© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/14 / 07. Februar 2014

Familien zahlen ordentlich drauf
Rentenstudie der Bertelsmann-Stiftung: Ausgerechnet diejenigen, die die Gesellschaft am Leben erhalten, werden bei der Rente benachteiligt
Christian Schreiber

Kinderkriegen ist in Deutschland ein teurer Spaß. Besonders ungerecht scheint es dabei innerhalb unseres Rentensystems zuzugehen: „Es benachteiligt Familien – ausgerechnet diejenigen, die das System am Leben erhalten“, sagte kürzlich Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Der Medienkonzern aus Gütersloh hat vor einigen Tagen eine vielbeachtete Studie unter dem Titel „Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung“ vorgestellt.

In Deutschland gibt es laut Bundesfamilienministerium 156 ehe- und familienbezogene Leistungen, die Familien gezielt entlasten und unterstützen sollen. Aber vor allem die Funktionsweise unserer Sozialversicherungssysteme führe dazu, daß Familien im Gegenteil in erheblichem Maße belastet würden. Das ist die zentrale Aussage der Arbeit von Martin Werding, Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum.

Müttergeld ist ein Tropfen auf den heißen Stein

Demnach wird ein heute 13jähriger im Laufe seines Lebens im Durchschnitt 77.000 Euro mehr in die Rentenkasse einzahlen, als er selbst an Rente beziehen wird. Auch für Eltern steht am Ende ein Minus. Die durchschnittlich 8.300 Euro hohe Mütterrente, mit der das Rentensystem die Erziehungsleistung von Eltern honoriert, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Zwar sichern sie durch ihre Familiengründung den Bestand des Rentensystems. Dadurch erhöht sich aber weder ihre Rente – im Gegenteil schlagen Erziehungszeiten negativ zu Buche –, noch zahlen sie weniger Beiträge als Kinderlose. Das habe gravierende Folgen für das Aufwachsen und die Entwicklungschancen von Kindern. So würden die Kinder über ihr gesamtes Leben stark belastet, weil das gesetzliche Rentensystem trotz aller bereits erfolgten Reformen immer noch nicht als langfristig tragfähig anzusehen sei.

Für die Finanzierung der Rente gilt das Umlageprinzip: Was an Beiträgen gezahlt wird, fließt unmittelbar an die derzeit gut 20 Millionen Pensionäre. Eine Vorsorge durch Ansparen ist nicht vorgesehen. Die aktuelle Rekord-Rücklage von 31 Milliarden Euro in der Rentenkasse könnte so schon in wenigen Jahren aufgebraucht sein. Anders als bei einer Kapitaldeckung werden somit keinerlei Werte oder Vorsorgeersparnisse geschaffen, die für die Finanzierung zukünftiger Renten zur Verfügung stehen. Sie werden vielmehr unmittelbar verwendet, um laufende Renten zu zahlen, und sind eine Rückzahlung der derzeitigen Erwerbstätigen an die Generation der eigenen Eltern. „Dieser grundlegende Systemfehler in der Konstruktion des Rentenversicherungssystems führt dazu, daß Familien – anders als kinderlose Erwerbstätige – neben ihrem finanziellen Beitrag an die Rentenversicherung einen zusätzlichen Beitrag durch Investitionen von Zeit und Geld in ihre Kinder leisten“, heißt es in der Studie.

Diese Kinder werden später sowohl die Renten ihrer eigenen Eltern als auch die Renten kinderlos Gebliebener finanzieren. Dadurch entstünden positive „externe Effekte, die jeweils der nächsten Generation zugute kommen“.

Martin Werding hat während der Erstellung der Studie nicht nur herausgefunden, daß ein im Jahr 2000 Geborener weit mehr in die Rentenkasse einzahlen wird, als er herausbekommen wird. Er hat auch eine große Rechnung aufgestellt. Durch öffentlich finanzierte Ausgaben für Gesundheit, Bildung und familienpolitische Leistungen beteilige sich die Gesellschaft zwar an der Erziehung und Ausbildung eines heute noch jungen Kindes.

Der „externe Effekt“, den das Kind im Rahmen des Rentensystems zugunsten der nächstälteren Generation erzeuge, werde dadurch aber bei weitem nicht ausgeglichen. Insgesamt, so Werding, ergebe sich für ein „durchschnittliches Kind aus heutiger Sicht ein Überschuß aller von ihm geleisteten Sozialbeiträge und Steuern über die von ihm in Anspruch genommenen Geld- und Sachleistungen in Höhe von 103.400 Euro“.

Diese Zahlen weisen demnach auf ein Gerechtigkeitsproblem hin, das unmittelbar mit der wirtschaftlichen Situation von Familien zusammenhängt. Es beeinflußt auch die Bedingungen, unter denen Kinder in Deutschland heute aufwachsen.

