen war.

Nach der Durchsuchung von Edathys Wohnungen und Büros stieg schnell der Verdacht hoch, daß der offenbar ins Ausland geflüchtete SPD-Politiker Beweismaterial mitgenommen oder vernichtet haben könnte – aufgrund einer Warnung vor den Ermittlungen. „Wir sind fassungslos“, konstatierte Jörg Fröhlich, Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover die Tatsache, daß die Politik seit Oktober über Edathy Bescheid wußte. Ehe daraus eine Affäre der SPD werden konnte, tat Fraktionschef Thomas Oppermann das, was er am besten kann: angreifen. In einer in dieser Form einzigartigen Aktion schob er die Verantwortung für den Geheimnisverrat dem damaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in die Schuhe, der den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel schon im Oktober 2013 vor Ermittlungen gegen Edathy berichtet hatte. Während die Sozialdemokraten so taten, als seien sie mit den Informationen verantwortungsvoll umgegangen und hätten Edathy aus der Regierung heraushalten können, was einen Skandal vermieden hätte, stand Friedrich, der inzwischen Agrarminister war, als Verräter von Dienstgeheimnissen und wegen des Verdachts auf Strafvereitelung im Amt als Bösewicht da.

Zuspruch für Oppermann aus der Partei

Wie in kritischen Fällen üblich, brach die Solidarität unter den bürgerlichen Kräften innerhalb von Stunden zusammen. Friedrich mußte gehen. Genau darauf hatte die SPD gesetzt. Dabei hat die Parteispitze, die „keine Veranlassung“ (Gabriel) zu personellen Konsequenzen sieht, vielleicht sogar noch mehr Dreck am Stecken, wie der stellvertretende CDU-Vorsitzende Armin Laschet zum Ausdruck brachte: „Wer wußte aus der SPD-Führungsriege ... noch Bescheid? Und eidesstattlich müssen alle SPD-Politiker, die eingeweiht waren, daß ihr damaliger Kollege Bilder nackter Jungs bestellte, erklären, daß sie den Verdächtigen nicht vorwarnten.“ Wenn in einer Koalition bereits eidesstattliche Versicherungen von der anderen Seite erwartet werden, dann ist das Ende nicht mehr weit, könnte man meinen. Verkehrsminister Alexander Dobrindt heizte das Feuer weiter an: „Da ist von Oppermann Vertrauen in der Koalition niedergetrampelt worden. Das kann nicht ohne Aufarbeitung bleiben.“

Anfang der Woche versuchte SPD-Chef Gabriel dann, die Lage zu beruhigen. Er äußerte sein Bedauern, daß Friedrich zurücktreten mußte. Das sei nicht „fair“. Oppermann habe sich jedoch in der Affäre absolut korrekt verhalten, sagte Gabriel weiter. Aus SPD-Kreisen hieß es zudem, Fraktionschef Oppermann habe auf den Sitzungen von Parteivorstand und Präsidium am Montag keine Kritik, sondern nur Zuspruch erfahren. Gleichzeitig wurde versucht, dem Eindruck einer Staatskrise entgegenzuwirken. „Jetzt gilt es, den Blutdruck zu senken“, hieß es in der Partei.

Die meisten Abgeordneten der Union verspüren dennoch ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber der SPD, die taktisch geschickt operiert und de facto die Regierung dominiert. Damit ist es um den Elan im Bündnis geschehen. Aus der großen Aufgabe, das Land zu reformieren, wird großes Mißtrauen und gegenseitiges Belauern. Da traut jetzt keiner mehr dem anderen. Die SPD steht außerdem unter Verdacht, bereits ein rot-rot-grünes Bündnis vorzubereiten.

