© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/14 / 07. Februar 2014

Seine Polemik ist nur Selbsttherapie
Eine scharfe Analyse des Literaturwissenschaftlers Günter Scholdt über den Publizisten Henryk M. Broder
Thorsten Hinz

Der Publizist Henryk M. Broder erntet viel Anerkennung für seinen virtuosen Umgang mit der Sprache und für seinen schrägen, respektlosen Blick. „Hohepriester des vernichtenden Wortes“, nannte ihn jüngst ein Lokalblatt. Die Begeisterung ist am größten, wenn er sich Themen widmet, die unter einem Beinahe-Tabu stehen: dem Europa der Eurokraten, dem Islam oder der Vergangenheitsbewältigung. Er bringt dann griffig auf den Punkt, was sonst nur hinter vorgehaltener Hand geraunt wird. Er übt also eine Ventilfunktion aus.

Ventilfunktionäre stellen den Machtdiskurs nicht in Frage, sie ergänzen und stabilisieren ihn, indem sie den Gefühlsstau und das Risiko seiner unkontrollierten Entladung verringern. Es sei denn, sie entschließen sich eines Tages zur Fundamentalkritik an den Verhältnissen, die Ventile nötig machen. Das bedeutet aber, an der Selbstabschaffung zu arbeiten, denn wenn alle frei reden können, braucht es keine Ventile mehr. Wie geht Broder mit diesem Zwiespalt um?

Günter Scholdt, Litereraturprofessor aus Saarbrücken, der 2011 bei der Verleihung des Gerhard-Löwenthal-Preises die Laudatio auf Ernst Nolte hielt, hat seine Schreib- und Arbeitsweise in einer schmalen Streitschrift analysiert. Der polemische Titel „Vergeßt Broder!“ nimmt das Ergebnis vorweg und drückt zugleich den Anspruch aus, dem notorischen Polemiker auf gleicher Höhe entgegenzutreten. Er bezieht sich unmittelbar auf Broders Buch „Vergeßt Auschwitz!“ Ein Imperativ, der wie Donnerhall daherbraust und alle Glaubenssätze der bundesdeutschen Zivilreligion zu pulverisieren scheint. Auschwitz, dieser „Rummelplatz des Schreckens“, solle „dem Erdboden gleichgemacht“ werden, forderte Broder.

Scholdt zeigt viel Respekt für seine Person und Könnerschaft. Er zitiert seine beißende Kritik an den Exzessen der Vergangenheitsbewältigung, am Zentralrat der Juden oder an „Antisemitismus-Experten“ wie Wolfgang Benz. Sie ist witzig, aber in der Substanz nicht wirklich originell. Ihre Exklusivität besteht darin, daß kein anderer sie straflos äußern dürfte. „Seiner jüdischen Abstammung wegen“, konstatiert Scholdt kühl, hat Broder „einen Startvorteil“ gegenüber Nichtjuden. Den nutzt Broder voll aus.

Dauerverdacht gegenüber dem Land seiner Jugend

Das wäre nicht zu beanstanden, wenn seine Polemik die anderen einladen würde, mit ihm gemeinsam in ein befreiendes Lachen auszubrechen, die Büßer-Neurose zu überwinden und anschließend Waffengleichheit festzustellen. Doch gerade das gestattet Broder den anderen nicht. Den Seelenmassagen läßt er regelmäßig die kalten Duschen folgen durch Sätze wie diesen: Israel mache den Deutschen bewußt, „daß ihre Väter und Großväter an einem kühnen Projekt gescheitert sind: Europa judenrein zu machen. Denn schlimmer, als ein Verbrechen zu verüben, ist es, ein Verbrechen nicht zu Ende gebracht zu haben.“ Das soll wohl heißen, daß er die Nachgeborenen verdächtigt, in Wahrheit nicht das Massenmord-„Projekt“, sondern bloß die fehlende Vollendung zu bedauern, also Antisemiten der schlimmsten Sorte zu sein. Was wiederum neue Bußexzesse auslöst, über die Broder weidlich spotten kann.

Sein Verfahren ist immer das gleiche: Er umschmeichelt die Delinquenten und erhebt sie, um sie gleich wieder in die Delinquenz zurückzustoßen. Dieser Herrschaftsmechanismus wird den Beherrschten nicht einmal bewußt. Scholdt: „In all dem ertönt wie ein Basso ostinato Broders Dauerverdacht gegenüber dem Land seiner Jugend, in dem er offensichtlich vor allem als polemischer Gast sozialisiert wurde. Hier trifft eine publizistische Domina auf eine gleichgestimmte Publikumsbereitschaft, solche medialen Botschaften als verdiente Strafe geradezu lustvoll zu empfangen.“ Ein unschlagbares Geschäftsmodell.

Kein Mensch von Verstand will Auschwitz „vergessen“. Es geht um eine Normalität, in der jenes Gleichgewicht zwischen Erinnern und Vergessen hergestellt ist, das Nietzsche als die Voraussetzung für gelingendes Leben beschrieben hat. Broder will den Deutschen nicht einmal dieses Minimum gestatten. Vielmehr sollen sie ihre NS-Fixierung in die Identifizierung mit Israel überführen. Persönliche und publizistische Interessen verbinden sich mit politischen Kalkulationen. Broder geht keineswegs zimperlich vor, um ihnen Geltung zu verschaffen.

Als Beleg für den heimlichen Antisemitismus der Deutschen führt er an, daß sie im Fall eines iranisch-israelischen Konflikts mehrheitlich neutral bleiben möchten. Es ist aber das Normalste der Welt, daß einem Volk die eigene Haut wichtiger ist als das fremde Hemd. Zudem sind Schuld und Unschuld im Nahost-Konflikt keineswegs so eindeutig verteilt, wie Broder behauptet. Doch wo Obsessionen herrschen, sind Diskussionen über Brüche in der Logik, Widersprüche und blinde Flecken sinnlos.

Wie wenig er sich auf die „Lehre aus der Geschichte“ berufen kann, zeigt Scholdt mit seinem Verweis auf Gerhard Löwenthal, der das Dritte Reich mit knapper Not überlebt hatte und sich danach unter völlig anderen Vorzeichen politisch und publizistisch engagierte. Broder, geboren 1946 in Kattowitz, schrieb einmal, er wäre „lieber der Sohn holländischer Bauern oder dänischer Fischer geworden als der Nachkomme hysterischer polnischer Juden, die sich – und ihren Kindern – das Leben nach dem Überleben zur Hölle gemacht haben“. Eine bewegende und erhellende Aussage. Der selbsternannte Therapeut ist selber therapiebedürftig und seine Polemik offenbar eine Selbsttherapie.

Günter Scholdt, selber Jahrgang 1946, findet sich in Broders Zuschreibungen nicht wieder und bekennt, eine Begnadigung durch Broder nicht nötig zu haben. Sein exzellenter Essay bietet eine Fallstudie über ein „Land, das die wirklich freie Rede fürchtet wie der Teufel das Weihwasser“.

Günter Scholdt: Vergeßt Broder! Sind wir immer noch Antisemiten? Kaplaken Band 36. Verlag Antaios. Schnellroda 2013, gebunden, 93 Seiten, 8,50 Euro

Foto: Henryk M. Broder 2013: Ventilfunktionäre stellen den Machtdiskurs nicht in Frage, sie stabilisieren ihn nur

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