Der Autor der Studie zieht darüber hinaus einen interessanten Schluß, indem er vermutet, daß das beschriebene Gerechtigkeitsproblem ursächlich für den demographischen Wandel sein könnte: „Das bestehende Ungleichgewicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und im gesamten deutschen Steuer-Transfer-System zu Lasten von Familien und Kindern kann auch zum in der Vergangenheit eingetretenen Geburtenrückgang beigetragen haben“, heißt es. Damit könne es unter Umständen die demographische Alterung verschärfen, die das Rentensystem zusehends unter Druck setze. Nun müsse es das Ziel sein, das System „demographiefest und familiengerecht“ zu gestalten. Dafür müsse es grundlegend reformiert werden. Die Politiker stünden dabei unter Zeitdruck, die anstehenden Reformen müßten in den nächsten 15 Jahren durchgeführt werden, bevor die geburtenstärksten Jahrgänge in Rente gehen.

„Kinder sind trotz der Vielzahl an familienpolitischen Leistungen ein Armutsrisiko“ resümiert Werding und fordert, daß diese Reformen bewirken sollten, daß die „bestehenden Fehlanreize gegen eine Familiengründung korrigiert werden und es nicht länger eines der wichtigsten Armutsrisiken darstellt, Kinder zu bekommen – weder für die aktive Familienphase noch für das Alter“.

Er schlägt dafür auf den ersten Blick zwei recht unterschiedliche Lösungsmodelle vor. Familienorientierte Reformen könnten demnach entweder bei den Leistungen ansetzen, die das gesetzliche Rentensystem gewährt, oder bei der finanziellen Lage von Familienhaushalten in der Phase der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder.

Genauer untersucht wurden in der Studie zwei konkrete Modelle, nämlich die Einführung einer Kinderrente für alle Eltern sowie die „Erhebung familiengerechter Beiträge“ zur Finanzierung des gesetzlichen Rentensystems. Die erste Alternative könnte sich aus drei Elementen zusammensetzen, einer Basisrente, der Kinderrente sowie der Sparrente. Bei der Basisrente würde das bestehende Rentensystem in eine umlagefinanzierte Basissicherung überführt, indem die Beitragssätze auf dem gegenwärtigen Niveau eingefroren werden. Diese Rente würde dazu beitragen, den Umfang umlagefinanzierter Altersvorsorge zu begrenzen. Mitglieder der heutigen Kindergeneration müßten daher in Zukunft geringere Beiträge zur Finanzierung von Umlagerenten bezahlen. Bei der Kinderrente würden die Ansprüche allein von der Kinderzahl abhängen. Die Finanzierung solle aus Beiträgen auf alle Erwerbseinkommen oder aus Steuern erfolgen. Für Eltern von drei und mehr Kindern würden dadurch die demographisch bedingten Senkungen des Rentenniveaus ausgeglichen, so daß sie keine kapitalgedeckte Zusatzrente mehr benötigen würden. Zusätzlich sollten sich alle Bürger über eine sogenannte Sparrente selbst absichern, dabei handele es sich um eine kapitalgedeckte Vorsorge: „Wer ein Kind bekommt, für den entfällt bis zum dritten Kind jedoch jeweils ein Drittel dieser Pflicht, da Kinder einen Beitrag zum Erhalt des umlagefinanzierten Systems darstellen“, schreibt Professor Werding.

Das andere Modell der „Familienrente“ sieht vor, das Rentensystem um Kinderfreibeträge nach dem Vorbild der Steuererhebung zu ergänzen. Dadurch würden Eltern in dieser Phase weniger in die Rentenkasse einzahlen – ohne daß ihr Rentenanspruch geschmälert würde. Der Staat müßte diese Lücke dann mit Steuergeld füllen. „Höhe und Ausgestaltung der Freibeträge werden vereinfachend aus dem Einkommensteuerrecht übernommen“, heißt es, und als Schlußfolgerung stellt der Autor fest: „Im Ergebnis bewirken die familiengerechten Beiträge in jedem Fall eine sofortige Entlastung für Familien in der aktiven Familienphase. Für Kinderlose gleichen Alters verringert sich das Einkommen dagegen durch steigende Rentenbeitragssätze ein wenig.“

Eine Alternative zu diesen grundlegenden Reformen gebe es nicht, glauben Autor und Bertelsmann-Vorstand. Eine vierköpfige Familie habe jährlich rund 2.400 Euro mehr zur Verfügung, eine kinderlose rund 1.200 Euro weniger. Im Rentenalter seien die Einnahmen dann wieder auf einem Niveau: „Das wäre dann ein solidarisches Modell“, sagte Bertelsmann-Vorstand Jörg Dräger.

www.bertelsmann-stiftung.de

Foto: Kinder sind in Deutschland ein teurer Spaß: Trotz vieler familienbezogener Leistungen – Familien stehen bei der Rente auf der Verliererseite

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