Aber als Sieger kann sich auch die SPD nicht fühlen. Noch nie ist den Bürgern vorgeführt worden, daß sich Politiker in Berlin unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit als über dem Gesetz stehend fühlen, daß sie was Besseres sind als der Durchschnittsbürger. Der Innenminister erzählt eben mal dem SPD-Vorsitzenden von Ermittlungen, damit dieser seinen Kabinettsanteil nicht mit einem falschen Politiker besetzt. Und Oppermann läßt den Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, ans Telefon holen, damit dieser zur Causa Edathy Bericht erstatten möge. Für Beobachter entsteht der Eindruck, daß sich hier politische Strukturen verselbständigt haben und rechtsstaatliche Grenzen überschritten wurden. Die Entfremdung zwischen Bürger und Staat, so scheint es, verstärkt sich. Die Edathy-Affäre hat daher alle Zutaten zu einer Staatskrise. Für einen Riß im Fundament der Bundesrepublik hat sie jetzt schon gesorgt. Weitere Entdeckungen, die nach den bisherigen Erfahrungen nicht mehr völlig ausgeschlossen werden können, würden den Fundamenten des demokratischen Staates mit der Wucht von Explosivgeschossen zusetzen.

In den Mittelpunkt des Geschehens rückt dabei immer stärker die schwach und seltsam unentschlossen, ja entfremdet wirkende Kanzlerin Merkel. Nachdem Gabriel ihr bereits jeden Schneid in der Koalition abgekauft hat, bildet er jetzt kurzerhand noch ihr Kabinett um, ätzen Kritiker. Merkel sei keine Regierende, sie wirke wie eine Getriebene. Und die Koalition ist trotz ihres Stimmenanteils von 80 Prozent zerbrechlich wie ein Stück morsches Holz.

 

Hans-Peter Friedrich

Der frühere Innenminister mußte am vergangenen Freitag auf Druck von Bundeskanzlerin Angela Merkel zurücktreten, weil er SPD-Chef Sigmar Gabriel darüber informiert hatte, daß der Name Edathys auf einer Liste kanadischer Ermittler aufgetaucht war. Dies könnte ihm als Geheimnisverrat ausgelegt werden. Am Dienstag wurde schließlich bekannt, daß die Staatsanwaltschaft Berlin in diesem Zusammenhang prüft, ob ein Anfangsverdacht gegen den CSU-Politiker besteht.

 

Jörg Ziercke

BKA-Präsident Jörg Ziercke unterrichtete Friedrichs Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche über den Verdacht gegen Edathy. Sowohl Ziercke als auch Fritsche, der nun Geheimdienst-Staatssekretär im Bundeskanzleramt ist, waren als Zeugen vor dem NSU-Untersuchungsausschuß mit Edathy heftig aneinandergeraten. Da Ziercke nach Aussage von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann diesesm weitere Informationen zu Edathy gegeben hat, prüft die Staatsanwaltschaft ebenfalls den Anfangsverdacht auf Geheimnisverrat.

 

Thomas Oppermann

Mit seiner um 11.48 Uhr verschickten Pressemitteilung besiegelte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann am Donnerstag vergangener Woche das politische Schicksal von Friedrich. In der Mitteilung offenbarte Oppermann, daß SPD-Chef Gabriel von Friedrich über den Verdacht gegen Edathy informiert worden war. Gleichzeitig teilte Oppermann mit, daß er, nachdem er von Gabriel unterrichtet worden war, den BKA-Präsidenten angerufen habe und dieser die Information bestätigt habe. Ziercke bestreitet das.

 

Sigmar Gabriel

SPD-Chef Sigmar Gabriel gab die Information über den Verdacht gegen Edathy, die Friedrich ihm am Rande der Koalitionsverhandlungen als „vertrauensbildende Maßnahme“ gegeben hatte, an den damaligen Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und den Parlamentarischen Geschäftsführer Oppermann weiter. Am Montag dankte Gabriel Friedrich ausdrücklich für die Information. Dies sei „menschlich hochanständig“ gewesen. Gleichzeitig kündigte Gabriel an, er werde sich für den Rausschmiß Edathys aus der SPD einsetzen.

Foto: Sebastian Edathy als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses: „Jetzt gilt es, den Blutdruck zu senken“

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