© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/14 / 14. Februar 2014

Die Blutflecken stammen nur von Nasenbluten
Ian McEwans Roman „Honig“ fesselt auch deshalb, weil er Einblicke in die nüchterne, statt die spektakuläre Welt der Geheimdienste bietet
Claas Nordau

Wenn sich eine 22jährige anglikanische Bischofstochter in einem ernstzunehmenden Roman in einen Universitätsdozenten Anfang Fünfzig verliebt, dann kann man davon ausgehen, daß der Erfinder einer solchen Konstellation in der Schaffensphase ist, die man gemeinhin als Spätwerk bezeichnet. Bei Goethe war das so und bei Philip Roth auch.

Bei Ian McEwan, Jahrgang 1948, ist das nicht anders. Aber – er nimmt sich nicht ganz so ernst und fühlt sich zum Dialog mit dem Leser verpflichtet. Statt in potenter Virilität oder Selbstmitleid zu schwelgen, läßt er den Universitätsdozenten kurzerhand zu Ende des zweiten Kapitels an Krebs sterben und macht die Bischofstochter zur Protagonistin. Der weibliche Quoten-Trick, mit dem er schon „Abbitte“ erfolgreich dramatisierte (und für den er auch als Produzent beim gleichnamigen Film von Joe Wright fungierte).

In „Honig“ geht es nicht um die konkrete Schuld, die eine pubertierende angehende Schriftstellerin mit zuviel Phantasie auf sich lädt, sondern um Spionage im Kalten Krieg der siebziger Jahre.

McEwan mixt seine Erinnerungen an diese Zeit, den Anfang seiner beruflichen Karriere, mit den historischen Fakten vom Terror der IRA, der Vor-Thatcher-Ära, der Energiekrise, hohen Inflationsraten, Diskussionen über Foltermethoden wie Isolationshaft, Nahrungsentzug und dem Zwang zum stundenlangen Stehen (zwischenzeitlich verfeinert durch Waterboarding, Dauerbeschallung und Demütigung, verbessert hat sich nichts) und einem kaleidoskopartigen Insiderblick auf die britische Intellektuellenszene.

Geheimdienstarbeit ohne ermüdende Überzeichnung

Dazu erfindet er die Operation „Honig“, ein semifiktives Geheimdienstprojekt, in dem englische Intellektuelle – nach real-amerikanischem CIA-Vorbild – mittels großzügiger Stipendien auf ihre staatsbürgerliche Tauglichkeit eingeschworen werden sollen. McEwan muß da nicht seine Phantasie bemühen, sondern kann auf Fakten zurückgreifen, da Kollegen wie beispielsweise George Orwell zeitweise tatsächlich aus dem Fonds britischer Geheimdienstetats finanziert wurden.

Seine Heldin Serena Frome avanciert mit Fleiß, Leidenschaft für Literatur, erotischer Anziehungskraft und der postum wirksamen Protektion ihres toten Liebhabers, der auch für den Geheimdienst gearbeitet hat, von der unterbezahlten Tippse zur Leiterin der Operation „Honig“ und verliebt sich prompt in Tom Haley, das erste Objekt ihrer Protektion.

Durch den nüchternen Blick auf eine durch Sonderetats privilegierte Behörde, die aber wie alle Behörden unter Spar-zwängen mitunter schäbig anmutende Strukturen entwickelt, und das Fehlen moderner IT-Technologien wird eine Frühform geheimdienstlicher Arbeit sichtbar, deren Charaktere jedoch viel mehr an IT-Spezialisten vom Zuschnitt eines Edward Snowden oder Bradley Manning als an klassische Agenten in zweireihigem Trenchcoat auf der Suche nach toten Briefkästen denken lassen. Manchmal wünscht man sich den Auftritt solcher Kunstfiguren wie Supermacho James Bond – McEwan zitiert ihn immerhin als Reminiszenz an seinen Erfinder Ian Fleming – sehnlichst herbei.

Als Beweis für Glaubwürdigkeit dient McEwan eine für einen belletrischen Roman höchst unübliche Literaturliste von Sachbüchern, die Historiker und ehemalige MI5(Inland)- bzw. MI6(Ausland)-Geheimdienstmitarbeiter geschrieben haben. Ungewöhnlich ist auch das Bemühen, die Grenzen des Genres auf moralischer Ebene zu sprengen: es fehlt das übliche Waffenarsenal komplett, es fehlt jegliches durch mechanische Gewalt aus dem Leben scheidende Personal, und es fehlen dramatische Verfolgungsjagden. „Honig“ kommt ohne solche ermüdenden Überzeichnungen aus. Selbst ein Blutfleck entpuppt sich als die harmlose Hinterlassenschaft eines Nasenblutens.

Herausgekommen ist eine Spionagegeschichte, die mit vielen literarischen Arbeitsproben – McEwan greift auf sein Archiv früher unveröffentlichter Arbeiten zurück – und Verliebtheiten zu tun hat und angesichts der aktuellen Debatten über Whistleblower, Abhörmethoden einzelner nationaler Geheimdienste, 16 unterschiedlichen Geheimdienstorganisationen allein in den USA und globaler Datentransfers im Terabytebereich wie eine anachronistische Plauderei aus dem Nähkästchen einer Epoche wirkt, in der das Bewußtsein des letzten Weltkriegs noch höchst präsent ist, weil Autoren wie John le Carré, Graham Greene und Somerset Maugham auf eigene Geheimdiensterfahrungen zurückgreifen.

Natürlich ist das kein Bestseller für ein Massenpublikum, keine Kick-Ass-Novel, sondern ein anspruchsvolles Geschenk für literarische Gourmets, Romantiker und angehende Geheimdienstmitarbeiter, die akribische Recherche, journalistische Präzision und die Sachlichkeit von Erotik zu schätzen wissen. Denn wer weiß? Vielleicht kommen die guten alten sicheren Zeiten analogen Spionagehandwerks ja schon bald wieder.

Ian McEwan: Honig. Diogenes Verlag, Zürich 2013, gebunden, 448 Seiten, 22,90 Euro

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