© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/14 / 14. Februar 2014

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
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Marcus Schmidt

Aufkommendes Mitleid wich ungläubigem Staunen, ja Entsetzen. Der Fall des vergangene Woche aus „gesundheitlichen Gründen“ von seinem Mandat zurückgetretenen SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy entwickelte am Dienstag eine Dynamik, die den derzeit geschäftsmäßig dahinplätschernden Berliner Politikbetrieb kräftig durchschüttelte.

Zuvor war bekanntgeworden, daß Polizei und Staatsanwaltschaft am Montag abend die Wohnung Edathys im niedersächsischen Rehburg sowie sein Büro in Nienburg durchsucht hatten. Zum Gegenstand der Ermittlungen machte die Staatsanwaltschaft zunächst keine Angabe, doch die Lokalzeitung Die Harke berichtete, es gehe um den Besitz von Kinderpornographie. Ein Vorwurf, den Edathy am Dienstag auf seiner Facebook-Seite zurückwies. „Die öffentliche Behauptung, ich befände mich im Besitz kinderpornographischer Schriften bzw. hätte mir diese verschafft, ist unwahr.“ Ein strafbares Verhalten liege nicht vor, schloß Edathy seine knappe Mitteilung.Bevor die Ermittlungen bekannt wurden, war auf den Fluren des Bundestages noch über eine möglicherweise lebensbedrohliche Erkrankung Edatyhs, vielleicht Krebs, spekuliert worden. Mitleid mit dem als „schwierig“ charakterisiert Edathy machte sich breit. Nun erschien sein Rückzug in einem völlig anderem Licht.

Mit dem 44 Jahre alten Soziologen hat nicht irgendein Hinterbänkler sein Mandat niedergelegt, sondern einer der profiliertesten sozialdemokratischen Abgeordneten der vergangenen Legislaturperiode. Als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses stand Edathy, der von 2005 bis 2009 den Innenausschuß des Bundestages geleitet hatte, in den vergangenen zwei Jahren im Rampenlicht.

Dabei wirkte er häufig gereizt und angespannt, und mehr als einmal vergriff er sich gegenüber Zeugen im Ton. Manch gestandener Ermittler mußte sich von ihm wie ein uneinsichtiger Angeklagter behandeln lassen. Auch außerhalb des Parlamentes sorgte Edathy immer wieder mit Unbeherrschtheiten für Aufsehen. So beschied er etwa einem Nutzer seiner Facebook-Seite öffentlich, dieser könne ihn mal „kreuzweise“. Ebenfalls per Facebook vermeldete Edathy Ende 2012, in der Hochzeit seiner Tätigkeit als Vorsitzender des NSU-Ausschusses, in seinem Briefkasten sei ein „Sprengsatz“ explodiert. Die Polizei sprach später von einem Chinaböller.

Die politische Karriere des Soziologen, der 1998 erstmals in den Bundestag eingezogen war, lief zunächst äußerst vielversprechend an. Unter Rot-Grün und während der ersten Großen Koalition unter Merkel war Edathy zusammen mit dem früheren Juso-Vorsitzenden Niels Annen einer der Einpeitscher im „Kampf gegen Rechts“. Ein von den beiden Nachwuchspolitikern 2005 erarbeiteter Leitfaden für SPD-Funktionäre, der diese für den Umgang mit tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremisten sensibilisieren sollte, sorgte nicht nur in der Partei für Aufsehen. Die Antifa sei in der Mitte der SPD angekommen, kommentierte die taz damals verwundert.

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