© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/14 / 14. Februar 2014

Von Banken und Baulöwen
Türkei: Nach einem jahrelangen kometenhaften Aufstieg drohen nun die sieben mageren Jahre, mindestens
Günther Deschner

Ein Bankenchef, einige Baulöwen, korrupte Beamte, Minister-Söhne und zuletzt auch ein Sohn des Premierministers selbst: Sie alle stehen im Fokus eines Korruptionsskandals, der die Türkei seit Wochen erschüttert.

Premier Recep Tayyip Erdogan sah sich darauf zu einer radikalen Umbildung des Kabinetts gezwungen und wechselte zehn seiner 26 Minister aus. Daß er auch Justizbeamte und Tausende Polizisten, die den Skandal ermittelt und aufgedeckt hatten, strafversetzen ließ, brachte ihm nicht nur Presseschelte und die Kritik der Opposition ein, sondern sogar Rücktrittsforderungen einiger Abgeordneter seiner eigenen Partei, der islamisch-konservativen AKP, die darauf mit dem Ausschluß der Störenfriede reagierte.

Die Lira ist stark unter Druck und fällt ständig

Der Streit um den Korruptionsskandal hat öffentlich gemacht, wie tief die türkische Führung in schwer durchschaubare Machenschaften und innere politische Machtkämpfe verstrickt und wie sehr die Wirtschaft des Landes in unruhiges Fahrwasser getrudelt ist.

Die neuerdings „die zerbrechlichen fünf“ genannten Schwellenländer Südafrika, Indien, Brasilien, Indonesien und als Schlußlicht die Türkei haben ohnehin große Zahlungsbilanzprobleme und müssen – auch, aber nicht nur wegen der weniger expansiven amerikanischen Geldpolitik – schmerzhafte Wertverluste ihrer Währungen hinnehmen.

Mit seinen Reaktionen auf die Korruptionsvorwürfe hat Erdogan die ohnehin prekäre Position seines Landes weiter geschwächt – und auch den größten Erfolg seiner Regierungszeit, den wirtschaftlichen Aufschwung und die Stabilität gefährdet. Am Markt ist die Türkei bereits unter Druck. Die türkische Lira fiel auf ein Rekordtief, und immer mehr ausländische Investoren zogen Kapital aus dem einstigen Boomland ab.

Ende Januar sah sich die türkische Zentralbank zum Handeln gezwungen. In einer Krisensitzung hob sie den Leitzins drastisch an – von bislang 4,5 Prozent auf zehn Prozent. Der Libor-Zins, zu dem sich die Banken Geld bei der Zentralbank leihen können, wurde sogar von 7,75 auf zwölf Prozent angehoben.

Damit reagierten die Währungshüter in Ankara auf den Absturz der Lira. Die türkische Lira hat bereits im vergangenen Jahr fast zwanzig Prozent ihres Wertes verloren. Türken müssen derzeit etwa doppelt so viele Lira für einen Dollar zahlen wie vor sechs Jahren, als die Währung ihren Höchstkurs erreicht hatte. Das gleiche gilt für den Euro.

Gleichzeitig korrigierte die Zentralbank auch ihre Inflationsprognose: War sie bislang für 2014 noch von durchschnittlich 5,3 Prozent ausgegangen, rechnet sie nun mit Preissteigerungen von 6,6 Prozent. Gegenwärtig liegt die Inflation mit 7,4 Prozent sogar noch auf einem höheren Niveau. Finanzexperten zweifeln jedoch, ob die Zinserhöhung die Inflation stoppen kann. Die Erhöhung komme zu spät. Der Notenbank wird nachgesagt, diesen Schritt aufgrund politischen Drucks von Premier Erdogan nicht früher gewagt zu haben.

Konsum als Triebfeder der türkischen Konjunktur

Es ist nicht das erste Mal, daß „der starke Mann vom Bosporus“ Geldgeber verschreckt hat. Schon nach den Gezi-Park-Protesten und dem demonstrativen Schulterschluß mit Mursis Muslimbrüdern in Ägypten hatten im vergangenen Jahr viele Investoren das Weite gesucht. Jetzt forderte der mächtige Wirtschaftsverband Tüsiad, die führende regierungsunabhängige Organisation der türkischen Privatwirtschaft, eine korrekte Aufarbeitung des Korruptionsskandals und warnte vor einem drastischen Einbrechen der Wirtschaft und einem „Abrutschen der Türkei zum Polizeistaat“.

Auch Deutschlands Unternehmer bangen um einen Wachstumsmarkt. „Deutsche Unternehmen sind mit Milliarden in der Türkei investiert und sehen die Auswirkungen der Regierungskrise mit Sorge“, sagte Volker Treier, der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) dem Handelsblatt.

Der Regierung sitzen die Ratingagenturen im Nacken

Das türkische Wirtschaftswachstum beruhe vor allem auf dem Konsum, der durch die unsichere politische Lage zurückgehen dürfte. „Brechen nun auch noch die Investitionen aus dem Ausland weg, steht das gesamte Geschäftsmodell der Türkei auf der Kippe.“ Die Unternehmen warteten ab, „bevor sie neues Geld in ein Land mit unsicheren politischen Verhältnissen“ steckten, so Treier. Auch internationale Ratingagenturen gehen davon aus, daß die wirtschaftliche Stabilität weiter schwindet, sollte es zu einer längeren Phase politischer Unsicherheit kommen.

In diesem Jahr stehen in der Türkei noch dazu zwei wichtige Wahlen an. Am 30. März sind Kommunalwahlen, ein wichtiger Stimmungstest für die AKP. Bei ihrer Gründung 2001 hatte sich die Partei unter anderem als „Hüterin des Rechts“ präsentiert und den „Kampf gegen die Korruption“ zu ihrem zentralen Programmpunkt gemacht. Die jetzt erhobenen Korruptionsvorwürfe treffen also ein Herzstück ihrer politischen Identität. Im Sommer stimmen die Türken dann über einen neuen Präsidenten ab. Das Staatsoberhaupt wird erstmals von der Bevölkerung direkt gewählt, und erstmals dürfen auch türkische Staatsangehörige, die im Ausland leben, ihre Stimmen abgeben. Erdogan hat zu erkennen gegeben, daß er selbst Präsident werden will, nachdem ihm die Regeln der AKP verbieten, ein weiteres Mal als Regierungschef zu kandidieren. Man sagt ihm nach, er träume davon, bis 2023 als Quasi-Sultan an der Staatsspitze zu stehen, wenn die türkische Republik hundert Jahre alt wird.

Affäre bringt ganze Familie Erdogan in Bedrängnis

Doch seit den Gezi-Protesten und seit der im Dezember bekannt gewordenen Korruptionsaffäre, in der auch Angehörige der Familie Erdogans ins Visier der Ermittler geraten sind und in deren Folge er sein halbes Kabinett austauschen mußte, steht seine politische Zukunft unter einem großen Fragezeichen. Dazu kommt, daß sein zum Rivalen gewordener AKP-Parteifreund, der amtierende und im Volk beliebte Präsident, Abdullah Gül, nicht erkennen läßt, ob er bereit ist, auf eine erneute Kandidatur zu verzichten. In den vergangenen Monaten hat Gül sich auffällig oft gegen Erdogan positioniert.

Foto: Abenddämmerung im Basarviertel von Istanbul: Die Konsumenten sind verunsichert, die Währung stürzt ab, Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel

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