© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

Taktische Spielchen an der Frauenkirche
Geschichtspolitik: Die diesjährigen Gedenkveranstaltungen zur Zerstörung Dresdens liefen anders als von Stadtführung und Linksextremisten geplant
Paul Leonhard

Die sächsischen Linksextremisten sind entsetzt: Der politische Gegner hat sich nicht an die von ihnen aufgestellten Spielregeln gehalten. Statt wie gewohnt am 13. Februar, dem 69. Jahrestag der Zerstörung Dresdens, mit Kundgebungen und Demonstrationen für Aufmerksamkeit zu sorgen, marschierte er unter Wagner-Klängen bereits einen Tag zuvor.

So kurzfristig konnte das linke Bündnis „Dresden nazifrei“ seine auswärtige Klientel nicht mobilisieren. Und die übergroße Mehrheit der Dresdner interpretierte den Aufruf des sächsischen Innenministers Markus Ulbig (CDU) – niemand sollte an diesem Tag auf dem Sofa sitzen – auf ihre Weise. Sie blieben zu Hause und zeigten so ihr Unverständnis für die Vereinnahmung des Gedenktages und seine Uminterpretation durch die Politik.

Die 30 Polizei-Hundertschaften waren dagegen bereits seit dem 11. Februar vor Ort. Die Beamten sorgten dafür, daß es während des genehmigten Fackelmarsches der etwa 500, überwiegend schwarz gekleideten „Rechten“ durch die Altstadt zu keinen Gewaltexzessen etwa durch Angriffe von Linksextremisten kam. Die rund 1.000 Gegendemonstranten wurden auf Distanz gehalten. Es gelang ihnen nicht, den Zug zu blockieren, der aus Sicht des rechten „Aktionsbündnisses gegen das Vergessen“ ein „würdiges und ehrenhaftes Totengedenken für die zivilen Luftkriegsopfer“ darstellen sollte.

Daß die Rechtsextremisten durch ihre frühe Demonstration dem organisierten Widerstand der Linksextremisten ausgewichen sind, war für letztere ein Schock. „Das ist nicht so gelaufen, wie wir das erwartet und gewünscht haben“, resümierte Silvio Lang vom Bündnis „Dresden nazifrei“. Auch die Funktionäre des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zeigten sich von der friedlichen Veranstaltung irritiert. DGB-Landesvize Markus Schlimbach warf der Stadtverwaltung „bewußte Irreführung“ vor. Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU), eine gebürtige Görlitzerin, zeigte sich in ihrer Rede dagegen voll auf Linie. Der Bombenangriff knapp drei Monate vor Kriegsende – der die Innenstadt vernichtete, aber die größte Kasernenanlage Deutschlands und das Industriegebiet aussparte – habe keine „unschuldige Stadt“ getroffen: „Juden und deren nichtjüdische Angehörige, Sinti und Roma, Gewerkschafter und Sozialdemokraten wurden in Dresden vor den Augen der Öffentlichkeit schikaniert, mißhandelt und abtransportiert.“

Barbusige Demonstrantin verhöhnt Opfer

Aufgegangen ist die Taktik des rechten „Aktionsbündnisses“ auch am 13. Februar. Aufgrund der in den Vorjahren mit der auf Krawall ausgerichteten Antifa gemachten Erfahrungen wurde auf offizielle Veranstaltungen verzichtet und dafür die Parole ausgegeben, dorthin zu gehen, „wo wir unblockierbar sind“: als Ordner und Teilnehmer bei der Menschenkette, als Teilnehmer am stillen Gedenken, bei Gottesdienst und Friedensgebet in Hof- und Frauenkirche, beim Entzünden der Kerzen auf dem Neumarkt und bei allen anderen „zivilgesellschaftlichen“ Veranstaltungen. „Alle sind überrascht und ratlos angesichts der neuen Strategie der Rechtsextremisten“, staunte die Sächsische Zeitung.

Tatsächlich sei es Rechtsextremisten gelungen, sich in die Menschenkette, die die Altstadt symbolisch vor „Nazis“ schützen sollte, einzureihen und sogar mit der Oberbürgermeisterin für Fotos zu posieren, teilte Lang entsetzt mit. Auf dem Heidefriedhof konnten Vertreter der NPD unbehelligt ihre Kränze neben denen der Stadt und des Freistaates ablegen.

Während der Jenaer Krawallpfarrer Lothar König frohlockt, daß es vielleicht im nächsten Jahr keinen 70. Gedenktag mehr geben wird, dürften Links- und Rechtsextremisten bereits über die beste Taktik für 2015 nachdenken. Das Bündnis „Dresden nazifrei“ und die Bürgerschaft sollten sich stärker auf Aktionen der Nazis an den Vortagen vorbereiten, findet Lang: „Es reicht nicht, sich allein auf den 13. Februar zu konzentrieren.“ Immerhin demonstrieren Rechtsextremisten seit 2007 nicht nur an diesem Tag. Allein 2013 gab es nach Angaben des Verfassungsschutzes elf „rechte“ sowie „ausländer- und europafeindliche“ Veranstaltungen. Die Linkspartei setzt auf permanenten Widerstand: „Es ist deutlich zuwenig, einmal im Jahr eine symbolische Aktion durchzuführen“, so Fraktionschef André Schollbach.

Für Aufregung und Empörung sorgte am Rande der Gedenkveranstaltung der Auftritt einer barbusigen Frau, die sich die Worte „Thanks Bomber Harris“ auf den Oberkörper geschrieben hatte; eine Anspielung auf den Kommandeur der britischen Bomberflotte, Arthur Harris Laut Berliner Kurier soll es sich bei der Frau, die ihr Gesicht mit einer Mütze und einem Schal vermummt hatte, um die Berliner Piratenpolitikerin Anne Helm handeln. Helm, die für die Piraten in der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln sitzt, gab zu, in Dresden gewesen zu sein. Sie bestreitet allerdings, die maskierte Frau zu sein.

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