© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/14 / 14. Februar 2014

Mit 77 Jahren, da fängt das Leben an
200 Rallyes gefahren und im Sommer los zur Weltreise: Heidi Hetzer, Deutschlands berühmteste Rennfahrerin, startet durch
Ronald Berthold

Die Frau hat Pläne. Ihren 80. Geburtstag möchte Heidi Hetzer im wiederaufgebauten Berliner Stadtschloß feiern – ein ehrgeiziges Ziel, unterstellt es doch, daß die Bauarbeiten für das Großprojekt im Zeitplan bleiben. Und das trifft in der Stadt, in der die langjährige Opel-Händlerin geboren ist und als Original gilt, so häufig zu wie der Start einer Boeing vom Großflughafen BER.

Wie die Rekonstruktion der Hohenzollernresidenz vorankommt, wird Heidi Hetzer nicht verfolgen können, denn am 22. Juni geht sie auf Weltreise; nicht auf irgendeine. Sie fährt mit einem Oldtimer zwei Jahre lang 70.000 Kilometer rund um den Globus.

Die Frau kennt keine Ruhe, ihr Name ist Programm. Zwei Tage nach ihrem 77. Geburtstag beginnt am 22. Juni die große Fahrt. Mit ihrem „Hudo 1“ startet sie auf der Straße des 17. Juni, vor dem Brandenburger Tor. Die Magistrale ist an diesem Sonntag gesperrt – zwar nicht für die rüstige Globetrotterin, sondern wegen der Fanmeile für die Fußball-Weltmeisterschaft. Aber irgendwie ist es, als ob die deutsche Hauptstadt ihrer berühmten Tochter die Ehre erweist.

„Einmal im Leben etwas für mich machen“

Von der Heimat geht es durch den Balkan, die Türkei, quer durch Rußland bis nach China und Indonesien. Weihnachten möchte Heidi Hetzer in Australien sein. Von Neuseeland geht die Reise mit dem Schiff weiter nach Nordamerika. Der „Hudo“ bringt sie dann durch Mittel- und Südamerika nach Afrika und zurück nach Europa.

Heidi Hetzer sagt: „Ich kann nur Autos.“ Mit 17 Jahren lernte sie im elterlichen Opel-Autohaus Kfz-Mechanikerin – im Jahr 1954 für eine Frau ein außergewöhnlicher Beruf. 15 Jahre später stirbt ihr Vater, und sie übernimmt das Geschäft. Ihre Fachkenntnis und ihre Leidenschaft für Autos sind da schon nicht mehr zu bremsen. Sie nimmt an Wettfahrten teil – sogar an der legendären Rallye Monte Carlo. Inzwischen sind es mehr als 200. Heidi Hetzer wird zur berühmtesten Autoverkäuferin der geteilten Stadt – ein internationales Gesicht der Marke Opel. An der Teilnahme der Rallye Dakar kann sie 2008 nur die Absage der Veranstaltung stoppen.

Vier Jahre später verkauft sie ihr in ganz Berlin bekanntes Autohaus. Es liegt in Charlottenburg direkt an der Stadtautobahn, von der Hausfassade lächelt ihr Konterfei mit Rallye-Kappe. Auf dem Dach blinkt Tag und Nacht ein Opel. Auch wenn sie ihr Geschäft mit Leib und Seele betrieben hat, will sie nun „einmal im Leben etwas für mich machen“. Der Gedanke der Weltreise spukt schon länger in ihrem Kopf: „So etwas macht man am Anfang oder am Ende des Lebens“, sagt sie. Dazwischen habe man keine Zeit.

Mit dieser Fahrt tritt sie in die Spuren von Clärenore Stinnes. Die Tochter des Industriellen Hugo Stinnes umrundete von 1927 bis 1929 als erster Mensch in einem Auto die Welt. So wie die seinerzeit 26jährige läßt sich auch Heidi Hetzer von einem Mann begleiten. Die mit 17 Siegen damals erfolgreichste Rennfahrerin Europas nahm den Fotografen Carl-Axel Söderström mit auf die zweijährige Fahrt. Den Schweden hatte sie erst kurz vor Abreise kennengelernt. Heidi Hetzer setzt einen Mechaniker auf den Beifahrersitz von „Hudo 1“. Sie strahlt ihr breites Lachen und sagt: „Spätere Hochzeit ausgeschlossen.“ Denn Clärenore Stinnes und Carl-Axel Söderstrom kamen sich auf der langen Reise sehr nah. Nach Berlin zurückgekehrt, heirateten die beiden.

Die 76jährige wird den Rekord ihres Vorbildes brechen. Heidi Hetzers Reise ist mit 70.000 Kilometern rund ein Drittel länger als die von Clärenore Stinnes. Dafür ist ihr „Hudo“ drei Jahre jünger als Clärenores 1927 gebauter „Adler Standard 6“.

Foto: Karte der Reiseroute über 70.000 Kilometer (oben); Heidi Hetzer an ihrem liebsten Ort auf Erden – am Steuer, hier eines Opel Baujahr 1911: „Ich kann nur Autos.“

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