© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/14 / 14. Februar 2014

Pankraz,
der Paprikakrieg und das Patentamt

Eine neue Front im Dauerkrieg um die Gen-Manipulierung an Pfanzen und Tieren ist eröffnet: die Paprikafront. Das internationale Bündnis „Keine Patente auf Saatgut“ hat gegen das Europäische Patentamt (EPA) in München geklagt, weil es der Schweizer Firma „Syngenta“ ein „sittenwidriges“ Patent für den Anbau von Paprika ausgestellt habe. Das Patentamt wehrt sich vehement.

Tatsächlich hat das Münchner Paprika-Patent nicht das geringste mit dem zu tun, was die Saatgutschützer sonst ins kritische Visier nehmen, nichts mit physiko-chemischen Eingriffen ins „naturgegebene“ Erbgut. Die Firma Syngenta hat lediglich die insektenresistenten Gene einer bestimmten „wilden“ Paprika-Art in den Genbestand einer vielgebrauchten „domestizierten“ Art, die sehr viel weniger resistent gegen Insektenbefall ist, eingespeist. Sie hat also die wilde Art einfach mit der domestizierten gekreuzt; einzig dafür haben ihr die Münchner das Patent gegeben.

„Um so schlimmer!“ rufen nun die Saatgutschützer. Das EPA habe durch sein Patent für den „Agrarkonzern“ Syngenta in unerlaubter Weise „der Privatisierung natürlicher Ressourcen Vorschub geleistet“, dies sei im Grunde ein noch schwereres Verbrechen an der Menschheit als sämtliche physiko-chemischen Eingriffe in den natürlichen Genhaushalt insgesamt, besonders wenn der Sünder ein „Agrarkonzern“ ist, für viele Ökologen das Schreckgespenst schlechthin.

Pankraz kann dazu nur den Kopf schütteln. Als würden von privaten Bauern und Gärtnern nicht seit Jahrtausenden Pflanzen- und Tierarten gekreuzt (siehe die Dackel- und Rosenzüchter) und als sei nicht jeder erfolgreiche Züchter darauf bedacht, seine Züchtung vor Nachahmern schützen zu lassen, am liebsten durch ein behördliches Patent! Gerade Paprika liefert dafür die meisten und eindrücklichsten Belege. Denn die Geschichte der Paprikapflanze bietet sich dar als ein wahrhaft wüstes Auf und Ab von Natürlichkeit und Künstlichkeit, das selbst der gründlichste Gelehrte nicht zu überblicken vermag.

Das geht schon mit den Namen los, die man ihr im Laufe der Zeit verliehen hat: Chili, Peperoni, Roter Pfeffer, Cayennepfeffer, Kapsa, Biber, Beißbeere – um nur einige der im Deutschen kursierenden zu nennen. Nicht einmal über die Präpositionen ist man sich einig; in Deutschland, Österreich und der Schweiz sagt man je nach Region manchmal „das Paprika“, „der Paprika“ oder „die Paprika“. Der Name soll aus dem Ungarischen stammen oder aus dem Kroatischen, die Pflanze selbst stammt aus Südamerika und ist ein typisches Kind der Entdeckung dieses Kontinents durch das Abendland.

Zunächst rangierte sie bevorzugt als Pfefferersatz. Da die Araber und Osmanen den Zugang der Abendländer zum wirklichen Pfeffer immer wieder versperrten oder extrem verteuerten, wurde der von den Konquistadoren über den Atlantik mitgebrachte „Chili“ in Europa begeistert begrüßt und zunächst ausschließlich als Gewürz, eben als Ersatzpfeffer, verwendet. Schnell aber gewann dieser „Ersatz“ auch Eingang in die originalen Pfefferländer des Orients, in Indien, Insulinde, China, wodurch sich seine Verwendungsarten stürmisch erweiterten – und er selbst sich sogar genetisch ausfaltete.

Bald rangierte er vielerorts als Hauptgericht oder als eine Art Übergewürz und schließlich als Arzneimittel, als willkommene Medizin unter anderem gegen Zahnschmerzen und Arthrose, Hexenschuß, Migräne, Gürtelrose … Wahrscheinlich war es nicht zuletzt ihre heilsame Wirkung, die domestizierte Paprikaderivate anfällig für Insektenbefall machte, weshalb sie auch früher schon mit halbwegs „wilden“ Arten gekreuzt wurden. Die einschlägige Forschung ist in vollem Gange, die Firma Syngenta steht nicht allein, und man kann ihre Sehnsucht nach patentiertem Schutz gegen Konkurrenz gut verstehen.

Etwas anders liegen die Dinge auf Seiten des Münchner Patentamts. Patente dürfen dem Gesetz nach nur für „Erfindungen“ ausgegeben werden, und es läßt sich darüber streiten, ob bloße „Entdeckungen“ wie zum Beispiel die von Syngenta gemachte über den Zusammenhang von „Wildheit“ und Insektenresistenz eine wirkliche Erfindung ist. Isaac Newton hat die Schwerkraft entdeckt, eine gewaltige, weltbewegende Entdeckung, aber niemand würde auf den Gedanken kommen, ihm die Schwerkraft zu patentieren.

Insofern hat die Kritik des Bündnisses „Keine Patente auf Saatgut“ doch einiges für sich. Es gibt derzeit einen Patentmißbrauch im Zeichen hemmungsloser Profitsucht, der zu einem echten Ärgernis geworden ist. Agrar- und Pharma-Konzerne, die zweifellos oft große Summen in die Forschung investieren, versuchen das, was ihre Angestellten herausbekommen, mit allen juristischen Tricks patentieren zu lassen, obwohl es sich dabei keineswegs um Erfindungen, sondern um bloße neue Fakten und Forschungswege handelt, die gleichsam allgemeines Erbe der Menschheit sind wie Häuserbauen, Pilzesammeln oder Schuhanziehen.

Besonders skandalös ist in der Agrarwirtschaft die Entwicklung genbehandelten Saatguts bei synchroner Entwicklung von „zugehörigen“ Schädlingsbekämpfungsmitteln, die also nur das exklusiv vom Konzern gelieferte Saatgut schützen, so daß die Bauern, die dieses verwenden, auch das betreffende Schädlingsmittel kaufen müssen und vielleicht auch noch die vom Konzern speziell für die neuen Produkte entwickelten Aussaat- und Erntegeräte, alles voll patentiert und lizenziert. Hier liegen zweifellos Gefahren.

Aber Paprika kann uns Wegweisung geben. Domestizierte Arten werden vor allem durch Gestalten wie Weiße Fliegen, Rote Spinnen oder Asseln geschwächt, welche Lebenssäfte absaugen, ohne auch nur den kleinsten Versuch zu machen, mit der Wirtspflanze eine für beide Seiten nützliche Lebensgemeinschaft (Biozönose) einzugehen. Die „wild“ gebliebenen Arten lassen sich dergleichen nicht gefallen. Vorsicht also vor allzu früher Domestizierung!

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