© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/14 / 14. Februar 2014

Konventionelle Bomben entscheiden keinen Krieg
Eine neue Studie zu den Auswirkungen der Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg / London und Berlin im Vergleich
Konrad Faber

Martina Metzger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bayerischen Armeemuseum Ingolstadt, und ihre Dissertation erschien als erster Band einer neuen Buchreihe „Historia altera“ des Franz Steiner Verlages in Stuttgart, in welcher bisherige Erkenntnisse zur europäischen und deutschen Geschichte in Frage gestellt und aus einem besonderen Blickwinkel betrachtet werden sollen.

Ganz so aufregend und neu ist es dann aber doch nicht, was die Verfasserin in ihrer Dissertation zu den Auswirkungen des Bombenkriegs auf London und Berlin bei einem direkten Vergleich beider Hauptstädte herausgefunden hat. London wurde 1940/41 durch den deutschen „Blitz“ getroffen und lag nach einer gewissen zeitlichen Pause noch einmal 1944/45 unter V-Waffen-Beschuß. Berlin hingegen wurde erst ab 1943 massiv bombardiert. Obwohl in beiden Städten die Bevölkerung unter dem Bombenkrieg schwer litt, brachen an der „Heimatfront“ weder die Moral der Bevölkerung noch die Produktion, das Transportwesen oder die öffentliche Sicherheit und Ordnung zusammen.

Trotz der vielen Toten und Verletzten war in beiden Städten zeitweilige bzw. totale Obdachlosigkeit die mit Abstand häufigste und spürbarste Auswirkung des Bombenkriegs für die Wohnbevölkerung. Es gab sowohl in London als auch Berlin Gebiete, die wegen ihrer Wichtigkeit (bzw. ihrer navigatorisch gut ansteuerbaren Lage) besonders häufig und heftig getroffen wurden. In London handelte es sich um die historische „City“ (26 Prozent der bebauten Fläche total zerstört) und die „Docks“ nebst den angrenzenden Wohnvierteln unterer sozialer Schichten.

Auch in Berlin wurde das historische Stadtzentrum am meisten zerstört (Tiergarten, Mitte, aber auch Friedrichshain, Kreuzberg und Charlottenburg), während Randbezirke wie Spandau, Treptow, Köpenick und Pankow weit weniger litten. Die meisten Gebäudeschäden in Berlin und London entstanden nicht durch die immer mehr Sprengstoff enthaltenden Sprengbomben, sondern durch den rapide zunehmenden Einsatz von Brandbomben, was die Bausubstanz nicht nur punktuell, sondern gleich flächendeckend schädigte.

Berlin entging einem Feuersturm mit viel Glück

Berlin entging dabei mit viel Glück dem Schicksal Hamburgs. Wäre es nämlich bei einem „Feuersturm“ ähnlich wie in Hamburg 1943 ausgebrannt, dann hätten die Verluste an Menschenleben gemäß Metzger Werte wie bei einem Kernwaffeneinsatz erreicht. Berlin litt allerdings im Gegensatz zu London zusätzlich, weil es bei Kriegsende nochmals massiv taktischen Bombardements der Sowjetluftwaffe und den Auswirkungen eines heftigen Häuserkampfes ausgesetzt war.

Bei Kriegsende 1945 waren für Beobachter die Auswirkungen des Bombenkriegs in London vor allem durch eine auffällige Zahl (bereits beräumter) Freiflächen erkennbar, während das noch völlig in Trümmern liegende Berlin optisch einer Mondlandschaft nahekam. Glich sich bis dahin das Schicksal von Berlin und London, so sind einige Unterschiede bei den Wiederaufbaumaßnahmen erkennbar, welche die Verfasserin bis zum Jahr 1955 untersuchte. In Berlin erfolgte der Wiederaufbau unter den Bedingungen einer geteilten, vom Gegner besetzten Stadt.

Die kommunalen Behörden hatten auf Willensäußerungen der jeweiligen Besatzungsmacht Rücksicht zu nehmen. Wichtig ist hierbei Metzgers Erkenntnis, daß nur in „Ausnahmefällen (…) ein kulturhistorisch wertvolles Bauwerk“ durch Bombenangriffe „restlos ausgelöscht“ wurde. Wenn also in Berlin nach 1945 die Überreste vieler historisch wertvoller Bauwerke der Spitzhacke zum Opfer fielen, waren das entweder Auswirkungen rein ökonomischer Aufwand-Nutzen-Analysen oder aber ideologisch bedingte „Vergangenheitsbewältigungen“. Letzteres fand gerade in Ost-Berlin häufig statt (das Stadtschloß als bekanntestes Beispiel), wobei jenes „Tabula rasa“-Denken in erwünschter Nebenwirkung viel Freiraum für neue, nunmehr sozialistische, stadtplanerische Gestaltungsabsichten schuf. In Ost-Berlin erfolgte der Wiederaufbau daher viel zentralistischer und planwirtschaftlicher, als dies in West-Berlin und London, allein schon wegen der Eigentumsstrukturen, möglich gewesen wäre.

Martina Metzger: Bewältigung, Auswirkungen und Nachwirkungen des Bombenkriegs in Berlin und London 1940–1955. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2013, gebunden, 367 Seiten, 59 Euro

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