© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

Geben und nehmen
Unterhalt und Familie: Ein Urteil offenbart die fatalen Fehler unseres Rentensystems
Konrad Adam

Vorsicht, Betrüger!“ warnt die Broschüre. Und mahnt zur Vorsicht gegenüber ungebetenen Gästen, die es darauf abgesehen haben, „mit unlauteren Mitteln an Ihr Geld zu kommen“. Die Broschüre stammt von der Deutschen Rentenversicherung, die mit dem Slogan „Sicherheit für Generationen“ für sich wirbt. Sie macht es wie gewitzte Gauner, führt Klage gegen andere, um von sich selber abzulenken. Denn realistisch, also kaufmännisch betrachtet, dürfte die Deutsche Rentenversicherung einer der größten Betrüger im Lande sein, verspricht sie uns doch etwas, was sie nicht leisten kann, durch ihre fehlerhafte Konstruktion ja geradezu sabotiert: die Sicherheit im Alter.

Dieser Tage hat der Bundesgerichtshof Licht in das absichtsvoll verbreitete Dunkel gebracht. Mit der Begründung, daß die Familie beide Seiten verpflichte, Eltern und Kinder, verurteilten die Richter einen Mann dazu, für seinen (inzwischen verstorbenen) Vater aufzukommen. Jung hat für Alt zu sorgen, weil und nachdem Alt für Jung gesorgt hatte: so die einfache, für jeden verständliche Formel, auf die sich das Gericht berief. Tatsächlich kann der Generationenvertag, die vielberufene Basis der Rentenversicherung im Umlageverfahren, ja nur dann halten, wenn beide Seiten ihren Verpflichtungen nachkommen.

Das tun sich nicht, müssen sie auch nicht, weil man in Deutschland, wie das Sprichwort weiß, von Kindern dann am besten lebt, wenn man selbst keine hatte.Hier wird man auch – und gerade dann! – im Alter gut versorgt, wenn man es seinerseits versäumt hat, für Kinder zu sorgen. Als Beitrag zur Alterssicherung wird nur die bare Zahlung anerkannt; der zweite, für den Bestand des Ganzen buchstäblich überlebenswichtige Beitrag, die Existenz von leistungsfähigen und leistungswilligen Kindern, wird übersehen, wo nicht gar bestraft. Denn darauf läuft es ja hinaus, wenn die Berufstätigkeit großzügig, die Kindererziehung aber nur kümmerlich belohnt wird.

Oswald von Nell-Breuning, auf den sich die Wortführer des deutschen Rentenversicherungssystems oft und gern, aber ganz zu Unrecht berufen, hat den Geburtsfehler des Verfahrens anschaulich beschrieben, als er die Naivität anprangerte, mit der zwei Generationen glauben, das Geschäft unter sich abmachen zu können. Die dritte, die Kinder-Generation, „die sozusagen die Infrastruktur des ganzen Unternehmens ist, ohne die das Ganze wie ein Kartenhaus zusammenfällt“, wird außer acht gelassen. An dieser Kurzsichtigkeit krankt das System zeit seines Bestehens; an ihr wird es auch irgendwann zugrunde gehen.

Denn eine halbwegs solide Neugründung ist nicht in Sicht. Das Stimmgewicht, das den Älteren zugewachsen ist, das sie begünstigt und alle Jüngeren benachteiligt, steht dem im Wege. Die Rechnung ist ganz einfach: Rentner und Pensionäre dürfen wählen, Kinder nicht; und das bekommen sie zu spüren. Angela Merkel hat auch hier die Richtung gewiesen, als sie die Rentenansprüche der älteren Generation dem Kapitalstock des Landes, nicht etwa seinem Schuldkonto zuwies. Kein Wort davon, daß diese Ansprüche ja erst noch erarbeitet werden müssen, und zwar von den Angehörigen einer Generation, die nie danach gefragt worden ist, ob sie die ihr auferlegten Lasten tragen kann oder will.

Die Antwort wird sie allerdings noch geben. Wenn die kinderlosen Vertreter der Vorgängergeneration ihre angeblich wohlverdienten Versorgungsansprüche im naiven Vertrauen auf die Zusagen der Rentenversicherung einfordern, müssen sie mit der Frage rechnen, was sie denn ihrerseits für Kinder und Enkel getan hätten. Wenn ihnen dann nicht mehr einfällt als ein Kontoauszug, wird die Antwort lauten: Das war zuwenig, nur die Hälfte! Mit der Folge, daß es die nächste Genration genauso macht und ihre Zuwendungen auf die Hälfte reduziert. Und das zu Recht, denn Solidarität verpflichtet entweder beide Seiten oder keine. Es ist Zeit, höchste Zeit, die Mahnung zu befolgen, die das Bundesverfassungsgericht mehr als nur einmal ausgesprochen hat: die Existenz von Kindern, Grundlage des Ganzen, in sämtlichen Zweigen des zu Unrecht immer noch sozial genannten Versicherungswesens angemessen zu berücksichtigen. Denn alle diese Zweige arbeiten nach dem Grundsatz der Umverteilung von Jung zu Alt: ein Grundsatz, der aber nur dann durchgehalten werden kann, wenn sich Leistung und Gegenleistung im Verlauf des Lebens ausgleichen. Davon kann aber keine Rede sein.

So etwas auszusprechen heißt die Frage provozieren, ob denn die ungewollt Kinderlosen bei der Rentenberechnung für ihr trauriges Schicksal zum zweiten Mal bestraft werden sollten. Worauf zu antworten wäre, daß Kinderlosigkeit vielleicht ein Unglück, doch ganz gewiß kein sozialversicherungsfähiger Sachverhalt ist. Bei der Festsetzung von Leistung und Gegenleistung haben die Behörden auf Tatsachen zu achten, nicht auf deren Ursachen. Und zu den Tatsachen gehört eben, daß Kinderlosigkeit Kosten sparen hilft, ganz unabhängig davon, ob sie gewollt war oder nicht.

Solange das nicht anerkannt, gewürdigt und beachtet wird, bleibt Kinderlosigkeit in Deutschland ein Geschäft. Über die Folgen darf man sich dann nicht wundern. Sie zeigen sich in der Bevölkerungsstatistik, in der die Deutschen seit Jahr und Tag immer neue Minusrekorde aufstellen. Das Ende vom Lied, der Zeitpunkt, an dem ein Erwerbstätiger für zwei Rentner und Pensionäre aufkommen soll, ist damit absehbar, läßt sich mit geradezu versicherungsmathematischer Genauigkeit voraussagen. Was dann geschieht, allerdings nicht. Nur eines dürfte sicher sein: In einem solchen Land zu leben, wird für die Jugend nicht erfreulich sein. Für die Alten aber auch nicht.

 

Konrad Adam ist Publizist und einer der Parteisprecher der Alternative für Deutschland (AfD).

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